Duisburg. . Seit Jahren verlangen Delfinschützer Einblick in Unterlagen des Duisburger Zoos. Sie wollen wissen, warum immer wieder Meeressäuger bei der Nachzucht sterben. Stets hat der Zoo die Anfragen ignoriert. Nun könnte ein Urteil die Wende einleiten.
„Tierquäler“, sagt der eine. „Lügner, Aufwiegler“, erwidert der andere. Beiden Männern geht es angeblich nur um das Wohl der Delfine im Duisburger Zoo. Und trotzdem stehen sich Tierschützer Jürgen Ortmüller (ein Lügner?) und Zoodirektor Achim Winkler (ein Tierquäler?) in einer seit Jahren andauernden Auseinandersetzung als erbitterte Kontrahenten gegenüber.
Es geht dabei um „artgerechte“ Delfinpflege, wissenschaftlichen Fortschritt, ungeklärte Todesfälle, Geld und nicht zuletzt auch um eine Glaubensfrage: Ist es legitim, Delfine zu Unterhaltungs-, Lehr- und Forschungszwecken in Zoos zu halten?
Jürgen Ortmüller ist Geschäftsführer des Wal- und Delfinschutz-Forums (WDSF) mit Sitz in Hagen. Für ihn sind Delfinarien schlichtweg Tierquälerei. Seine Organisation will es nicht hinnehmen, dass Meeressäuger „eingepfercht in Zoos“ leben. „Die biologischen Grundbedürfnisse von Delfinen können in Gefangenschaft nicht erfüllt werden“, behauptet Ortmüller.
Für seinen Feldzug gegen Zoos muss der hartnäckige Delfinschützer jedoch mehr vorbringen als Anschuldigungen. Er braucht unwiderlegbare Fakten, er braucht Zahlen. Und die will er ausgerechnet von seinem Gegenpart bekommen – dem Duisburger Zoo. Ortmüller verlangt Einblick in alle Unterlagen, die Auskunft über die Herkunft, Haltung, Pflege und Versorgung der Delfine geben. Sämtliches Material zu Geburten und Sterbefällen, zur Dosierung und Verabreichung von Medikamenten sowie zu wissenschaftlichen Forschungsarbeiten will er einsehen. Darum bemüht sich der hauptberuflich als Steuerberater tätige Hagener seit Jahren.
Die Stadt Duisburg muss Auskunft geben
Genauso lange ignoriert ihn Zoodirektor Achim Winkler. Er ist Ortmüller gegenüber zu keinerlei Auskünften verpflichtet. Und freiwillig rückt er nichts von dem heraus, was der Mann, der regelmäßig mit einer Gruppe von Delfinschützern vor dem Duisburger Zoo protestiert, haben will.
Die Stadt Duisburg allerdings muss auf Anfragen des WDSF reagieren. Jeder Bürger hat einen Rechtsanspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen von Behörden – auch Jürgen Ortmüller. Das regeln in diesem Fall das Nordrhein-westfälische Informationsfreiheitsgesetz und das Umweltinformationsgesetz. Umweltamt und Veterinäramt der Stadt beaufsichtigen und kontrollieren den Duisburger Tiergarten. Und deswegen flattert bei der städtischen Umweltbehörde regelmäßig Post der Delfinschutz-Organisation WDSF in den Briefkasten. Ortmüller fordert darin Zugang zu den Informationen, die ihm der Zoo bisher verweigert hat.
Bis ins Jahr 2009 reichen die Schriftwechsel zwischen Stadt und WDSF zurück. „Ordnerweise“ habe man Ortmüller inzwischen Bescheide mit sämtlichen Zahlen und Erkenntnissen zukommen lassen, die dem Umweltamt vorlägen, sagt Referentin Susanne Stölting und klingt dabei hörbar genervt. Doch bestimmte Daten seien entweder in ihrer Behörde nicht hinterlegt oder sie würden unter Datenschutzbestimmungen fallen und seien deshalb nicht weitergegeben worden.
In Nürnberg erreichen Delfinschützer Urteil mit Signalwirkung
Dem WDSF reicht das nicht. Und deswegen könnte der Streit nun sogar vor Gericht landen: Ortmüller gegen die Stadt Duisburg. Auftrieb gibt dem Hagener Delfinschützer ein Urteil aus Bayern. Dort hatte die internationale Delfinschutz-Organisation Whale and Dolphin Conservation Society gegen Bescheide der Stadt Nürnberg geklagt. Ihre Mitstreiter verlangten detaillierte Einsicht in die Haltungsunterlagen des Nürnberger Tiergartens. Begründung: Immer wieder sterben Jungtiere der Großen Tümmler bei der Nachzucht. Die Todesfälle seien nicht hinreichend untersucht. Es müsse von unabhängigen Wissenschaftlern ausgeschlossen werden, dass die hohe Todesrate auf die Haltungsbedingungen im Zoo zurückzuführen sei. Nürnberg hatte die Auskünfte mit Verweis auf den Datenschutz abgelehnt. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof gab den Delfinschützern in seinem Urteil letztinstanzlich Recht. Ein Prozess in NRW würde ähnlich ausgehen, frohlockt Ortmüller nun.
Das Duisburger Delfinarium
Seit 46 Jahren werden im Duisburger Zoo Delfine gehalten. Nachdem die ersten vier Großen Tümmler 1965 noch in einer einfachen Halle lebten, errichtete der Zoo bis 1969 das erste Delfinarium in massiver Bauweise. 1995 kam ein weiterer Beckenkomplex hinzu. Er ermöglichte parallel zu Vorführungen die Aufzucht von Jungtieren.
Nach Angaben des Zoos fassen die nunmehr sechs Beckenelemente insgesamt rund 3,1 Millionen Liter Wasser. Die Wasseroberfläche beträgt 960 Quadratmeter. Sechs Große Tümmler leben hier momentan. Bis zu elf Tiere dürften nach den Mindestanforderungen des Bundeslandwirtschaftsministeriums („Säugetiergutachten“) dort gehalten werden. Das Wasser werde biologisch aufbereitet, in der Zusammensetzung ähnele es zu 90 Prozent natürlichem Meerwasser, verlautbart der Zoo.
Drei Tierpfleger kümmern sich täglich um die Delfine, außerdem werden die Säuger von einer Tierärztin betreut.
Zwei bis drei Vorführungen gibt es am Tag. Delfine, die Kunststücke zeigen, belohnen die Tierpfleger mit Fischhappen. Zum Mitmachen gezwungen werde keiner der Meeressäuger, betont der Zoo.
2007 kaufte die RWE Rhein-Ruhr AG die Namensrechte am Delfinarium. Seitdem firmiert es unter dem Titel RWE-Delfinarium.
Bundesweit gibt es Delfine außer am Duisburger Kaiserberg nur noch in besagtem Nürnberger Zoo und in Münster. Doch das Ende des Delfinariums im Münsteraner Allwetterzoo ist besiegelt. 2012 soll es dicht machen. Es ist das vorerst letzte in einer Reihe von bundesweit sieben Delfinarien, die seit den 1990er Jahren schließen mussten. Die enormen Kosten spielen dabei eine entscheidende Rolle. Aber auch Mindeststandards für Beckengrößen und Pflegeaufwand, die einige Delfinarien nicht erfüllen konnten. Die Schwachstelle der modernen Delfinarien in Duisburg und Nürnberg ist eine andere. Es ist die Nachzucht, die die Zoos für Tierschutzorganisationen angreifbar macht.
Neun Delfinbabys sollen in den vergangenen 20 Jahren im Duisburger Zoo gestorben sein. Zwei bis 16 Tage nachdem sie das Licht der Welt erblickt hatten, verendeten sie. Das zumindest sind die Zahlen, die das NRW-Umweltministerium in einem Schreiben an Delfinschützer Ortmüller bestätigt. Der Bescheid vom 19. Juli 2011 liegt unserer Redaktion vor.
Zoodirektor Winkler weist Anschuldigungen von sich
Direkt vom Zoo hätte der WDSF-Geschäftsführer diese Informationen niemals bekommen. „Warum soll ich mich vor einem Lügner wie Herrn Ortmüller rechtfertigen?“ fragt Winkler. Wenn es um „den selbst ernannten Delfinschützer Ortmüller und seine Ein-Mann-Organisation“ geht, hat der Zooleiter sichtbar Mühe, seinen Zorn in Zaum zu halten. Die Anschuldigungen, die Ortmüller gegen seinen Zoo vorbringe, entbehrten jeder wissenschaftlichen Grundlage, sagt der Diplom-Biologe. Ja, zu Beginn der Delfinhaltung in europäischen Zoos seien mangels wissenschaftlicher Erkenntnisse Fehler gemacht worden. Inzwischen sei die Lebenserwartung der Meeressäuger in Delfinarien jedoch mindestens genauso hoch wie bei frei lebenden Delfinen. Auch die Besucherzahlen gäben ihm Recht, findet Winkler. Eine Million Menschen kommen pro Jahr in den Duisburger Zoo. Die meisten, mindestens drei Viertel von ihnen, schätzt er, wollten auch die Delfine sehen.
Auf seinen Internetseiten weist der Tiergarten auf die Schwierigkeiten bei der Nachzucht hin. Auch im Gespräch versucht Zoodirektor Winkler nicht, Sterbefälle zu leugnen. „Es gibt diese Probleme bei der Nachzucht. Das lässt sich nicht wegdiskutieren“, sagt er. Die Erklärung: Delfine hätten nach der Geburt kein funktionierendes Immunsystem. Obwohl die Tierjungen 24 Stunden am Tag in „strikter Quarantäne“ beobachtet würden, seien immer wieder Babys gestorben. Für die Ärzte und Tierpfleger sei das jedes Mal „sehr bitter“, so der Zoodirektor. Die Schuld bei ihnen zu suchen, sei „schlichtweg falsch“.
Bisher hat die Wissenschaft keine geeigneten Mittel gefunden, um alle Neugeborenen zu stabilisieren. Ein Grund, die Nachzucht und damit langfristig auch die Delfinarien aufzugeben, ist das nicht, findet Winkler – im Gegenteil: „Wenn die Wissenschaft lernen will, dann muss sie weiter forschen. Wir arbeiten daran, dass auch unsere Enkel noch Delfine erleben können“, sagt der Zoodirektor. Er sieht sich als Tierschützer. Ortmüller ist seiner Meinung nach „nur ein Tierschwätzer“. „Was tut der denn wirklich für Delfine?“ Der Verband deutscher Zoodirektoren, in dem der Duisburger Zoo Mitglied ist, geht in seinen Schätzungen davon aus, dass weltweit noch 600.000 Große Tümmler vorkommen. Das Tier gilt demnach nicht als gefährdet.
Vier der sechs Großen Tümmler sind im Zoo geboren
Die Anschuldigungen des Hagener Tierschützers gegen den Duisburger Zoo sind immens: In der Vergangenheit seien „sehr wahrscheinlich“ gestorbene Delfine heimlich ausgetauscht worden. Die Delfine würden mit Medikamenten beruhigt, um die belastende Gefangenschaft zu ertragen. Die Großen Tümmler verkümmerten, weil sie in den Becken nicht Hunderte Meter tief tauchen und dutzende Kilometer weit schwimmen könnten. „Kompletter Blödsinn“, erwidert Direktor Winkler. Die in seinem Zoo gehaltene Unterart des Großen Tümmlers sei gemeinhin bekannt dafür, sich oft in Küstennähe aufzuhalten und sich keinen Meter zu weit von Fischvorräten wegzubewegen. Die sechs Tiere in seinem Delfinarium seien gesund, ihre Lebenserwartung sei gut, sie würden regelmäßig fressen und seien nicht verhaltensauffällig, berichtet er. An Medikamenten bekämen die gesunden Meeressäuger lediglich Aufbaupräparate und Vitamine verabreicht. Tiere auszutauschen, an sämtlichen Kontrollinstanzen vorbei? Winkler schüttelt nur den Kopf.
Vier der sechs Großen Tümmler im Duisburger Zoo seien im Tiergarten geboren, sagt der Biologe. Das sei doch ein veritabler Zuchterfolg. Ob seine Quote besser oder schlechter sei als die Überlebensrate von Jungtieren im offenen Meer, sei nicht festzustellen. Die Meeresbiologie wisse bisher zu wenig über junge Delfine in freier Wildbahn. Ein aktiver Umgang mit den Todesfällen – sie allesamt öffentlich zu machen, so wie es Jürgen Ortmüller fordert, dafür sieht Winkler keinen Anlass. „Das ist nichts, womit ich hausieren gehen muss.“