Duisburg. Für Lehrer ist der Schwimmunterricht in Duisburg unter aktuellen Bedingungen „einfach lebensgefährlich“. Bitterer Zeitplan einer Doppelstunde.
Die Lehrschwimmbecken an Schulen sind marode, die Sanierung wird noch Jahre dauern. Für den Schwimmunterricht werden Klassen per Bus durch halb Duisburg gekutscht. Das ist aber nicht das einzige Problem.
Wir haben zwei Klassen des Landfermann-Gymnasiums zum Schwimmunterricht begleitet. Und hatten offenbar Glück, „in der Vorwoche ist der Bus gar nicht gekommen“, erzählt eine Lehrerin, die lieber anonym bleiben möchte. Stattdessen hätte sie dann spontan mit ihren Schülern eine Runde um den Innenhafen gedreht.
An anderen Tagen kommt statt eines Reisebusses ein Linienbus. Die Kinder, oft sind es zwei Klassen, stehen dann während der Fahrt über die Autobahn, erzählt sie. Die Fahrer seien oft so knapp getaktet, dass sie ihre Pläne kaum einhalten können und entweder zu spät da sind oder früher wieder losmüssen. Alles auf Kosten des Unterrichts. Die Lehrerin fährt viel Bus, nicht nur zum Schwimmstadion, sondern auch zur Turnhalle Hitzestraße. Die schuleigene Halle am Schinkelplatz ist sanierungsbedürftig.
Kurios ist auch die Lösung für donnerstags: Da gibt es nur für die Rücktour einen Bus, sie muss von einem Lehrer begleitet werden. Der fährt also mit dem Rad zur Schwimmhalle, das er auf dem Rückweg mit in den Bus nimmt, erzählt ein Kollege. Dass diese Variante nur für Oberstufenschüler funktioniert, die sich den Hinweg allein bahnen, versteht sich. Jetzt aber: Abfahrt.
Der Schwimmunterricht in handgestoppten Zeiten:
- 10.05 Uhr: Abfahrt
- 10.21: Ankunft am Schwimmstadion
- 10.28 Uhr: Die ersten kommen aus der Umkleide, ein besonders schneller Junge war sogar schon duschen und schnattert jetzt mit blauen Lippen am Rand auf einer Bank
- 10.33 Uhr: Die erste Klasse springt ins Wasser
- 10.38 Uhr: Warmschwimmen für alle
- 10.45 Uhr: Beinschlag üben: Bein anwinkeln, mit der Ferse fast den Po berühren und ausschlagen
- 10.54 Uhr: letzte Runde: quer zur Bahn einmal hin und her
- 11 Uhr: Alle raus, ab unter die Dusche.
- 11.20 Uhr: Wem gehören die Badelatschen? Wem die Sporttasche? Mädchen haben Handtuch-Turbane auf dem Kopf, einige stehen mit klatschnassen Haaren draußen in der Kälte.
- 11.27 Uhr: Auf zum Bus. Vorbei an einem Süßigkeitenautomaten, der magische Anziehungskraft hat.
- 11.38 Uhr: Ankunft an der Schule. Ein Auto blockiert den Busparkplatz, der Fahrer zeigt sich genervt-uneinsichtig und wird vom Busfahrer entschlossen zugeparkt. Die Pause läuft bereits.
Unterm Strich waren die Kinder an diesem Tag knapp 30 Minuten im Wasser. Unfair finden die Lehrer das mit Blick auf die Leistungsbewertung. Andere Klassen mit einem Bad direkt an der Schule oder zumindest in der Nähe können mehr als die doppelte Zeit im Wasser trainieren – pro Unterrichtsstunde.
Nichtschwimmer im zwei Meter tiefen Becken
Für die Lehrer ist das ein Dilemma, denn „die Kinder sind immer schlechter im Schwimmen“. Theoretisch müssten an der weiterführenden Schule schon alle schwimmen können. Tatsächlich sind an diesem Tag drei Schüler einer Klasse Nichtschwimmer. „Die dürfte ich nicht aus den Augen lassen, aber da sind ja noch 27 weitere Kinder“, beschreibt ein Lehrer und reicht Schwimmgürtel, die um die Hüften der Kinder festgezurrt werden. Denn im Schwimmstadion ist es überall zwei Meter tief. Die Lernschwimmbecken mit Hubböden und unterschiedlichen Tiefen sind den Grundschulen vorbehalten.
Aber auch die Schwimmer bereiten ihm Sorge: „Vor zwei Monaten musste ich reinspringen, weil eine Schülerin in der Mitte des Beckens Panik bekommen hat“, erzählt der Lehrer. Sie hielt sich an einer anderen fest, die dann mit unterzugehen drohte. „Das ist wirklich lebensgefährlich“, sagt er. Es gebe kaum einen Kollegen, der noch nicht ins Wasser springen musste. Die Angst schwimmt mit. Nicht mal ein Bademeister ist da, der helfen könnte.
Natürlich gibt es auch Kinder wie Leona, die schon ihr Gold-Abzeichen hat, einen Rettungsschwimmerkurs absolvierte und nach 30 Minuten Schulschwimmen gerade mal warm geschwommen ist. Oder wie Lea, die Wasserball spielt und hier in ihrem Element ist. Oder wie Sirin, die Silber hat und privat gerade auf Gold hinarbeitet.
Aus dem Wasser ragen aber zunächst nur dutzende Köpfe, die man gegen das Licht, das auf dem Becken reflektiert, kaum erkennen kann. Theoretisch wären hier 90 Kinder, wegen der Erkältungswelle sind es deutlich weniger. Einen Überblick bekommt man dennoch nicht.
Drei Klassen im Wasser bedeutet: Der Lärm ist infernalisch. Die Lehrer, die gegen das Getöse anarbeiten, formen ihre Hände vor dem Mund zum Trichter. Sonst kommen sie gar nicht durch. „An Technikverbesserung ist hier nicht zu denken“, bedauert einer der Lehrer. Auf dem Trockenen macht er dennoch den richtigen Beinschlag vor. Auch die Nichtschwimmer gucken neugierig und ahmen nach. „Wenn wir die Kinder in der Schule lassen, würden sie ja noch weniger lernen“, sagt der Lehrer. „Schwimmen lernt man nur durch Schwimmen.“
Schwimmen lernen in Vereinen oder in den Kursen der Stadt
Die 5d des Max-Planck-Gymnasiums ist auch im Wasser. Der begleitende Lehrer hat es etwas einfacher: Nichtschwimmer dürfen nicht mit, sie müssen die Zeit in einer Parallelklasse verbringen. Wie sie dann überhaupt Schwimmen lernen können? „Wir halten die Eltern an, dass sie sich bei den kostenlosen Kursen der Stadt anmelden oder in einen Schwimmverein gehen.“
Alternative Schwimmkurse bewerben auch die Lehrer des Landfermann-Gymnasiums. Aber für viele Eltern seien externe Angebote eine hohe Hürde, nicht zuletzt sprachlich. „Die Kinder sind die Leidtragenden, sie sind in Lebensgefahr“, sagen sie.
Stadt „empfiehlt“ zwei Lehrkräfte zur Aufsicht
Die Stadt Duisburg erklärt, dass die Schulen über die Größe des Beckens informiert seien und „ausschließlich geübte Schwimmende am Schwimmunterricht teilnehmen sollten“. Pressesprecher Max Böttner schreibt: „Die Verantwortung für die Aufsicht liegt bei den Lehrkräften, die alle über eine Rettungsfähigkeit verfügen. Im Grundschulbereich ist die Anwesenheit von zwei Lehrkräften erforderlich, bei weiterführenden Schulen empfehlen wir dies ebenfalls.“
Alternativen sind schwierig. Wie berichtet, werden in Duisburg nach und nach sechs Lehrschwimmbecken saniert. Die Stadt investiert dafür 6,8 Millionen Euro. Andere Möglichkeiten wie das temporäre Containerbad-Konzept, das an einigen Schulen in NRW umgesetzt wurde, sei nicht praktikabel: Die Umkleidesituation sei „suboptimal“, die Notwendigkeit, Gruppen aufzuteilen, erfordere weitere Betreuungslösungen. Auch die vom Schulministerium unterstützten „Wochen des Schulschwimmens“ könnten zwar einerseits intensive Übe-Zeit ermöglichen. Andererseits könnten die Schwimmbäder in der Zeit nicht der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.
Durch die Programme „Aufholen nach Corona“ und „Aktionsprogramm Integration“ konnten seit Anfang 2022 die Lehrschwimmbecken auch an Wochenenden von Kindern genutzt werden. Bis Juli 2023 nutzten das 2600 Schülerinnen und Schüler, die das Schwimmen erlernen konnten. Die Erfolgsquote liege bei 90 Prozent, so Böttner. Im Rahmen des Landesprogramms „NRW kann schwimmen“ fanden in den Sommerferien 16 Schwimmkurse statt, veranstaltet durch den Duisburger Schwimm- und Sportclub 09/20 e.V. Wegen der hohen Nachfrage laufen seit August weitere Kurse für ca. 1000 Schülerinnen und Schülern. Mit Ende des Aktionsprogramms Integration läuft es Ende des Jahres aber aus.
Schulministerium: Schwimm-Infrastruktur ist Aufgabe der Stadt
Wie es dann weitergeht, ist offen. Das Schulministerium sieht die Verantwortung jedenfalls klar bei der Stadt: Es gehöre „zu den zentralen Aufgaben der kommunalen Schulträger, die für den Schwimmunterricht nötige Infrastruktur vorzuhalten, sodass allen Schülerinnen und Schülern ausreichend ‚Schwimmzeit‘ zur Verfügung steht, um die in den Lehrplänen geforderten Standards zu erreichen“, schreibt ein Sprecher der Düsseldorfer Behörde.
Unterricht und Prüfungen müssten so angelegt sein, dass Schülerinnen und Schüler Gelegenheit haben, ihre Kompetenzen wiederholt und in wechselnden Zusammenhängen unter Beweis zu stellen. Neben den Leistungen, die in den Lehrplänen gefordert werden, müssten auch die Anstrengungen und Lernfortschritte berücksichtigt werden, die zu den Leistungen geführt haben.
Schulen, die mit dem Bus zur Schwimmstätte fahren müssen, hätten „bei der Unterrichtsverteilung im Rahmen ihrer Stundentafel durchaus Gestaltungsspielräume, um eine möglichst hohe ‚Schwimmzeit‘ zu erreichen“, sagt der Sprecher. „Darüber hinaus können die Schulen für den Schwimmunterricht auch andere Organisationsformen wählen, wie zum Beispiel Projektwochen, sportbetonte Klassenfahrten oder Blockunterricht.“
Grundsätzlich haben „alle Schülerinnen und Schüler das Recht auf individuelle Förderung, auch und gerade Schülerinnen und Schüler, die noch nicht (sicher) schwimmen können“, betont das Schulministerium. Der Erlass zur Sicherheitsförderung im Schulsport formuliere umfassende Vorgaben. Darin steht allerdings auch, dass Nichtschwimmer eigentlich nur in Nichtschwimmerbecken unterrichtet werden sollten. Der Unterricht müsse dementsprechend organisiert werden, klärt der Sprecher auf. Was sich leichter schreiben als umsetzen lässt.