Duisburg. In der Stahlindustrie stehen Standorte auf dem Spiel. HKM bangt um seine Zukunft. Warum Bärbel Bas Thyssenkrupp-Chef López einen Lügner nennt.
Welche Standorte und wie viele Arbeitsplätze durch die Reduzierung der Stahlproduktion bei Thyssenkrupp Steel Europe (TKSE) sterben, ist ungewiss. „Es wird einen Plan geben, der uns nicht gefällt“, sagt Ali Güzel, der TKS-Betriebsratsvorsitzende über ein industrielles Konzept, das die Arbeitnehmerseite vermisst. Bei der Protestkundgebung am Dienstag in Bruckhausen wurde deutlich: Besonders zittern in Duisburg die 3000 Beschäftigten der Hüttenwerke Krupp-Mannesmann (HKM).
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Die Transformation ist für die HKM eine existenzielle Frage
Etwa ein Drittel der Belegschaft aus der Hütte im Duisburger Süden steht am Vormittag unter den laut Polizei 6000 is 8000 Menschen auf der Wiese vor der TKS-Hauptverwaltung. Auf der Bühne geht es immer wieder um ihr Unternehmen, dessen Gesellschafter Thyssenkrupp (50 %), Salzgitter (30 %) und Vallourec (20 %) sind. Letzterer scheidet bald aus. Ob ein neuer Investor kommt, vielleicht sogar der tschechische Milliardär Daniel Kretinsky, der 20 Prozent von TKS erwerben soll – das ist eine der vielen offenen Fragen.
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„Wir wissen nichts“, sagt Marco Gasse, der ein flammendes Plädoyer für seine Hütte hält. „Prüft nur der Vorstand von Thyssenkrupp oder prüfen schon andere mit?“, fragt er. Gemeint ist der Bau einer Direktreduktionsanlage. Nur der Einstieg in die grüne Stahlproduktion sichert Jobs und Zukunft des zweitgrößten deutschen Stahlunternehmens. Dass die Gesellschafter Kosten in Millionenhöhe für die Planung genehmigten, wurde als Hoffnungszeichen gewertet, doch die Entscheidung über die Umsetzung steht aus.
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„Die Transformation muss kommen“, ruft Gasse in die Menge, erinnert an Zugeständnisse der Belegschaft, die in der Hoffnung auf Investitionen ausgehandelt wurden. Die Zukunftsrechnung ist einfach: Ende der 2020er Jahre erreicht der erste von zwei Hochöfen das Ende seiner Laufzeit. Erfolgt der Umstieg auf die Direktreduktion nicht, tickt die Uhr für das Ende der HKM.
Gretchenfrage: Wer stemmt die Milliarden-Investition für die Hütte im Duisburger Süden?
Längst gibt es Signale aus der Politik, die umweltfreundliche Produktion über die Klimaschutz-Verträge zu fördern. Die Krux bleibt die Investition von zwei bis drei Milliarden Euro. Dass sie, wie im Duisburger Norden, auch im Stadtsüden zu zwei Dritteln vom Staat gefördert wird, ist wohl ausgeschlossen. Ob und wie die Finanzierung werden soll, dazu hat sich Thyssenkrupp bisher nicht geäußert. Er sehe zunächst die Essener in der Pflicht, sagte Salzgitter-Chef Gunnar Groebler dieser Zeitung im März.
Die Reaktionen auf die Kommmunikation des Konzernchefs Miguel López sind am Dienstag auch aus Richtung HKM scharf. Von einer „Sauerei sondergleichen“, spricht Marco Gasse, er fordert „Teilhabe und Gestaltung auf Augenhöhe“ ein. Der Betriebsratschef betont die Bedeutung der HKM „als zentrales Scharnier für die Belieferung einiger Werke von Thyssenkrupp Steel“.
Bärbel Bas wird deutlich: „Thyssenkrupp-Konzernchef Miguel López lügt“
In Video-Einspielungen auf der Bühne üben andere TKSE-Werke den Schulterschluss mit ihrem Vormaterial-Lieferanten. Keine Standorte gegeneinander ausspielen, das ist auch die Botschaft von Knut Gießler. Die IG Metall werde nur einem Konzept zustimmen, „dass die HKM ausdrücklich mit einbezieht“, versichert der NRW-Chef der Gewerkschaft.
„Ankündigungsweltmeister“, nennt er Konzernchef López, erinnert an dessen Namensvettern Ignacio López, „der Opel und VW fast zugrunde gerichtet hat“.
Polemik ist nicht die Sache von Bärbel Bas. Als Aufsichtsrätin von HKM ist die Bundestagspräsidentin mit der Lage des Werks bestens vertraut. Sie ist stocksauer auf Thyssenkrupp-Konzernchef López: „Wir werden seit Monaten hingehalten, es gibt keine Aussagen, null Information. Dass wir ausreichend informiert worden sind, ist eine Lüge.“
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HKM-Betriebsrat warnt „vor einem zweiten Rheinhausen“
Es müsse „aufhören, dass wir nur scheibchenweise informiert werden“, schimpft Bas. „Ich erwarte Informationen über das Kleingedruckte in den Vereinbarungen mit Kretinsky. Das Management muss schnellstens sein Büro verlassen und verhandeln.“ Den Thyssenkrupp-Vorstand erinnert sie daran, „dass wir gegen Widerstände für die Unterstützung gekämpft haben“.
Auch im Duisburger Rathaus ist klar: In den nächsten Monaten geht es um die Zukunft des Standorts. „Die Stahlstadt Duisburg steht hinter euch“, hatte OB Sören Link als erster Redner den Belegschaften versichert.
Marco Gasse erinnert an den Kampf um die Krupp-Hütte in Rheinhausen vor bald 40 Jahren, der sich in das kollektive Gedächtnis der Stadt eingebrannt hat. Der HKM-Betriebsratschef erinnerte an viele Kruppianer, die danach zur Hütte im Duisburger Süden wechselten: „Lassen Sie es nicht zu einem zweiten Rheinhausen kommen.“