Duisburg/New York City. Pianist Emmet Cohen eröffnet in Duisburg das Klavierfestival Ruhr. Im Interview erklärt er, warum es manchmal am besten ist, nichts zu spielen.

Macht ein junger Musiker Eindruck und feiert Erfolge, ist er ja schnell mal die „Zukunft seines Genres“. Beim amerikanischen Jazzpianisten Emmet Cohen kann man dieses Prädikat guten Gewissens und ohne Zweifel vergeben: Der 33-Jährige hat mit den großen Meistern gespielt, ist in den New Yorker Jazzclubs zu Hause und vereint den traditionellen Jazz ganz selbstverständlich mit dem modernen. Während der Pandemie rief er „Live From Emmet‘s Place“ ins Leben, eine Youtube-Konzertreihe aus seinem Wohnzimmer in Harlem. Die mittlerweile 100 Folgen mit wechselnden Jazzstars erreichen jeweils mehrere hunderttausende Zuschauer, die beliebtesten Videos sogar mehrere Millionen.

Am 26. April eröffnet Emmet Cohen mit seinem Trio – Philip Norris am Bass und Kyle Poole am Schlagzeug – das diesjährige Klavierfestival Ruhr in der Duisburger Mercatorhalle. Wir haben uns mit dem Jazzpiano-Senkrechtstarter zum Interview verabredet und gefragt: Wie vereint man Tradition und Moderne? Wie beeinflusst die europäische Klassik den Jazz? Und wie unterscheidet sich das deutsche Publikum eigentlich von dem in New York?

Mr. Cohen, Sie sind Vertreter einer seltenen Gattung: Ein Youtube-Jazzstar. Wie ist „Live From Emmet’s Place“ entstanden?

Das war natürlich der Pandemie geschuldet. Es gab keine Auftritte mehr. Wir haben einfach versucht, eine Lösung zu finden. Eines Tages saß ich mit meinem Bassisten Russell (Hall) zusammen und wir haben uns gesagt: Wir sollten einfach das machen, was wir am besten können. Musik machen. Ich lebe in Harlem, hier gibt es viele Musiker und weniger Regeln. In den 1920ern, in den Roaring Twenties war hier, genau in diesem Block, viel los, wilde Partys, viel Musik. Jetzt sind wir wieder in den Roaring Twenties, im selben Block, mit derselben Musik von damals. Wir haben uns einfach entschieden, drinnen zu spielen, haben die Videos hochgeladen – und die sind dann sehr populär geworden.

Sie begleiten viele verschiedene Musiker, die viele verschiedene Stile spielen. Wie schaffen Sie es, so vielseitig zu sein, sich an diese Stile anzupassen?

Das Wichtigste: Erfahrung. Ich hatte in der Vergangenheit die Möglichkeit, mit vielen verschiedenen Musikern aus der ganzen Welt zu spielen, die ganz unterschiedliche Stile spielen. Mit tollen Sängern wie Kurt Elling und Veronica Swift, mit Drummern wie Herlin Riley, oder auch mit Bassist Christian McBride, in einer Band ohne Schlagzeug, nur Piano, Gitarre und Bass. Ich konnte mit so vielen Jazz-Meistern spielen, Jimmy Heath, Ron Carter, Jimmy Cobb, Benny Golson. Diese Erfahrungen haben mich vorbereitet, auf die Entscheidungen, die ich treffen muss, wenn ich improvisiere oder begleite, wann ich führen muss, wann ich folgen muss. Es ist wie immer im Leben: Man muss verstehen, was ein Moment braucht, man muss wirklich zuhören, empathisch sein. Ich stelle mir immer die Frage: Was kann ich in diesem Moment spielen, um alle um mich herum besser klingen zu lassen? Das heißt manchmal auch, gar nichts zu spielen.

Live from Emmet’s Place: Wir haben den amerikanischen Jazzpianisten Emmet Cohen per Videotelefonie zum Interview getroffen – natürlich in seinem New Yorker Wohnzimmer, aus dem er mit seinen Konzerten Millionen von Menschen erreicht.
Live from Emmet’s Place: Wir haben den amerikanischen Jazzpianisten Emmet Cohen per Videotelefonie zum Interview getroffen – natürlich in seinem New Yorker Wohnzimmer, aus dem er mit seinen Konzerten Millionen von Menschen erreicht. © ZOOM | Jonas Schlömer

Ihr Stil lässt sich ja im weitesten Sinne als „modernes Jazzklavier“ zusammenfassen. Bei Ihnen hört man aber auch oft traditionelle Einflüsse, sogar Ragtime. Wie kamen diese Einflüsse in Ihr Spiel?

Das kam nach und nach. Ich bin nach New York gezogen, habe damals viel Cedar Walton, Ahmad Jamal und Oscar Peterson gehört. Aber je mehr Menschen ich getroffen habe, desto mehr habe ich mich auch für andere Stile interessiert. Ich habe die Tiefe in der Musik von Louis Armstrong und Fats Waller verstanden, und ich wollte die Musik dieser Leute authentisch spielen können. Ich wollte einfach die Musik spielen können, die ich selbst genieße.

Diese Dualität der Stile kann man auf dem aktuellen Album „Uptown in Orbit“ gut hören, vom traditionellen „Finger Buster“ zum modernen „Uptown in Orbit“. Wie schaffen Sie das, so schnell zwischen den Stilen zu wechseln?

Ich verstehe das gar nicht als „wechseln“. Ich verstehe das als spielen. Alles ist Musik, ich suche nach den Gemeinsamkeiten, nicht nach den Unterschieden, das war auch das Konzept hinter dem Album. Mein Ziel ist es, musikalisch inklusiv und nicht exklusiv zu sein. Um in die Zukunft zu gehen, muss man sich mit der Vergangenheit beschäftigen.

Eine unfaire Frage, aber ich muss sie stellen: Wer hat Ihre Musik am meisten beeinflusst?

So viele Musiker. Frühe Einflüsse waren Oscar Peterson und Monty Alexander, ich habe Herbie Hancock und McCoy Tyner gehört, Bill Evans und Brad Mehldau. In New York kam der frühe Jazz dazu, Willie „The Lion“ Smith ist ein großer Einfluss, unter den jüngeren Pianisten ist Sullivan Fortner ein echter „Gamechanger“. All das habe ich in meinen Stil einfließen lassen. Art Tatum, Barry Harris, mir fallen so viele ein, Monk natürlich, generell Bebop, Hank Jones, die Art wie er die Tasten berührt hat. In verschiedenen Phasen meines Lebens gab es immer ein oder zwei Pianisten, die ich besonders studiert habe.

Apropos Einflüsse: Sie haben sich auch mit der europäischen Klassik beschäftigt. Wie beeinflusst das die Art und Weise, wie Sie Jazz spielen?

Klassische Musik ist die Grundlage für alles. Nichts von der Musik, die ich spiele, würde ohne sie existieren. Bach war der erste Improvisator, es gibt eine Menge Parallelen zwischen seiner Musik und Bebop, all diesen Stilen. Klassische Musik hat mir bei meinem Verständnis der Harmonik geholfen, bei meinem Verständnis des Klaviers, bei meiner Technik. Gerade Chopin hat mich gelehrt, wie ich lyrische Linien spielen kann.

Sie waren schon öfter in Europa, auch in Deutschland. Wie haben Sie das Land wahrgenommen, die Menschen?

Die Menschen, die Musik lieben, die Jazz lieben, das sind eigentlich überall auf der Welt dieselben. Das sind Menschen, die gute Dinge für die Welt wollen, Frieden, Liebe, Einheit und Vielfalt. Mein Verständnis meines Berufs als Jazzmusiker ist das eines kulturellen Botschafters. Ich liebe es, zum Beispiel die deutsche Kultur zu erleben und die Menschen an meiner Kultur teilhaben zu lassen.

Sie spielen oft und viel in New Yorker Jazzclubs. Wie unterscheidet sich das Publikum dort von dem in Europa, in Deutschland?

Das kann man gar nicht so genau sagen. Manchmal hat man ein komisches Publikum in New York, manchmal ein komisches Publikum in Europa, mal wirklich tolle Zuhörer, hier und in Europa. Generell ist es aber so, dass die New Yorker dieses große Angebot an Jazzclubs und hochklassiger Musik gewohnt sind, da ist es für sie hin und wieder nichts Besonderes mehr. Ich glaube, dass deutsches Publikum die Musik vielleicht ein bisschen mehr zu schätzen weiß, weil es sie dort eben nicht jeden Tag gibt.

Dürfen Sie schon verraten, was sie beim Eröffnungskonzert des Klavierfestivals Ruhr am 26. April spielen werden?

Wir haben ein ziemlich großes Repertoire. Wir werden Songs von „Uptown in Orbit“ spielen, aber auch Standards. Wir gehen oft auch ganz ohne Setlist auf die Bühne. Wir haben gerade tolle Arrangements von „Time On My Hands“ und „Surrey With The Fringe On Top” aufgenommen, und einen neuen Song von mir, „Lions Song“. Vielleicht spielen wir auch Stücke auf Zuruf, wer weiß.

>> EMMET COHEN UND MEHR: DAS KLAVIERFESTIVAL RUHR 2024

  • Neben dem Emmet Cohen Trio warten beim Klavierfestival Ruhr noch einige Highlights mehr auf Jazzfans
  • Zu Gast sind, unter anderem, Brad Mehldau (27. April), Omar Sosa mit Paolo Fresu (15. Mai), das Tingvall Trio (13. Juni), Michael Wollny (22. Juni) und Jason Moran mit der HR-Bigband (16. Juli).
  • Mehr Informationen zu allen Konzerten und den Ticketshop gibt es im Internet unter klavierfestival.de.