Duisburg. .

Ihre erste Erinnerung ans Theater sind die vielen Türen, die in den Zuschauerraum führten. „Meine Mutter hat mich als Sieben- oder Achtjährige wohl in eine Weihnachtsvorstellung mitgenommen“, sagt Dr. Emmi Pannenbecker.

Die 98-Jährige lebt in einer Wohnung mit Werken von Künstlern, zu denen sie persönliche Beziehungen gepflegt hat. Für das Gespräch zum 100-Jährigen des Theaters hat sie nur kleine Erinnerungsstützen nötig. Auf dem Schreibtisch liegt die Festschrift zum 50-Jährigen der Rheinoper, in der sie ein paar Jahreszahlen nachschlägt. Kleinigkeiten die man vergessen kann. Was bleibt, ist die tiefe Verbundenheit, die die gebürtige Ruhrorterin mit dem Theater hat. „Wir hatten an der Kaiserin-Auguste-Viktoria-Schule eine sehr gute Lehrerin, die uns im Deutschunterricht einstellte auf die Klassiker, die etwa von Saladin Schmitt in Bochum aufgeführt wurden. Es war so selbstverständlich ins Theater zu gehen!“

Fünf Groschen für eine Theaterkarte

Was waren das für Zeiten? „Die Karte kostete fünf Groschen auf der Galerie, 13 Pfennig die Straßenbahnfahrt. Zurück sind wir deswegen zu Fuß gegangen. Wir waren so ein Club von Mädchen, erfüllt vom ,heiligen Geist’; das war so schön auch für die Verarbeitung dessen, was man auf der Bühne gesehen hatte.“ Den Opernsängern, „die ja in Duisburg wohnten“, sei man auf der Straße begegnet. „Über einen dicken Lohengrin haben wir gerne gelacht... Das Theater gehörte einfach dazu.“

„Es war ergreifend“

Nach dem Abitur studierte Emmi Pannenbecker Kunstgeschichte, Zeitungswissenschaften und Germanistik in Bonn und München. „Ich war während des Krieges nicht in Duisburg, war mittlerweile verheiratet und hatte zwei Kinder.“

Als sie nach dann zurück kehrte in die zerbombte Stadt, trat sie politisch in die Fußstapfen ihres Vaters, Stadtverordneter schon in der Weimarer Republik und Mitbegründer der CDU in Duisburg. Sie zog in den Kulturausschuss ein. „Das allererste war, das Foyer im zerstörten Theater wieder herzurichten, um es notdürftig bespielbar zu machen.“

Nachhaltiges und ergreifendes Theater im zerbombten Duisburg 

Der ersten Aufführung von Goethes „Iphigenie auf Tauris“ , gespielt von Folkwang-Schülern, hätten die Besucher in Wintermänteln gebannt gelauscht. „Es war so nachhaltig und ergreifend, wir waren wie erschlagen von der Tatsache, dass es wieder Theater gab. Und den Fluch des Tantalus zu hören, nachdem wir gerade erfahren hatten, was an Untaten geschehen war... Das war kein Glanz. Es war ergreifend. Das Einfache war so wichtig.“

Der Wunsch, „wieder wirkliches Theater in Duisburg zu haben“, war geweckt. Emmi Pannenbecker: „Es gab eine Bühne, es gab Gastspiele – und Düsseldorf hatte Gründgens.“ Und es gab eine kleine Gruppe im Kulturausschuss – „FDP, SPD, die Kommunisten und ich von der CDU“ – die das in die Hand nahm. „Wir sind nach Düsseldorf zu Gründgens gefahren, haben mit ihm 100 Gastspiele ausmachen können – und hatten wunderbare Aufführungen. Das war das beste Theater, das wir je gesehen haben.“ „Faust“, „Don Carlos“ – „das Theater war immer ausverkauft“.

Eine eigene Sparte

Dann ging Gründgens vorzeitig nach Hamburg. Und wieder war die Frage, was aus dem Theater Duisburg wird. „Wir wollten wenigstens eine eigene Sparte haben: Schauspiel oder Oper.“ Es wurde mit verschiedenen Städten verhandelt, schließlich kam man auf die alten Verbindungen zu Düsseldorf zurück. „Und dann kam es Gott sei dank zur Gründung der Deutschen Oper am Rhein“, sagt Emmi Pannenbecker. „Sie hat sich bewährt – Schwierigkeiten hin oder her“, heißt ihre Bilanz. „Und es täte mir verflixt leid, wenn die Sache durch dumme Rederei auseinander ginge. Wir stünden dumm da, wenn wir hier eine Provinzbühne hätten.“

Für Emmi Pannenbecker haben sich die Türen zum Theater nie geschlossen. Erst zur letzten Saison hat sie ihr Premieren-Abo gegen ein Nachmittags-Abo gewechselt. Auch die Kammerkonzerte besucht sie. In diesem Jahr wird sie 99 und sagt: „Kultur hat keine Partei“. Sie habe erlebt, dass es keine Wohnungen gab und nichts zu essen. „Wenn Leute sagen, es gibt wichtigeres als Theater, dann muss man mit ihnen ruhig und vernünftig sprechen. Wir leben nicht nur vom Brot, wir müssen uns auch an etwas anderem erfreuen.“