Duisburg. Die Stadtwerke Duisburg verkaufen Erdgas als klimaneutral. Dazu nutzen sie fragwürdige Zertifikate. Was Kunden über Ökogas-Tarife wissen müssen.

Mit Erdgas heizen – und gleichzeitig das Klima schützen: Für ein gutes Gefühl im warmen Zuhause haben Kunden der Stadtwerke Duisburg über Jahre hinweg sogenannte Ökogas-Tarife beim heimischen Energieerzeuger abgeschlossen. Sämtliche CO₂-Emissionen wollten die Stadtwerke ausgleichen, versprachen Klimaneutralität. Nur: Klimaneutrales Erdgas gibt es nach Einschätzung von Experten nicht.

Stadtwerke Duisburg kaufen fragwürdige CO₂-Zertifikate

Der Kauf des sauberen Gewissens ist ein schmutziges Geschäft. Das legen umfassende Recherchen des gemeinnützigen Journalismus-Netzwerks Correctiv nahe. Für 116 deutsche Gasversorger weist die Recherche nach: Für das Versprechen vom Ökogas wurden, teilweise über Jahre hinweg, äußerst fragwürdige CO₂-Gutschriften gekauft. Auf der Liste von Correctiv stehen auch die Stadtwerke Duisburg. In einer Kooperation von Correctiv.Lokal und WAZ-/NRZ-Lokalredaktion Duisburg blicken wir hinter das Geschäft mit den Zertifikaten.

Greenwashing nennt sich das Vorgehen, wenn Konzerne und Unternehmen Produkte verkaufen, die sie als grüner anpreisen, als sie sind. Wie Erdgas, einen fossilen Energieträger: Teil des Problems Klimakrise. Jedes Grad Wohnungstemperatur, das durch Verbrennen von Erdgas entsteht, befeuert mit seinen CO₂-Emissionen nachweislich die weitere Erhitzung der Erde.

Erdgas von den Stadtwerken Duisburg: angeblich „klimaneutral“, „alles öko“

Was aber, wenn diese Emissionen ausgeglichen werden? Für den Kunden ein beruhigender Gedanke. Kein Wunder, dass Thomas Kehler, Sprecher der Duisburger Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft (DVV), konstatiert: Die Ökogas-Tarife der Stadtwerke „verzeichnen eine kontinuierliche Nachfrage unserer Kundinnen und Kunden“. 2021 werben die Stadtwerke im hauseigenen Magazin „km 780“: „Zertifizierten Ökostrom und klimaneutrales Erdgas ... bieten die Stadtwerke Duisburg schon lange.“ Das Versprechen für die Ökogas-Tarife: „Wir neutralisieren die Menge an CO₂, die dabei anfällt.“

Das Kraftwerk der Stadtwerke Duisburg in Wanheim wird mit Erdgas betrieben.
Das Kraftwerk der Stadtwerke Duisburg in Wanheim wird mit Erdgas betrieben. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Den Verkauf des sogenannten Ökogases betreiben die Stadtwerke nicht nur unter eigenem Namen, sondern auch über ihre deutschlandweit aktive Online-Marke R(h)einpower und ihre Tochter-GmbH EnergieGut. „Klimaneutrales Erdgas“, „alles öko“: So bewirbt R(h)einpower, die Online-Marke der Stadtwerke Duisburg, auch aktuell Tarife mit den umweltschonend klingenden Namen „Mein Gas Natur“.

Die Stadtwerke selber verzichten auf ihrer Homepage inzwischen auf solche Begriffe; jegliche Hinweise auf eine angebliche Klimaneutralität sind verschwunden. Warum die Seite um Werbung mit „klimaneutralem“ Erdgas bereinigt wurde, darauf gibt es keine Antwort.

DVV-Sprecher Thomas Kehler äußert sich lediglich so: „In der Vermarktung der entsprechenden Gastarife verhalten wir uns zurückhaltender als andere Marktteilnehmer und weisen potenzielle Kundinnen und Kunden transparent darauf hin, dass mit diesen Tarifen weltweite Klimaschutzprojekte unterstützt werden.“

Geblieben ist vom ursprünglichen „klimaneutralen“ Erdgas lediglich der Verweis auf „Unterstützung von Klimaschutzprojekten“, nur ein Zertifikat gibt weiterhin eine „Klimaneutralstellung der Ökogasprodukte der Marken R(h)einpower und Stadtwerke Duisburg AG“ an, aktuell für das Lieferjahr 2023.

Dabei gibt es ein Problem.

Das Recherchenetzwerk Correctiv hat, im Austausch mit Wissenschaftlern des New Climate Institute, der ETH Zürich, der Berkeley University, dem Öko Institut in Berlin, der Deutschen Umwelthilfe (DUH) und anderen Experten, die öffentlichen Kompensationsregister Verra und Gold Standard ausgewertet, für 150 deutsche Gasversorger im Zeitraum von 2011 bis 2024.

Wissenschaftler: Stadtwerke Duisburg kauften fragwürdige CO₂-Zertifikate

116 Energieversorger, darunter die Stadtwerke Duisburg, haben demnach CO₂-Gutschriften aus Projekten gekauft, die laut Wissenschaftlern höchstwahrscheinlich gar kein Kohlendioxid eingespart haben – oder deutlich weniger als von den Projektentwicklern berechnet. Die Konsequenz: Mit hoher Wahrscheinlichkeit wurden Millionen Tonnen schädlicher Klimagase weniger eingespart als von den Gasversorgern gegenüber ihren Kunden behauptet.

Das neue Kraftwerk der Stadtwerke Duisburg in Hochfeld kann perspektivisch auch mit Wasserstoff betrieben werden.
Das neue Kraftwerk der Stadtwerke Duisburg in Hochfeld kann perspektivisch auch mit Wasserstoff betrieben werden. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Gut 73.000 Tonnen weniger CO₂-Emissionen hatten die Stadtwerke Duisburg ihren Ökogas-Kunden versprochen: 73.154 fragwürdige Gutschriften haben sie für ihre Erdgas-Tarife in den vergangenen Jahren gekauft. Eine Gutschrift entspricht einer Tonne CO₂. Da die Projekte, zwei Flusskraftwerke in Indien, laut wissenschaftlicher Einschätzung nicht zur Kompensation geeignet sind, wurde dieses Versprechen höchstwahrscheinlich nicht gehalten.

DVV-Sprecher Thomas Kehler beruft sich darauf, dass die Stadtwerke Duisburg „beim Einkauf den im Markt verwendeten Verified Carbon Standard (VCS) nutzen, den auch Wettbewerber verwenden“. In der Tat ist VCS der weltweit meistverbreitete Standard für den Handel mit CO₂-Emissionen, die dahinter stehende Organisation Verra ist globaler Marktführer auf diesem Gebiet.

Und höchst umstritten.

Darum sind die CO₂-Zertifikate der Stadtwerke Duisburg problematisch

2023 enthüllten Recherchen von Zeit und Guardian, dass (in diesem Fall für Waldschutzprojekte) die meisten der gehandelten CO₂-Zertifikate wertlos waren, weil sie eben keine klimaschädlichen Gase einsparten. Wenige Monate nach Veröffentlichung der Recherche trat der Chef von Verra zurück, etliche Unternehmen stellten ihre Werbung mit Begriffen „klimaneutral“ ein, die auf Verra-Zertifikaten beruht hatte.

Verra hat auch die CO₂-Zertifikate herausgegeben, die die Stadtwerke Duisburg für ihre sogenannten Ökogas-Tarife eingekauft haben. All diesen Tarifen, auch bei R(h)einpower und EnergieGut, liegen nach den Daten von Correctiv zwei Wasserkraftwerke in Indien zugrunde.

Warum aber soll der Bau zweier Flusskraftwerke in Indien nicht dazu beitragen, die Welt klimaschonender und Erdgas-Heizungen weniger klimaschädlich zu machen?

Co2-neutrales Erdgas dank Flusskraftwerken in Indien? Warum das nicht stimmt

Nach der Einschätzung von Benedict Probst, Wissenschaftler und Leiter des Net Zero Labs am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb in München, wären beide Projekte „mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auch ohne die Einnahmen aus dem Verkauf von CO₂-Zertifikaten“ umgesetzt worden. Sprich: Die beiden Flusskraftwerke in Indien wären ohnehin gebaut worden – auch ohne die „Ökogas“-Tarife der Duisburger Stadtwerke.

Zusätzlichkeit aber ist eines der wichtigsten Kriterien, wenn es um Kohlendioxid und andere klimaschädliche Gase geht: Wird ein Flusskraftwerk gebaut, das auch ohne einen Cent aus dem Verkauf von CO₂-Zertifikaten errichtet worden wäre, tragen die entsprechenden Zertifikate nicht zum Klimaschutz bei. Es gewinnt dann nicht die Umwelt, sondern nur der Verkäufer der Zertifikate.

Das Fazit von Benedict Probst zu den beiden Projekten in Indien, aus denen die Stadtwerke-Gutschriften stammen, lautet: Sie sind „zur Kompensation nicht geeignet“.

Stadtwerke Duisburg: Ökogas-Tarife werden weiterhin angeboten

Die Stadtwerke sehen das anders. Ökogas-Tarife sollen auch weiterhin angeboten werden, laut Thomas Kehler gibt es „keine Pläne, diese Tarifangebote einzustellen“. Der DVV-Sprecher weiter: „Auf unserer Internetseite ist die Unterstützung der Klimaprojekte transparent auf den jeweiligen Produktseiten kenntlich gemacht und mit Entwertungsnachweisen für Klimaschutzprojekte hinterlegt. Die Ausgabe und der Besitz dieser Zertifikate werden in einem Register durch die Verwendung eindeutiger Seriennummern nachverfolgt, um Doppelzählungen oder Doppelkäufe zu verhindern.“

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Eine solche Seriennummer allerdings sagt nichts darüber aus, ob das entsprechende Klimaschutzprojekt wirklich zusätzlich entstanden ist – ob also dank der Zertifikate überhaupt CO₂ eingespart wurde.

Claudia Kemfert, Umweltökonomin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), bewertet Ökogas-Tarife wie die der Stadtwerke Duisburg so: „Kunden wähnen sich in falscher Sicherheit, dass ihr erworbenes Erdgas umweltfreundlicher ist und dem Klima weniger schadet. Dabei kann echter Klimaschutz nur durch den Umstieg weg vom fossilen Erdgas erfolgen. Es gibt nicht wirklich klimaneutrales Erdgas, auch wenn CO₂-Emissionen kompensiert werden.“

Kemferts Urteil: „Klimaneutrales Erdgas als Werbeversprechen ist eher ein Narrativ, um die fossilen Geschäftsmodelle länger aufrechtzuerhalten.“

Diese Recherche ist Teil einer Kooperation von WAZ-/NRZ-Lokalredaktion Duisburg und Correctiv.Lokal. Das Lokaljournalismus-Netzwerk recherchiert zu verschiedenen Themen, darunter in einem Schwerpunkt über die Klimakrise. Weitere Informationen gibt es online auf correctiv.org/klima.

>> STADTWERKE UND DVV WOLLEN BIS 2035 KLIMANEUTRAL SEIN

  • Wie viele Kunden von den Stadtwerken Duisburg, R(h)einpower oder EnergieGut einen sogenannten Ökogas-Tarif beziehen, dazu macht die DVV keine Angaben.
  • Nach eigenen Angaben haben die Stadtwerke CO₂-Emissionen in ihren Erzeugungsanlagen seit 1990 um über 70 Prozent gesenkt. DVV-Sprecher Thomas Kehler sagt: „Damit sind wir den deutschen Klimaschutzzielen weit voraus.“
  • Als Unternehmen des DVV-Konzerns sind die Stadtwerke Bestandteil des Klimaschutzprogramms DVV 2035: Bis dahin will der kommunale Konzern klimaneutral sein. 110 Einzelmaßnahmen in den Bereichen Strom, Wärme und Verkehr sollen dafür sorgen.
  • Ab 2035 will die DVV so eine Million Tonnen CO₂ pro Jahr sparen – aus eigener Kraft und ohne den Einkauf von CO₂-Zertifikaten.