Duisburg. .
Er hat sie bewusstlos geprügelt, doch sie hat ihm immer wieder verziehen: Die 48-jährige Gül hat jahrelang mit einem gewalttätigen Ehemann zusammengelebt. Am Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen erzählt sie ihre Geschichte.
Donnerstag ist der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen. Die 48-jährige Gül erzählt, was sie mit ihrem Mann erlitten hat.
Draußen leuchtet der Weihnachtsmarkt, drinnen in der Frauenberatungsstelle leuchten die roten Wangen von Gül (Name geändert). Die 48-Jährige erzählt aus ihrem Leben, das zwar einen märchenhaften Anfang nahm, aber schnell abrutschte in eine Orgie aus Gewalt. Die Erinnerung malt ihr die Farbe ins Gesicht. Zornesröte. Schamesröte.
„Wir hatten eine rosige Zeit“
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„Wir haben 1981 geheiratet, aus freiem Willen, ohne Zwang, wir hatten eine rosige Zeit“, erzählt sie. Das Paar ging aus der Türkei nach Deutschland, er arbeitete, sie bekam den ersten Sohn. Und dann, eines Tages, machte sie die Tür auf und die Affäre ihres Mannes stand vor ihr. Der darauf folgende Ehestreit endete in einer Schlägerei. Sein schizophrener Vorwurf: Nun wisse seine Freundin ja, dass er verheiratet sei.
Die Schläge folgten in immer kürzeren Abständen. „Aus heiterem Himmel, wegen nichts eigentlich“, beschreibt Gül die Ausraster, wenn sich die Pupillen ihres Mannes verengten. Einmal schlug er sie bewusstlos, rief dann achselzuckend seine Eltern an, sie sollten sich kümmern, seine Frau sei tot. „Meine Schwiegereltern haben versucht, mir zu helfen, aber sie haben nichts erreicht“, erzählt Gül. Zu einem Arztbesuch habe man den Gatten auch nicht überzeugen können.
Er ließ Aggressionen am Sohn aus
Also flüchtete sie mit ihrem Sohn zu einem Cousin, lebte ein paar Jahre in Sicherheit. Doch plötzlich stand wieder ihr Mann vor der Tür, bettelte, sie ließ sich auf eine zweite Chance ein. Diesmal ließ er seine Aggression an seinem Erstgeborenen aus, hinter ihrem Rücken, und das Kind machte aus lauter Angst mit bei den Vertuschungen. „Er sagte immer, er hätte die blauen Flecken, weil er hingefallen ist, und Kinder spielen ja auch wild“, beschreibt sie zerknirscht. Erst als sie ihren Mann erwischte, wie er seinen Sohn züchtigte, weil der ins Bett gemacht hatte, ging ihr ein Licht auf.
Von der Polizei erlebte sie auch keine Hilfe: „Einmal verprügelte mein Mann meinen Sohn und mich. Ich flüchtete mich blutend zu Nachbarn und alarmierte die Polizei, sagte auch noch, wo ich bin, dann wurde ich bewusstlos.“ Die Beamten guckten offenbar nur kurz in die Wohnung, wo inzwischen aufgeräumt war, und gingen wieder. Die bewusstlose Frau suchten sie nicht auf. Da fühlte sie sich noch hilfloser. Das Gewaltschutzgesetz gab es noch nicht, das Frauenhaus kannte sie nicht.
Die Schläge haben Spuren hinterlassen
Drei weitere Söhne gebar Gül von dem Mann mit den zwei Gesichtern. „Er war meist wie ein Engel, aber manchmal wie ein Monster.“ Und gleich nach den Attacken war er wieder voller Scham, entschuldigte sich dutzendfach, und Gül mit ihrem großen Herzen gab immer wieder nach. „Ich kann so schlecht Nein sagen.“
Die vielen Schläge haben Spuren hinterlassen. Ihr linkes Auge ist fast erblindet, rund um den Mund ziehen sich viele kleine Narben, der Schädel hat viel abbekommen, ihr Rücken tut heute noch weh bei dem Gedanken an den Besenstiel. Erst 1997, bei der dritten Trennung, fand Gül über das Jugendamt den Weg ins Frauenhaus. „Das war eine schöne Zeit, hier hab ich meine Trauer verarbeitet, neue Ziele gesetzt.“ Gül hat den Realschulabschluss nachgeholt, eine Ausbildung zur Familienpflegerin und zur qualifizierten Altenpflegerin gemacht, arbeitet heute in der ambulanten Pflege. Damit ist sie ihrem Kindheitstraum, Ärztin zu werden, zumindest ein Stückchen näher gekommen.
Scheidung im Jahr 2007
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Ein weiterer Schritt folgte 2007: die endgültige Scheidung. Auch die Kinder haben kaum noch Kontakt zum Vater. Selbst Hass verspürt sie für den Mann, der sie so lange hat leiden lassen, nicht. Jetzt geht es um sie selbst und die Kinder. Ums Verzeihen. Sich selbst zu verzeihen fällt am schwersten.
Mit ihren Kindern bleibt die Beziehung schwierig, zu schwer wiegen die Vorwürfe. „Sie sehen ihr Leben wie eine Hölle“, beschreibt Gül. Auch unter den inzwischen jungen Männern werde Streit oft handgreiflich gelöst. „Ich sehe meine Kinder jeden Tag, weiß, wie sie gelitten haben und dass ich da mitschuldig bin. Dafür habe ich mich lange gehasst. Lieben kann ich mich immer noch nicht, aber ich komm mit mir klar“, sagt Gül und zeigt ein freundliches Lächeln.
Infos: www.frauen-helfen-frauen.org, T. 0203-3461640