Duisburg-Altstadt. Monatelang Notbetreuung, für Familien ist das Stress pur. Auch die Eltern einer Duisburger Kita sehen rot: Sie haben massive Betreuungsprobleme.
Notbetreuung, das ist, wenn Kitas das Personal ausgeht, wegen einer Anhäufung von Krankheiten oder Urlaub bei den Erziehenden. Notbetreuung, das ist zwangsläufig dann auch, wenn Eltern rot sehen – weil sie ihren Job umlegen oder ihre Kinder bei Freunden, Bekannten oder der Familie unterbringen müssen, wenn es die Möglichkeit gibt.
Eine Herausforderung, die Eltern vom Kindergarten Am Burgacker in Duisburg-Mitte zuletzt geballt ans Ende ihrer nervlichen Belastung geführt hat. Seit Anfang des Jahres bis in den April hinein gab es immer wieder Notbetreuung – und es kann jederzeit wieder passieren.
Kita-Kollaps: Nicht nur die Eltern sind genervt, auch die Kinder sind unglücklich
„Auf einmal wurden die Kinder in zwei Gruppen eingeteilt. Die 15 Kinder, die an dem Tag im Kindergarten waren, kamen in Gruppe A, und mit weiteren Kindern wurde die Gruppe aufgestockt“, sagt Zozan Bluyssen, die Zwillinge in der Einrichtung hat. Die Kinder, die nicht da waren, seien in Gruppe B eingeteilt worden, erzählen die Eltern, die immer wieder betonen, dass sie mit dem Kindergarten und ihren Erziehern sehr glücklich sind. Mit der neuen Notgruppen-Situation seien aber auch die Kinder unglücklich. Dabei wurden nämlich auch Freunde voneinander getrennt, die sich dann im Kindergarten nicht sehen.
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Wenn es in eine Notbetreuung geht, darf zunächst die Gruppe A kommen und das für fünf Tage. Gruppe B muss zu Hause bleiben und ist danach an der Reihe. Das bedeutet für viele Eltern, die beruflich eingespannt sind, dass sie ihren Job nicht ausüben können. „Man kann mal einen Tag fehlen, den kann man nachholen. Aber fünf Tage kann man nicht die Arbeit vor sich herschieben“, sagt Georgi Mitev, der diese Situation mehrere Wochen erlebt hat.
„Wir können nicht mehrfach im Monat fünf Tage ausfallen“
Boyana Baev und ihr Mann haben beide seit April neue Jobs und sind noch in der Probezeit. „Wir können nicht mehrfach im Monat fünf Tage ausfallen“, sagt die Mutter. Auch Ralf Keysselitz kommt in Schwierigkeiten, wenn sein Kind so lange zu Hause bleiben muss. „Ich bin selbstständiger Psychotherapeut, meine Frau angestellte Psychotherapeutin. In den Zeiten der Notbetreuung musste ich deswegen meine Praxis schließen. Das bedeutet einerseits für uns einen erheblichen Verdienstausfall. Andererseits bleiben auch viele Patienten teilweise mit schweren psychischen Erkrankungen unversorgt“, sagt er.
EBW beharrt auf seiner Regelung: Es soll keine Ausnahmen geben
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Der Elternrat ist im Austausch mit dem Träger, dem Evangelischen Bildungswerk (EBW) und auch mit dem Kindergarten. Er hat sich ein Konzept überlegt, damit die Eltern entlastet werden. Dabei sollen die Kinder im Wechsel alle zwei Tage kommen dürfen. Außerdem soll es Nachrückerplätze geben, wenn Kinder im Urlaub oder krank sind. Doch das EBW beharrt auf seiner Regelung. Es solle keine Ausnahmen geben.
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Für Dr. Marcel Fischell, Geschäftsführer des EBW, ist das Problem klar: „Die Schwierigkeit besteht darin, dass das Land für den Notgruppenbetrieb keine anderen Regeln vorsieht als im Regelbetrieb. Wir müssen denselben Fachkräfteschlüssel in Notgruppensituationen vorsehen wie im Regelbetrieb. Das müsste geändert werden.“ Diese Entscheidung liege aber beim Land.
Fischell beruft sich auf den Landschaftsverband Rheinland (LVR). „Der LVR hat den Trägern gesagt, dass die Bedürfnisse der Kinder in den Vordergrund gerückt werden sollen und nicht die der Eltern. Der Landschaftsverband gibt dieses Konzept vor.“ Allerdings sagt LVR-Pressesprecher Till Döring: „Das LVR-Landesjugendamt Rheinland berät Träger zwar zu Notfallkonzepten, in letzter Konsequenz verantwortet der Träger diese aber selbst.“
Auch die Kindergarten-Leitung Claudia Wiese-Kreie erklärt: „Wir haben volles Verständnis für die Eltern, aber für uns gibt es keine Alternative. Ich möchte nicht in der Situation sein, dass sich bei uns ein Kind stranguliert, weil wir nicht genügend aufgepasst haben.“
Sie sagt auch: „Bevor das A-B-System eingeführt wurde, habe ich morgens die Eltern abgefragt, wer welche Betreuung braucht. Das hat zwar funktioniert, aber ich war den ganzen Vormittag beschäftigt und habe eine Liste mit mir rumgetragen, damit ich das Ganze koordiniere.“
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Vieles sei über E-Mail oder Telefon gelaufen. „Das ist ein riesiger Organisationsaufwand. Für uns ist es jetzt einfacher, weil ich nur eine Mail schreiben muss, welche Gruppe dran ist, und ich mich dann meinem eigentlichen Job, der Betreuung der Kinder, widmen kann.“
Kita-Leiterin: „Wir sollen wir aussuchen, wer den meisten Bedarf hat?“
Zu dem Wunsch der Nachrückerplätze fragt Claudia Wiese-Kreie: „Nach welchen Kriterien sollen wir denn aussuchen, wer den meisten Bedarf hat? Wer bin ich, dass ich das entscheiden darf?“ Die ausgebildete Erzieherin meint: „Ich kann mit klaren Regeln besser umgehen. So weiß ich, was ich zu tun habe.“
Das EBW teste momentan dieses System und wolle im August zum neuen Kindergartenjahr eine einheitliche Lösung für die Kitas finden. Bis dahin solle auf jeden Fall das A-B-System geprüft werden. Das ist für die Eltern Am Burgacker nur schwer zu akzeptieren. „Wir wünschen uns eine schnelle Änderung, da wir alle auf dem Zahnfleisch gehen“, sagt Marina Mitev, deren Tochter in den Kindergarten geht.
Claudia Wiese-Kreie: „Alle evangelischen Einrichtungen arbeiten gerade am QM-System. Sie suchen Qualitätsstandards, die für alle gelten sollen.“ Nicht für alle Eltern sei es leicht zu kommunizieren, welche Betreuung sie gerade für ihr Kind benötigen. „Es gibt auch Eltern an bestimmten Standorten, die nicht in der Lage sind, das Ganze mitzuorganisieren, weil sie zum Beispiel nicht der Sprache mächtig sind. Das sind die Familien, die vergessen werden. Die, die laut sind, bekommen ihre Betreuung. Wenn wir über Chancengleichheit sprechen, muss ich auch an die Familien denken, die man nicht hört“, sagt Claudia Wiese-Kreie.
„Das System Kita braucht Geld“
Sie wünscht sich mehr Unterstützung. „Das System Kita braucht Geld“, so die Kita-Leitung, die wie viele Erzieher demonstriert hat, um der Politik die Augen zu öffnen, dass es zu einem Zusammenbruch des Systems kommen wird.
Das sagt auch Dr. Marcel Fischell: „Wir brauchen eine gesellschaftliche Diskussion darüber, was unser Kita-System noch leisten kann und welchen Ansprüchen wir gerecht werden können und welchen nicht.“
Für den Geschäftsführer des Evangelischen Bildungswerks ist klar, dass die Landespolitik handeln muss: „Wir haben ein System, das völlig überfordert ist. Wir haben einen Kita-Kollaps.“ Er wünscht sich eine Diskussion darüber, „dass wir die entsprechenden Vorschriften mit Blick auf Notsituationen flexibilisieren. Das würde die Situation entschärfen“.
Momentan entwickele man ein System, das den Eltern helfen solle: ein Ampelsystem. „Dann können Eltern sehen, wie die personelle Situation am Standort gerade ist“, sagt Fischell. Das System werde den Elternbeiräten jetzt im Mai vorgestellt und solle im August umgesetzt werden.
Das alles hilft den Eltern Am Burgacker momentan nicht. Sie können nur hoffen, dass es zum Sommer hin weniger Notbetreuung geben wird und die Erzieher gesundheitlich durchhalten – damit sie nicht wieder fünf Tage am Stück schauen müssen, wie sie ihr Kind betreut bekommen.