Duisburg.
Vor Jahren haben sie mal ein Banner vor die Pauluskirche gespannt: „Hochfeld soll noch schöner werden“ stand darauf, voller Überzeugung. Nun ja, es ist ein warmer Spätsommertag, die Sonnenstrahlen umschmeicheln die Wanheimer Straße, schön ist trotzdem woanders.
Die Hauptstraße ist längst ein Boulevard aus Handyshops, Bäckereien und Frisören, die bevorzugt in türkischer Sprache werben. Auf der anderen Straßenseite haben sich Sozialverbände angesiedelt. Die Arbeiterwohlfahrt berät Migranten, die Entwicklungsgesellschaft Duisburg hat hier ihren Sitz, „Zukunftorientierte Förderung e.V“, kurz Zof, ebenso. 64,5 Prozent der rund 16.000 Bewohner haben ausländische Wurzeln, für viele ist Hochfeld die erste Adresse, um in Duisburg anzukommen. Wer kann, zieht wieder weg. Die, die bleiben, haben ihre Probleme. Auch einige Deutsche.
Frauen wollen Deutsch lernen
„Ich will ja nicht meckern über die Ausländer, aber Hochfeld ist richtig dreckig geworden“, sagt einer. Er ist Türke. An einem Baum, nahe dem Brückenplatz, haben Anwohner einen Zettel aufgehängt: „Bitte kein Müll wegwerfen.“ Darunter sammeln sich Pizzaschachteln und ein zerfleddertes Heft – Liebesromane, Sammelband 80.
Die Bulgarin Emine Ivanova schüttelt den Kopf: „Wir machen den Dreck nicht“, betont sie. Es seien die Rumänen, die teilweise mit zehn Leuten in einer Wohnung hausen. Emine Ivanova ist nicht ihr richtiger Name, aber sie hat Angst, dass die anderen über sie reden. Es seien schon zu viele Gerüchte über „die Bulgaren“ im Umlauf. Jeden Dienstag trifft sie sich mit anderen Frauen in einer Müttergruppe von der Awo.
Gespräche über die alte und neue Heimat
Die Frauen reden über ihre alte und neue Heimat, fast alle sind Anfang 30 und mit der Hoffnung auf ein besseres Leben hergekommen. „Ich habe zuletzt in einer Fabrik für Kleidung gearbeitet, aber dann hat sie dicht gemacht“, erzählt sie. „Wenn es dort wieder Arbeit gibt, würde ich sofort zurückgehen.“
Tanja Dobreva (Name ebenfalls geändert) widerspricht: „Das glaubst du doch selbst nicht. Unsere Kinder gehen jetzt in den Kindergarten, die wachsen hier auf und gewöhnen sich an Deutschland.“ Das Leben, das haben sie sich allerdings anders vorgestellt. „Meist sitzen wir zu Hause, weil wir die Sprache nicht können.“
"Der Stadtteil hat sich verändert"
Wenn ein Brief vom Amt kommt, bringen sie ihn mit, die Awo hat Mitarbeiter eingestellt, die Bulgarisch und Rumänisch sprechen. Oft verstehen die Frauen aber auch Türkisch. Ihre Kinder haben einen Platz in der Schule oder im Kindergarten bekommen. Die Männer haben sich selbstständig gemacht, es ist für sie die einzige Möglichkeit zu arbeiten. Meist warten sie auf dem Parkplatz neben Eiscafé Behrens, bis jemand sie anheuert.
„Der Stadtteil hat sich verändert in den letzten 20 Jahren“, hat Ulrike Wildenblanck, Inhaberin des Bioladens „Pro Vita“, beobachtet. Es ist nicht nur der Müll, der sie stört. „Wenn man wach durch die Straßen geht, sieht man, wie kaputt die Leute sind.“ Sie mag den Begriff „Multi-Kulti“ nicht, „weil alle das toll finden, aber die wenigsten mitmachen.“ Keiner wolle was abgeben.
Kirche hat kein Geld mehr
Pfarrer Axel Hermann steht in der Tür des Gemeindehauses an der Paulusstraße und erlebt den Verteilungskampf hautnah. „Tut uns leid, wir können keine Lebensmittelgutscheine mehr ausgeben. Wir haben kein Geld mehr“, erklärt er einer Frau geduldig. Sie zeigt ihm ein Rezept. „Auch dafür haben wir kein Geld. Ich kann Ihnen doch nicht etwas geben und den anderen nicht.“ Er klingt verzweifelt, gerne macht er das nicht.
Seit über 20 Jahren verteilte die Kirchengemeinde Gutscheine. Eine Art Notgroschen. Das Papier im Wert von fünf oder zehn Euro konnten Bedürftige bei Aldi einlösen, der Discounter hat dann mit der Gemeinde abgerechnet. Hartz IV-Empfängerin Petra Köhler hat sich manchmal einen Gutschein geholt, wenn das Geld fürs Essen nicht mehr reichte. „Was kriegt man schon für fünf Euro: Toastbrot, Nudeln, ein bisschen Wurst“, zählt sie auf. Aber auch sie bekommt heute nichts. „Alles nur, weil die Bulgaren erst einen, dann zehn Leute mitgebracht haben. Sollense doch zurückgehen, da kriegense gar nix.“
Der Notfall ist Dauerzustand in Hochfeld, Pfarrer Hermann weiß das. Nur: Die Kirche hat auch kein Geld mehr. Hermann ist der letzte von drei Pfarrern im Stadtteil. Im Presbyterium wollen sie nun überlegen, wie es weitergeht, denn: „Jesus war auch da für die, die am Rande standen.“
Polizei vor Ort in Hochfeld - kaum Interesse an Bürgersprechstunde
Die Hochfelder fühlen sich allein gelassen mit den Problemen im Stadtteil. Ein Blick in den Polizeibericht.
Ist die Kriminalität in den Stadtteilen, wo Rumänen und Bulgaren hinzugezogen sind, gestiegen?
Der Blick in die Polizeistatistik zeigt: Ein Anstieg einzelner Delikte in bestimmten Stadtteilen ist nicht zu verzeichnen. Polizeisprecher Ramon van der Maat betont: „In der ersten Jahreshälfte haben in Hochfeld die Ladendiebstähle um 38 % gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres abgenommen, in Marxloh um 9 %.“ In Hochfeld hat die Gesamtkriminalität im ersten Halbjahr 2012 gegenüber dem Vorjahr um 21% abgenommen.
Wird in der Kriminalstatistik zwischen Deutschen und Ausländern unterschieden?
Ja, aber eine Trennung ist schwierig, etwa bei einem Mann mit türkischen Wurzeln, der einen deutschen Pass hat. Die Zahl der aus Bulgarien und Rumänien stammenden Tatverdächtigen ist seit 2008 gestiegen. 2011 waren von 5 707 nichtdeutschen Tatverdächtigen 627 rumänischer Herkunft, 362 kamen aus Bulgarien.
Was sind typische Delikte, die von den Zugewanderten verübt werden?
Dabei geht es um Taschen-, Laden- , Trick- und Altmetalldiebstähle. Hinzu kommen Spendenbetrug, das Entwenden von Benzin oder Gegenständen aus Autos. Mit einer Meldeanschrift in Deutschland gelten aus Rumänien oder Bulgarien stammende Tatverdächtige nicht als wohnungslos - Richter ordnen nur selten U-Haft an.
Was tut die Polizei?
„Wir haben zusätzlich zum Streifendienst 13.718 Personalstunden investiert. Dabei kam es zu 395 Strafanzeigen“, rechnet van der Maat vor. „Wir haben auch mit dem Ordnungsamt eine Bürgersprechstunde im Stadtteil eingerichtet. Allerdings gab es dort kaum Nachfrage und wir haben diese wieder eingestellt.“
Internationale Initiative Hochfeld e.V. unterstützt Frauen und Kinder
Sprachförderung, Hausaufgabenhilfe, Ferienprogramme, Kontakte zu den Schulen, den Eltern und dazwischen, das alles bietet die Internationale Initiative Hochfeld e.V.. Integrationskurse für Frauen zu Themen wie Recht, Gesundheit oder Erziehung kommen noch oben drauf - und das schon seit fast 40 Jahren.
Man kann sagen, die drei Damen kennen ihren Stadtteil: Ulli Klöters, Karoline Robins und Friederike Eßers-Groß arbeiten hier zum Teil seit Anbeginn der Initiative. Und ihre wichtigste Beobachtung aus all den Jahren: Überall da, wo sich die Menschen begegnen, werden Ängste abgebaut. Deshalb lädt die Integrations-Agentur regelmäßig zum Frühstück - und bringt unterschiedlichste Nationalitäten zusammen. Auch bei den Kindern werden unabhängig von der Herkunft „schnell Freundschaften geschlossen, da ist es viel wichtiger, ob einer gut kickern kann“, sagt Eßers-Groß.
Unterstützung für bulgarische und rumänische Familien
Seit Mitte 2007 unterstützen sie auch bulgarische und rumänische Familien. Eßers-Groß, die oft Hausbesuche macht, erlebt viel Not: Die räumliche Enge, die Sprachbarrieren, gesundheitliche Probleme. Ihre größte Sorge: Dass sich die Probleme der Altersarmut, die viele Familien der ersten italienischen Generation betreffen, in 20 Jahren mit den Neu-Zuwanderern wiederholen.
Zu ihnen in den Laden kommen überwiegend Bulgaren, die sie teils schon als „bildungssüchtig“ erleben. „Viele sind mehrsprachig, sprechen russisch, englisch, wollen schnellstmöglich Deutsch lernen“, beschreibt Klöters. Viele nerve der Rechtfertigungszwang, dem sie sich ausgesetzt fühlen.
Als Erntehelfer am Niederrhein arbeiten
Warum seid ihr hier? Aus Klöters Sicht ganz einfach: Von Duisburg aus können sie als Erntehelfer am Niederrhein arbeiten, auf den Baustellen des Ruhrgebiets, in den großen Gärtnereien jenseits der holländischen Grenze, in Düsseldorfs großen Hotels. Oft trotz Berufsausbildung, Studium. „Ich hatte hier sogar eine Konzertpianistin sitzen“, erzählt Klöters. Sie bringen ihre Kinder, damit sie bessere Chancen haben.
Hochfeld hatte auch schon immer ein Müllproblem, sagt Karoline Robins und machte einen Test: Morgens stellte sie eine Mülltüte auf den Bürgersteig am Immendal. Wer sich da alles animiert fühlte, sein Zeug dazuzustellen, ließ die Frauen staunen. „Ethnisieren“ könne man das leidige Thema jedenfalls nicht, betont Ulrike Klöters.
Die Initiative mit ihrem Laden am Immendal 29 wird vom Diakonischen Werk und der Gral-Akademie getragen. Es finanziert sich über Spenden, Landes- und Bundesmittel. Weitere Infos: 0203/69595.