Duisburg. Im Prozess um die Schießerei auf dem Hamborner Altmarkt begegnet die Justiz einer harten Clan-Regel. Hells Angel Oktay K. äußert sich erstmals.

Um die Hintergründe der Schießerei auf dem Hamborner Altmarkt im Mai 2022 in Duisburg ranken sich wilde Gerüchte. Warum eskalierte das Aufeinandertreffen zwischen Rockern der „Hells Angels“ und Mitgliedern eines berüchtigten türkisch-libanesischen Familienclans derart, dass insgesamt 28 Schüsse fallen? Das Gericht stößt auf ein eisernes Schweigen, das nur von einem Geständnis gebrochen wird.

Für Oktay K. und Kamil D. (beide 39 Jahre alt) geht es in dem Prozess um viel: Auf dem Marktplatz im Duisburger Norden waren sie vor fast zwei Jahren Gegner, sollen beide mehrfach geschossen haben. Vier Männer wurden dabei verletzt. Nun sitzen sie nur durch einen Wachtmeister getrennt auf der Anklagebank nebeneinander. Versuchten Mord, Körperverletzung, Landfriedensbruch und unerlaubten Waffenbesitz wirft die Staatsanwaltschaft den beiden vor.

Der zweite Verhandlungstag zeigte: Auf Zeugenaussagen, die das mutmaßliche Clan-Mitglied Kamil D. oder den Rocker Oktay K. belasten, kann die Anklage nicht bauen. In den Großfamilien gilt, ähnlich wie in den italienischen Mafia-Familien, die „Omertà“, die Schweigepflicht.

Prozess in Duisburg: Clan-Umfeld schweigt zur Schießerei am Hamborner Altmarkt

Und an die halten sich alle Beteiligten bislang strikt. Der 68 Jahre alte Vater von Kamil D. verweist mit starkem Akzent und knappen Worten auf das Verwandtschaftsverhältnis.

Ein 21 Jahre alter Gärtner möchte nichts sagen, da er in dem Ermittlungskomplex wie 50 weitere Männer als Beschuldigter gilt und sich nicht selber belasten möchte. Das trägt sein Anwalt aus Essen für ihn vor. Auf diesen Paragrafen 55 in der Strafprozessordnung zieht sich auch ein 22-jähriger Auslieferungsfahrer zurück.

Beide jungen Männer erscheinen in teuren Jeans und Winterjacken. Sie sollen in einer gemeinsamen Whatsapp-Gruppe mit Mitgliedern des bekannten Clans aufgefordert worden sein, an dem Frühlingsabend am Altmarkt zu erscheinen. Trotz ihres vermeintlichen Mitwirkens bei der Eskalation dürften sie sprechen, wollen es jedoch nicht. „Das wird uns an den kommenden Verhandlungstagen mit Zeugen aus beiden Lagern wohl häufiger begegnen“, glaubt Richter Mario Plein.

Spielt das Schweigen den Verteidigern in die Karten?

Den insgesamt fünf – zum Teil erfahrenen – Verteidigern scheint das eiserne Schweigen für ihre Strategien in die Karten zu spielen. Denn so müssen die Beweise die Schuld ihrer Mandanten untermauern. Das tun sie zum Teil möglicherweise auch: In den Wohnungen der beiden Männer stießen die Ermittler bei deren Festnahmen auf echte Waffenarsenale mit Messern, Schwertern und Pistolen. Die Tatwaffen sollen allerdings nicht darunter gewesen sein.

Kamil D. im Gespräch mit seinen Verteidigern. Geht ihre Taktik bislang auf?
Kamil D. im Gespräch mit seinen Verteidigern. Geht ihre Taktik bislang auf? © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Zudem liegen den Behörden zahlreiche Videoaufnahmen vom Tatabend vor. Das Bildmaterial belastet wohl vor allem Oktay K.. Denn bevor es gezeigt wird, lässt der muskulöse Mann über seinen Verteidiger ausrichten: Er sei „der Schütze“ gewesen. Laut Anklage habe auch Kamil D. bereits seine Waffe in der Hand gehalten, als der lautstarke Streit eskalierte.

Insgesamt acht Videosequenzen werden am Donnerstagvormittag im Gerichtssaal abgespielt. Sie zeigen unter anderem, wie sich eine Gruppe Männer – nach Informationen unserer Redaktion die Rocker – vor einem Klinkerbau sammeln, die Eskalation samt Schusssalven und die Flucht eines Trios über eine Nebenstraße.

Worum es bei dem verabredeten Treffen am 4. Mai gegangen sein soll, ist öffentlich immer noch nicht bekannt. Gerüchten nach soll es Unstimmigkeiten über Schutzgeldzahlungen für ein Lokal im Bereich des Hamborner Altmarkts gegeben haben. Ein Dönerladen wurde an dem Abend verwüstet. Pikant: Dessen Betreiber soll ebenfalls geschossen haben. Anschließend ist er untergetaucht.

Ob die Hintergründe der Schießerei in dem Prozess ans Licht kommen, ist nach den bisherigen Eindrücken offener denn je.

Schießerei in Duisburg: Durchsuchungen noch in der Nacht

Etliche Polizisten untersuchten den Tatort, nachdem Zeugen am Mittwochabend eine Schießerei auf dem Altmarkt in Duisburg-Hamborn gemeldet hatten.
Etliche Polizisten untersuchten den Tatort, nachdem Zeugen am Mittwochabend eine Schießerei auf dem Altmarkt in Duisburg-Hamborn gemeldet hatten. © dpa | Roberto Pfeil
Nach ersten Angaben waren bis zu 100 Männer an der blutigen Eskalation beteiligt. Vier Menschen wurden verletzt, Lebensgefahr besteht nicht.
Nach ersten Angaben waren bis zu 100 Männer an der blutigen Eskalation beteiligt. Vier Menschen wurden verletzt, Lebensgefahr besteht nicht. © dpa | Roberto Pfeil
Dort wurde das Mobiliar zerschlagen und das Schaufenster zerstört.
Dort wurde das Mobiliar zerschlagen und das Schaufenster zerstört. © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser
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© FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser
Bei den Beteiligten soll es sich um polizeibekannte Milieu-Größen aus der Rocker- und Clanszene handeln.
Bei den Beteiligten soll es sich um polizeibekannte Milieu-Größen aus der Rocker- und Clanszene handeln. © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser
Auch die Spurensicherung war mit einem Großaufgebot vor Ort.
Auch die Spurensicherung war mit einem Großaufgebot vor Ort. © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser
Die Feuerwehr leuchtete den Tatort aus.
Die Feuerwehr leuchtete den Tatort aus. © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser
15 Beteiligte wurden verhaftet. Eine Mordkommission hat die Ermittlungen übernommen.
15 Beteiligte wurden verhaftet. Eine Mordkommission hat die Ermittlungen übernommen. © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser
Noch in der Nacht sprenten SEK-Kräfte die Tür eines Hauses an der Stadtgrenze zwischen Duisburg und Moers auf. 
Noch in der Nacht sprenten SEK-Kräfte die Tür eines Hauses an der Stadtgrenze zwischen Duisburg und Moers auf.  © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser
Es wurden allerdings keine Personen in dem Gebäude angetroffen. 
Es wurden allerdings keine Personen in dem Gebäude angetroffen.  © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser
Die Fahndung nach den Beteiligten läuft am Donnerstag weiter.
Die Fahndung nach den Beteiligten läuft am Donnerstag weiter. © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser
Die Auswertung der Spuren dauert nach Polizeiangaben an. 
Die Auswertung der Spuren dauert nach Polizeiangaben an.  © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser
Im März 2018 war es auf dem Hamborner Altmarkt schon mal zu einem Massen-Streit gekommen. Die Polizei konnte damals Schlimmeres verhindern. 50 Personen hätten sich gegenüber gestanden. Bei ihnen waren unter anderem eine Machete und andere Waffen gefunden worden.
Im März 2018 war es auf dem Hamborner Altmarkt schon mal zu einem Massen-Streit gekommen. Die Polizei konnte damals Schlimmeres verhindern. 50 Personen hätten sich gegenüber gestanden. Bei ihnen waren unter anderem eine Machete und andere Waffen gefunden worden. © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser
Wegen der polizeilichen Ermittlungen und der Spurensicherungsmaßnahmen fällt der Wochenmarkt in Hamborn am Donnerstag, 5. Mai, aus. 
Wegen der polizeilichen Ermittlungen und der Spurensicherungsmaßnahmen fällt der Wochenmarkt in Hamborn am Donnerstag, 5. Mai, aus.  © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser
Auch in umliegenden Städten seien operative Kräfte im Zusammenhang mit den Schüssen in Hamborn zum Einsatz gekommen.
Auch in umliegenden Städten seien operative Kräfte im Zusammenhang mit den Schüssen in Hamborn zum Einsatz gekommen. © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser
Zeugen, die Angaben zum Tatgeschehen oder zu beteiligten Personen machen können, werden gebeten, sich unter der Rufnummer 0203 280-0 mit der Kriminalpolizei in Verbindung zu setzen.
Zeugen, die Angaben zum Tatgeschehen oder zu beteiligten Personen machen können, werden gebeten, sich unter der Rufnummer 0203 280-0 mit der Kriminalpolizei in Verbindung zu setzen. © dpa | Roberto Pfeil
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>>Prozess um Schießerei am Altmarkt: Viele Angehörige von Kamil D. im Saal

  • Auch der zweite Prozesstag wurde von einem großen Aufgebot an Polizeibeamten begleitet. Da Rocker und Clan-Mitglieder im Gericht aufeinandertreffen könnten, gelten hohe Sicherheitsvorkehrungen. Unter anderem müssen alle Besucher vor dem Saal durch die Kontroll-Schleuse.
  • Allerdings: Die Hells Angels bleiben der Verhandlung bislang fern. Dafür verfolgen viele Angehörige von Kamil D. den Prozess. Der 39-Jährige winkt vor Beginn der Verhandlung zwei seiner Brüder zu.