Duisburg. An dem großteils von Romas bewohnten Häuserblock in Duisburg haben Helfer Nachtwachen eingerichtet, um den Hausbewohnern nach der Hetze wieder etwas Ruhe zu verschaffen. Ein Besuch in dem Wohnblock, der als „Problemhaus“ Schlagzeilen macht.
Ein Kinderlächeln kann täuschen. Die Jungen und Mädchen auf diesem gepflasterten Hof in Duisburg-Rheinhausen lächeln weg, was hier passiert. Sie rennen umher, spielen Fußball in der Abendsonne, kreischen. Den jüngsten Bewohnern des Wohnkomplexes sind die Geschehnisse der vergangenen Tage nicht anzusehen.
Es ist erst eine Woche her, als sich die Situation in der Straße „In den Peschen“ zuspitzte. Per Facebook riefen Nutzer zu Angriffen auf die ausländischen Bewohner auf; Unbekannte beschmierten die Hausfassade mit fremdenfeindlichen Sprüchen. Schon lange sorgt der Wohnkomplex bei einigen Duisburgern für Unbehagen. Sie fühlen sich belästigt von Lärm und Müll, fühlen sich unsicher.
Mal die anderen zu Wort kommen lassen
Annegret Keller-Steegmann möchte endlich mal die zu Wort kommen lassen, über die immer gesprochen werde. „Es ist ein Unterschied, ob Deutsche über die Bewohner erzählen oder sie selber“, sagt die 60-Jährige – sie setzt sich seit Jahresbeginn für die Roma in Duisburg ein. Jetzt organisiert die Lehrerin auch Nachtwachen, um den Hausbewohnern nach der Hetze wieder etwas Ruhe zu verschaffen, Schlaf zu ermöglichen. In gut drei Stunden ist es wieder so weit.
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Am frühen Abend aber schreitet sie noch voran in dieses Hochhaus, von dem niemand so genau weiß, ob darin 200 oder 2000 Menschen leben. Der Eingang ist düster. Aus dem Klingelkasten fleddern Kabelreste. Ein paar Treppenstufen höher haben sich Vasile L., Dorel M. und Bebe C. (Namen geändert) in einem Wohnzimmer versammelt. Die Familienväter, alle um die 30, sitzen auf einem Sofa. An der Wand hängen Bilder, Blumen. Eine Pflanze rankt sich über die Eingangstür.
„Nicht gedacht, dass es das am Tag gibt“
Im Gegensatz zu ihren Kindern machen die Männer ernstere Mienen. Sie können nicht vergessen, was hier passiert: Die Autofahrer mit Hitlergruß; die Gestalten, die angeblich mit Messern bewaffnet an der Straße auftauchen. „Vor drei Tagen sind Männer ins Treppenhaus gerannt, haben geschrien und uns gedroht“, sagt Vasile L. Das sei um halb sieben abends gewesen. „Wir haben nicht gedacht, dass es so was mitten am Tag gibt.“ Die Polizei hat zuletzt am Wochenende eine Straftat an der Straße „In den Peschen“ ermittelt: Ein 21-Jähriger zeigte den Hitlergruß und muss sich nun wegen Volksverhetzung verantworten.
„Wir haben wirklich Angst um unsere Kinder“, sagt einer der Männer. Seine Söhne und Töchter hätten nur noch angezogen geschlafen, um schnell flüchten zu können. „Wir trauen uns nicht mehr, sie nach den Ferien in die Schule zu lassen“, stimmen die drei überein. Keller-Steegmann bestätigt, dass einige Jungen und Mädchen aus dem Wohnkomplex zur Schule gehen.
„Wir wollen unser Potenzial zeigen“
Das Gespräch handelt vor allem von ihnen. Die Familienväter erzählen aus der Vergangenheit, ihrer „harten Zeit“ in Rumänien, „in der wir von 200 Euro im Monat leben mussten“ – Mann, Frau und acht Kinder. „Wir wollen, dass sie es mal besser haben.“ Doch viele Bewohner in dem Block sind arbeitslos. Ohne Deutschkenntnisse finden sie keinen Job, und deshalb verbringen sie den ganzen Tag vor dem Haus. Manche arbeiten als Monteure, andere als Schrotthändler – oftmals an, manchmal jenseits der Legalität.
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Die drei Familienväter betonen, Deutsch lernen zu wollen – dann, sagen sie, hätten die meisten auch Chancen auf einen Job. „Wir wollen schließlich unser Potenzial zeigen.“ Doch Kurse können sie nicht bezahlen. Selber lernen? „Das funktioniert nicht“, sagt Keller-Steegmann.
Fühlen sich mit "Roma-Status" abgestempelt
So aber, sagen sie, rutschen sie in eine Situation, in der die Familien sich mit einem „Roma-Status“ abgestempelt fühlen. Vor einigen Jahren sei ihr Bild in der Öffentlichkeit noch nicht so schlecht gewesen – „früher, als noch verhältnismäßig wenig Roma nach Deutschland kamen. Jetzt werden wir alle in den gleichen Topf geschmissen“, beklagt Dorel M. Er spricht von dem Bild des kriminellen Ausländers, der „Klau-Kids“ und Taschendiebe.
Dass es allgemein auch Probleme mit Roma-Familien gebe, bestreiten die Männer nicht. „Aber das ist bei anderen Nationalitäten nicht anders.“ Die „Kriminalität Einzelner“ falle in Duisburg gleich auf „das ganze Haus zurück“, meinen die Väter. Keller-Steegmann nickt. Sie hält einen Säugling auf dem Arm, das Vertrauen ist spürbar. Die Familien sind ihr für ihren Einsatz dankbar. „Das ist großartig, dass sie das mit der Nachtwache organisiert hat“, sagen die Männer – und lächeln.
Mit dem Sonnenuntergang ist der Vorplatz wie leer gefegt. Hier und da winkt ein Kind vom Balkon. Die Zeit der Nachtwache kommt. Um die 35 Personen haben sich auch heute wieder rund um den Wohnkomplex versammelt, die meisten sind um die 30 und jünger. Auf ihren Kontrollgängen notieren sie Auffälligkeiten. Zwei Frauen erzählen, wie sie früher die ersten Roma-Zuwanderer erlebt haben – heute bieten sie an, für Bewohner eine Patenschaft zu übernehmen. Es wird eine lange Nacht. Teilnehmer platzieren Stühle und tragen Wasserkästen durch die Gegend.
Die Nachtwächter nehmen das für die Bewohner auf sich. Damit sie „bald wieder regelmäßig lächeln können“.
Bürgerwache für Roma in Duisburg