Duisburg. Warum die Johanniter die Sana-Kliniken übernehmen wollen, fragen sich nicht nur die rund 2000 Beschäftigten beider Häuser. Ein Erklärungsversuch.
Seit bekannt ist, dass die Sana Kliniken Duisburg (SKDU) mit den Johannitern in weit fortgeschrittenen Verhandlungen über den Verkauf einer Anteilsmehrheit am Klinikum am Kalkweg stehen, fragen sich nicht nur die Belegschaften, sondern auch Insider der Duisburger Kliniklandschaft: Welche strategische Überlegung steckt hinter dieser Annäherung?
Die gängigste These: Es ist für den Sana-Konzern wie auch für das Rheinhauser Johanniter-Haus der Versuch eines gemeinsamen Befreiungsschlages unter dem Druck der anstehenden Klinikreform in NRW.
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Sana Klinken Duisburg: 58 Millionen Euro Verluste bis 2022
Sana beteilige sich durch einen Deal mit den Johannitern „aktiv an einer zukunftsweisenden Versorgungslandschaft in Duisburg“, lässt der Konzern verkünden. Und ja: „Die Frage nach einer strategischen Partnerschaft und damit verbundene Kooperationsgespräche haben sich erst im Zuge der NRW-Krankenhausreform ergeben.“
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Übersetzt in Klartext heißt das wohl: Durch einen Verkauf würden sich die Münchner von einem Haus trennen, das seit der Übernahme der städtischen Anteile im Jahr 2014 Verluste schreibt, die sich bis 2022 auf rund 58 Millionen Euro summieren (siehe dazu: weitere Berichte oben). Für das aktuelle Geschäftsjahr prognostizieren Insider einen Fehlbetrag von rund 18 Millionen Euro.
Sana: Vier Jahre mit Jahresverlusten im zweistelligen Millionenbereich
Seit 2020 liegen die alljährlichen Verluste im zweistelligen Millionenbereich, nur der Verkauf der drei zugehörigen Seniorenheime für knapp 12 Millionen Euro löste 2020 eine „angespannte Liquiditätssituation“, wie es im Geschäftsbericht heißt.
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Finanziell überlebt das Haus seit Jahren nur dank Rückendeckung der Muttergesellschaft, wie die Geschäftsführung selbst einräumt: „Die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit im Prognosezeitraum (2023) und damit die Fortführung der Unternehmenstätigkeit ist davon abhängig, dass die Bereitstellung von liquiden Mitteln ... durch die Sana Kliniken AG aufrechterhalten wird und bei Bedarf zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt werden.“
„Die größten Risiken stellen weiterhin die baulichen und strukturellen Mängel des Altbaus am Standort Wedau“, berichten wechselnde Geschäftsführer seit Jahren. Unübersehbar sind Netze, die Passanten vor herabstürzenden Bauteilen schützen.
Betriebsratschef: Umfassende Sanierung würde 120 bis 140 Millionen Euro kosten
Obwohl seit zehn Jahren Sanierungsarbeiten laufen, sind noch immer Brandschutzwachen erforderlich, um den Vorgaben der Bauaufsicht zu genügen. Obwohl Wirtschaftsprüfer bestätigen, dass Sana 87 der bei Übernahme zugesagten 105 Millionen in die Standorte Kalkweg und Rheinhausen (Bertha-Krankenhaus) investiert hat, bleibt der Erneuerungsbedarf enorm.
„Die umfassende Modernisierung würde weitere 120 bis 140 Millionen Euro kosten“, vermutet der langjährige Vorsitzende des Betriebsrats, Helmut Böckeler.
Warum die Allianz für die Johanniter Sinn macht
Dass die Johanniter es dennoch ernst meinen, zeigt schon die Dauer der Verhandlungen: Seit dem Frühjahr inspizieren Vertreter des Ordens das Haus. Dass es teuer wird, zeigt das gerade sanierte, ebenfalls Anfang der 1970er Jahre errichtete Fahrner Krankenhaus. Der Baustoff Asbest wurde sicher auch am Kalkweg gern verwendet.
Ohne eigene Not gibt es für den Ritterorden damit wenig Gründe, sich am Kalkweg in ein teures Abenteuer mit ungewissem Ausgang zu begeben. Doch auch ihr Rheinhauser Haus (rund 720 Beschäftigte, davon etwa 51 Prozent in Vollzeit) ist nicht auf Rosen gebettet:
Nach vier Jahren mit stabil positiven Ergebnissen zwischen 1,2 und 1,5 Millionen Euro rutschte auch die 282-Betten-Klinik am Kreuzacker 2019 erstmals wieder ins Defizit: Fast 1,8 Millionen Euro fehlten 2020 schon zur schwarzen Null. Dass die auch in den beiden vergangenen Jahren nicht erreicht wurde, ist Spekulation: Auf Nachfrage mag die Klinik ihre noch nicht veröffentlichten Zahlen nicht bekannt geben.
Auch Rheinhauser Klinik ist abhängig von ihrer Muttergesellschaft
Auch im Duisburger Westen ist der Modernisierungsbedarf hoch und nicht aus eigener Kraft zu stemmen: „Bis zu 40 Millionen Euro sind zu investieren und zu finanzieren“, hieß es bereits 2018 im Geschäftsbericht. Seither werden Stationen modernisiert, wird Technik auf aktuellen Stand gebracht. Investitionen müssen über den Kapitalmarkt oder Trägerdarlehen finanziert werden, weil die Fördermittel nicht reichen. Die Rheinhauser Klinik sei dabei „von der Unterstützung der Johanniter GmbH als Muttergesellschaft abhängig“, heißt es im Geschäftsbericht.
Näher kamen sich die in der Not vereinten Träger bereits Anfang 2021: Seither teilen sich beide Kliniken den Chefarzt der Onkologie, Dr. Jan Balleisen. Als wenige Monate später Geschäftsführerin Julia Disselborg ging, installierte Sana im Oktober 2021 Dr. Jörg Risse als externen Geschäftsführer.
Externer Sana-Geschäftsführer plante offenbar die Allianz
Zur Expertise des Berliner Klinik-Beraters (Vicondo GmbH) zählt auch die Transaktionsbegleitung. Risse ging, als Sana im Frühjahr 2023 die Belegschaft über die Aufnahme von Gesprächen mit den Johannitern unterrichtete. „Den Plan mit ihnen hat bereits Risse gemacht“, sagt Sana-Betriebsratschef und Aufsichtsratsmitglied Helmut Böckeler.
Ob der Verkauf der Anteilsmehrheit am einstigen städtischen Klinikum tatsächlich zustande kommt, ist noch nicht ausgemacht. Beide Träger müssen sich dazu nicht nur auf eine Strategie für die Immobilien, sondern auch auf ein tragfähiges medizinisches Konzept verständigen. Das steht unter dem Vorbehalt der Genehmigung durch das NRW-Gesundheitsministerium. Auch das Bertha-Krankenhaus (Psychiatrie) mit dem denkmalgeschützten Altbau wirft Zukunftsfragen auf.
Schwierig: Aus zwei Kranken einen Gesunden machen
Außerdem werden die Johanniter genau hinsehen und die Risiken eines Einstiegs am Kalkweg gut abwägen, vermuten Kenner: „Die Rittersleute haben keine 900 Jahre überdauert, weil sie viele falsche Entscheidungen getroffen haben.“
Mit welcher medizinischen Strategie beide Häuser gemeinsam auch finanziell überlebensfähig sein wollen, fragt sich derweil auch Sana-Betriebsratschef Böckeler: „Aus zwei Lahmen einen Gehenden zu machen – das wird schwierig.“