Essen.. In Berlin protestieren Aktivisten gegen ein neues Flüchtlingsheim für Asylbewerber. In Duisburg hetzen Rechtspopulisten gegen ein hauptsächlich von Roma und Sinti bewohntes Haus - all das erinnert an Rostock-Lichtenhagen im August 1992. Es sind Zeichen der wachsenden Angst vor Überfremdung.
Einen ganzen Tag lang in Berlin zu Auseinandersetzungen über die Ausländerpolitik gekommen. Die Gemüter erhitzt ein neu eröffnetes Heim für Flüchtlinge. Befürworter und Gegner prallen aufeinander. Berlin ist kein Einzelfall. Angst vor Überfremdung ist wieder ein Thema in Deutschland, ganz gleich ob es um Asylbewerber, Flüchtlinge oder Minderheiten wie die Sinti und Roma geht.
Wieso eskaliert die Debatte?
Weil gerade Wahlkampf ist, weil das Medienecho in Berlin meist größer als anderswo in Deutschland ist, weil der Problemdruck steigt, weil viele noch Rostock-Lichtenhagen im Kopf haben. Als Warnung. Im August 1992 steckte der Mob dort ein Wohnheim in Brand, in dem Vietnamesen lebten. Damals wurden die Opfer alleingelassen. Elf Jahre später in Berlin-Hellersdorf: 70 Rechte prallen zwar auf doppelt so viele Gegendemonstranten und rund 200 Polizeibeamten. Das Risiko eines zweiten Rostock-Lichtenhagen ist dennoch real.
Greift das Rechts-Links-Schema?
Nur bedingt. Es stimmt: Es ist die NPD, die auf die Straße geht. Zudem beobachtet der Verfassungsschutz seit langem, dass die Organisation „Pro Deutschland“ es auf die direkte Konfrontation und Eskalation anlegt. Allein für den gestrigen Mittwoch meldete sie in Berlin fünf Kundgebungen an. Viele Anwohner haben Unbehagen. Das wird ausgebeutet, verstärkt oder geschürt. Man kann die Anwohner aber nicht pauschal mit der rechten Szene gleichsetzen. Solche Konflikte nehmen zu, ob es in Duisburg um ein „Problem-Haus“ mit Sinti und Roma geht oder um Flüchtlinge in Vockeröde (Sachsen-Anhalt) oder in Bothfeld (Hannover). Der Bau von Heimen führt meist zu Ängsten: Vor Überfremdung, Gewalt, sinkenden Immobilienpreisen. Berlin-Hellersdorf ist obendrein ein Problembezirk: Fast jeder Vierte hat dort keinen Job.
Sind die Befürchtungen gefühlt oder real?
Im Juli haben 9516 Menschen Asyl in Deutschland beantragt, mehr als doppelt so viele wie im Juli 2012. Sie kommen aus Tschetschenien, aus Syrien, aus Afghanistan. Sie fliehen vor Folter und Krieg und Armut. Bislang haben 2013 mehr als 52 000 Menschen Asyl beantragt. „Wir werden noch in diesem Jahr die Marke von 100 000 Asylanträgen erreichen“, sagt Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Er schlägt seit Monaten Alarm.
Hat er auch etwas getan, um das Problem in den Griff zu kriegen?
Schon 2012 hatte die Gewerkschaft ihn aufgefordert, das Amt für Migration und Flüchtlinge personell aufzustocken. Nichts passierte. Die Problemkette: Der Bund bearbeitet die Anträge nicht schnell genug. Die Städte fühlen sich überfordert, die Unterkünfte werden knapp. Die Menschen werden in ehemaligen Schulen oder Kasernen untergebracht. Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach fordert ein Krisentreffen von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden. Die steigenden Asylbewerberzahlen dürften als Thema nicht den Rechtspopulisten überlassen werden, so Bosbach.
Gibt es gute Beispiele, Vorbilder?
Mehrere Städte in NRW bemühen sich, Flüchtlinge nicht in Heimen, sondern in privaten Wohnungen unterzubringen. Vorreiter war das „Leverkusener Modell“, bei dem sich die Kommune um individuelle Unterkünfte kümmert. Die Städte fördern damit nicht nur die Integration, sondern sparen Geld. „Private Wohnungen sind für die Kommune viel billiger“, so Claus-Ulrich Prölß, Geschäftsführer des Kölner Flüchtlingsrats. Im Berliner Problem-Bezirk Neukölln hat eine Aachener Wohnungsgesellschaft einen heruntergekommenen Gebäudekomplex saniert, um den rund 500 dort lebenden Roma ein würdiges Zuhause zu geben und Vorurteile abzubauen.