Duisburg. Fördern das Bürgergeld und schwächere Sanktionen die Faulheit? Wie Duisburgs Jobcenter-Geschäftsführer Frank Böttcher die Entwicklung einschätzt.

Ein Jahr nachdem das Arbeitslosengeld II („Hartz IV“) durch das Bürgergeld ersetzt wurde, ziehen Jobcenter im Ruhrgebiet eine ernüchternde Bilanz. „Der Anteil derer, die damit zurechtkommen, ist gestiegen. Für manchen ist das Bürgergeld zum bedingungslosen Einkommen geworden“, erklärt auch Essens Sozialdezernent Peter Renzel zur gesunkenen Zahl derer, die in Arbeit vermittelt wurden. „Das ist mir zu einfach“, sagt Duisburgs Jobcenter-Geschäftsführer Frank Böttcher, „dabei spielen auch andere Faktoren eine Rolle.“

Jobcenter Duisburg zahlt in 2023 rund 255 Millionen Euro für fast 73.000 Menschen

Fakt ist: Der Revier-weite Trend hat auch um Duisburg keinen Bogen gemacht. Dass die Arbeitslosenquote in diesem Jahr bei 12,6 Prozent auf hohem Niveau stabil blieb, ist fast noch die beste Nachricht bei ansonsten ernüchternden Zahlen. Rund 73.000 Menschen in Duisburg – das ist fast jeder Siebte – leben von Transferleistungen, die sich für 2023 auf insgesamt rund 255 Millionen Euro belaufen werden.

Das entspricht gegenüber 2022 einem Zuwachs von rund 38 Millionen Euro. Der erklärt sich nicht nur durch höhere Leistungen, sondern etwa auch durch den Zuzug von rund 6000 Geflüchteten aus der Ukraine – auch sie wechselten im Laufe des Jahres 2022 in die Betreuung durch das Jobcenter. Die Integrationsquote der 3119 erwerbsfähigen Frauen und Männer lag Ende September 2023 bei 5,7 Prozent.

Etwa 26.000 Kunden des Jobcenters stehen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung

Die 73.000 Kunden des Jobcenters unterteilen sich aktuell in 35.186 Bedarfsgemeinschaften – Singles, Paare oder Familien mit Kindern oder anderen Angehörigen. Als erwerbsfähig gelten rund 51.000 Frauen und Männer, die seit mehr als einem Jahr ohne Arbeit sind. Aber nur knapp die Hälfte von ihnen, etwa 26.000, „stehen zur Vermittlung zur Verfügung“, wie es im Amtsdeutsch heißt.

Fast ebenso viele stehen aus unterschiedlichsten Gründen nicht zur Verfügung: Weil sie Kinder oder Angehörige betreuen, oder selbst erkrankt sind. „Es gibt, auch bei den Jüngeren, eine steigende Zahl von Menschen mit psychischen Problemen“, berichtet Böttcher. Und: Nicht wenige arbeiten, haben aber aufgrund ihres niedrigen Einkommens als „Ergänzer“ Anspruch auf Leistungen des Jobcenters.

Leistungsbetrug durch Schwarzarbeit: „Naiv zu glauben, das gäbe es nicht“

Mit dem Bürgergeld plus Minijob oder gar Schwarzarbeit käme mancher gut über die Runden, zitiert Essens Sozialdezernent offenherzige Berichte von Jobcenter-Kunden. „Es wäre naiv zu glauben, dass es das nicht gibt. Aber die Zahl ist schwer zu beziffern“, sagt auch Frank Böttcher. Um Verdachtsfälle kümmere sich der eigene Außendienst: „Aber das ist ein mühsames Geschäft.“

Sinkt mit steigendem Bürgergeld die Bereitschaft, eine Arbeit aufzunehmen? Die Höhe des Bürgergeldes definiere den Mindestbedarf zum Lebensunterhalt, sagt Böttcher, „aber es würde helfen, wenn der Abstand größer wäre zum Mindestlohn, für den Menschen in Vollzeit arbeiten.“

An entschärften Sanktionsmöglichkeiten liege es nicht, vermutet Duisburgs Jobcenter-Chef. Zwar könne bei Versäumnissen die Leistung jetzt nicht mehr sofort um bis zu 30 Prozent gekürzt werden, sondern nur noch in mehreren Stufen bis zu einem Drittel. „Aber vor der Einführung des Bürgergeldes gab es bereits ein Moratorium für Sanktionen – den direkten Zusammenhang sehe ich deshalb so nicht.“

Auch in Duisburg sucht das Gastronomiegewerbe händeringend nach Arbeitskräften. „Wir können niemanden zwingen“, sagt Jobcenter-Chef Frank Böttcher.
Auch in Duisburg sucht das Gastronomiegewerbe händeringend nach Arbeitskräften. „Wir können niemanden zwingen“, sagt Jobcenter-Chef Frank Böttcher. © WAZ | MATTHIAS GRABEN

Jobcenter-Chef: Wünsche mir für hartnäckigere Verweigerer schärfere Sanktionen

Bei „hartnäckigen Verweigerern“, die weder auf Einladungen der Vermittler reagieren, noch für das Jobcenter erreichbar sind, wünsche er sich härtere Strafen. „Die sind ja auch im Ministerium in der Diskussion“, so Böttcher, der dem Sprecherrat der NRW-Arbeitsgemeinschaft der Jobcenter-Leiter ebenso angehört wie ihrem bundesweiten Netzwerk.

Wie in anderen Städte wird auch in Duisburg die Zahl der Vermittelten in diesem Jahr sinken: 9122 waren es in 2022, im laufenden Jahr zählte das Jobcenter bis Ende November 7739 Frauen und Männer, die eine sozialversicherungspflichtige Arbeit aufnahmen. Dafür liege die Hauptursache aber in der Entwicklung des Arbeitsmarktes, zitiert Böttcher eine frische wissenschaftliche Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAD, Prof. Enzo Weber). „Auch wir hatten in diesem Jahr deutlich weniger Stellenzugänge.“

„Warum von 26.000 Menschen niemand in der Gastronomie arbeitet, ist schwer zu erklären“

Dass bei weitem nicht alle Stellen dem Jobcenter gemeldet werden, immer mehr Branchen händeringend Kräfte suchen, ist auch der Behörde klar. „Einem Gastronomen kann ich schwer erklären, dass unter meinen 26.000 Kunden niemand bei ihm im Service arbeiten kann“, sagt Böttcher. „Aber wir können nur versuchen, zu überzeugen, niemanden in Ketten legen. Jemand, den wir zwingen, bringt keinen Arbeitgeber weiter.“

Dennoch sei „die gesellschaftliche Erwartung, dass wir mehr Menschen in Arbeit bringen, gerechtfertigt“, betont Frank Böttcher. „Ich muss das Gesetz vertreten können. Besonders vor denen, die für Mindestlohn Vollzeit arbeiten gehen und damit auch jene mit finanzieren, die jedes Angebot ablehnen. Irgendwer zahlt für die Party.“

>> JOBCENTER DUISBURG: WENIGER GELD FÜR EINGLIEDERUNGSTITEL

  • Für die Aktivierung, Qualifizierung und das Coaching von Langzeit-Arbeitslosen bekommt das Jobcenter voraussichtlich für 2024 deutlich weniger Geld. Die genaue Summe steht noch nicht fest, weil sich die Haushaltsverabschiedung in Berlin in Folge des Verfassungsgerichtsurteils verzögerte.
  • Seinen letzten Informationen zufolge werde Duisburg in 2024 für sogenannte „Eingliederungstitel“ 49,5 Millionen Euro gewährt. Das entspricht einem Minus von 18 Prozent gegenüber dem laufenden Jahr, für das 60,8 Millionen Euro zur Verfügung standen. Noch 2021 waren es 72,6 Millionen Euro.
  • „Bedauerlich“, nennt das Jobcenter-Geschäftsführer Frank Böttcher. „Wir haben jetzt einige sehr gute Instrumente zur erfolgreichen Integration in den Arbeitsmarkt. Es ist, als hätte man uns einen Sportwagen hingestellt, aber jetzt fehlt das Geld für den Treibstoff.“