Duisburg..
Die Reaktionen sind immer die gleichen: Zuerst ist da der erstaunte Blick. Es folgt abruptes Stehenbleiben. Dann huscht ein verschmitztes Lächeln über die Lippen, weil vergessen geglaubte Erinnerungen plötzlich in Kopf und Herz des Betrachters zurückkehren. „Die kenne ich schon so lange, da war ich noch ein kleiner Junge“, lautet ein gern gehörter Satz. Und mit leuchtenden Augen geht der Betrachter auf jene Modelleisenbahnen zu, die seit fast 40 Jahren in einer Vitrine im Duisburger Hauptbahnhof hinter einer dicken Glasscheibe ihre Runden drehen. Es ist nach wie vor ein beliebter Haltepunkt für kleine Züge in dem Haltepunkt für große Züge.
„Das hier war mal Deutschlands schnellste Dampflok“, sagt Hans-Dieter Hoernig und deutet auf die schwarz-rote Zugmaschine des D-Zuges, der da auf einem der Gleise Halt gemacht hat. Der 85-Jährige ist der Chef des in Düsseldorf beheimateten Unternehmens „Werner Ehret & Co KG“. Fünf fest angestellte Mitarbeiter und einige externe Betreuer kümmern sich um insgesamt 30 Modelleisenbahn-Anlagen, die auf 28 Bahnhöfen im gesamten Bundesgebiet zu finden sind. Und der Grund für die seit Jahrzehnten andauernde Popularität dieser Publikumsmagneten liegt für Hoernig auf der Hand: „Sie sind zeitlos schön – und bis heute bleiben Kinder sofort stehen, wenn sie die Züge sehen.“
"Licht lockt nun einmal Leute an"
Das liegt auch an den Effekten. Denn selbst dann, wenn gerade einmal keine der vier Modelleisenbahnen fährt, blinkt und bewegt sich andauernd irgendwo etwas auf dieser 2,60 x 1,60 Meter großen, detailfreudig bebauten Holzplatte. Hier dreht sich ein auf Hosentaschenformat geschrumpftes Windrad. Dort flackert das Blaulicht eines Feuerwehr-Löschzuges, der in dem Dörfchen dieser Fantasielandschaft am Rande der Gleise einen qualmenden Hausbrand bekämpft.
„Licht lockt nun einmal Leute an“, nennt Dieter Borowski einen Leitsatz der Branche. Der 60-jährige Mann aus Willich ist seit Anfang der 80er Jahre als Automatentechniker in der Firma beschäftigt. Mit seinem Kollegen Michael Hansen (53) ist er für die Betreuung aller Modellbahnen im westlichen Teil Deutschlands verantwortlich. Neben dem Standort Duisburg gehören auch die Bahnhöfe in Oberhausen, Krefeld, Köln oder Neuss dazu. Regelmäßig rückt das Duo aus, um Wartungs- und Reparaturarbeiten vorzunehmen. Und die fallen ständig an. Denn das fahrende Material in den Vitrinen hat schon einige Jährchen auf dem lackierten Buckel.
„Das alles ist vom Hersteller Trix-Express. Der stellt heute aber gar nichts mehr her“, erzählt Automatentechniker Michael Hansen. „Deshalb müssen wir ausschließlich auf unsere Lagerbestände zurückgreifen.“ Die seien aber nach wie vor recht üppig bestückt. Und warum hat sich die Firma damals ausgerechnet für diesen Modelleisenbahn-Spezialisten entschieden? „Das Trix-Express-Material galt als das mit Abstand robusteste. Und wenn so eine Anlage im öffentlichen Raum steht, muss man immer mit Leuten rechnen, die etwas zerstören wollen“, sagt Hansen.
Zehn Fahrten für einen Euro
Die Anlage in Duisburg ist aber gut geschützt und von drei Seiten überhaupt nicht berühr- oder einsehbar. Nur die blank polierte Frontscheibe bietet allen Neugierigen die Chance zum Hinsehen. Hinter dem Zehn-Millimeter-Sicherheitsglas schlängeln sich insgesamt vier Rundstrecken mit einer addierten Schienen-Gesamtlänge von rund 35 Metern. Neben dem D-Zug gibt es noch einen Güter- und einen Personenzug. Der mit Abstand modernste Rundendreher ist ein ICE-Modell. „Als es den früher noch gar nicht gab, fuhr hier stattdessen ein TEE – ein Trans Europa Express“, erzählt Firmenchef Hoernig.
Auch preislich hat sich im Laufe der Jahrzehnte etwas verändert. Früher war der Einwurf von Groschen, 50-Pfennig- und Eine-Mark-Stücken möglich. Heute schlucken die in Gelb aufblinkenden Geldschlitze der beiden Münzanlagen ausschließlich Ein-Euro-Münzen. Dafür gibt’s zehn Fahrten, eine dauert 60 Sekunden. „Alles ist für uns teurer geworden. Wir zahlen hier zudem eine Pacht an die Deutsche Bahn. Deshalb mussten wir nun auch preislich mit der Zeit gehen“, begründet Hoernig die Verteuerung.
Dann dreht er sich zu Seite. Denn da ist schon das nächste „große Kind“ stehen geblieben. Der Mittvierziger strahlt, als er die Modelleisenbahn entdeckt und verwundert feststellt: „Mensch, die gibt’s ja immer noch. An der hab ich schon als Junge gestanden.“