Duisburg. „Bullenkloster“ wird es im Duisburger Süden genannt. Eine frühere Immobilie der Deutschen Bahn rottet seit Jahren vor sich hin. Warum eigentlich?
Im Süden von Duisburg wächst die Zukunft der Stadt voran: Auf einer Großbaustelle entsteht das Neubaugebiet 6-Seen-Wedau. Wer noch etwas weiter in Richtung der Stadtgrenzen zu Mülheim und Ratingen fährt, stößt auf ein Relikt aus der Vergangenheit: das ehemalige Ledigenheim der Deutschen Bahn am Ende der Masurenallee. Dort lebten einst Junggesellen, die nebenan im Ausbesserungswerk des Unternehmens oder auf einem der größten Rangierbahnhöfe des Landes schufteten, oft Gastarbeiter. Ein Monolith im Grüngebiet – mittig zwischen Entenfang und Sechs-Seen-Platte. Die Bahn hat das markante Gebäude schon vor Jahren aufgegeben und verkauft. Es ist zu einem Lost Place geworden, in dem unzählige Vögel unter dem Dach nisten. Die Chancen stehen gut, dass das noch lange so bleibt.
Das Gebäude
1927 ist der Komplex laut der Deutschen Bahn erbaut worden. Das Grundstück umfasst rund 3200 Quadratmeter, die Gebäudefläche hat eine Größe von 384 Quadratmetern. Als die Junggesellen, die für die Deutsche Bahn arbeiteten, ausgezogen waren, soll es die Stadt Duisburg von dem Unternehmen angemietet und dort Flüchtlinge untergebracht haben. So erzählt es ein Nachbar. Seit 1996 schon soll es leer stehen. 90 Jahre nach der Erbauung hat es die Deutsche Bahn nach eigenen Angaben verkauft, über den Preis schweigt das Unternehmen. Für die aktuellen Besitzer ist der Bau derzeit mehr als nur ein sprichwörtlicher Klotz am Bein.
Die Besitzer
Hanna Utku kam im Mai 1964 nach Deutschland. Er wohnte in den ersten beiden Monaten nach seiner Ankunft selbst im Ledigenheim und arbeitete, wie später sein Sohn Abdulmesih, im Ausbesserungswerk. Die Familie stammt aus der Südosttürkei. Zwei Jahre nach seiner Ankunft in Deutschland holte der Vater den Sohn nach. 90 und 71 Jahre sind die beiden inzwischen alt. Utku senior hatte sein Interesse an dem Gebäude gegenüber seinem früheren Arbeitgeber schon Ende der 90er Jahre signalisiert – und rund 20 Jahre später kam ein Anruf, er könne zuschlagen. „Da hatte ich das schon fast wieder vergessen“, sagt Hanna Utku.
Gekauft haben er und sein Sohn das Ledigenheim und ein Gelände direkt daneben, auf dem sie sich einen Garten und ein Wochenendhäuschen eingerichtet haben. Rund 150.000 Euro, sagen die Utkus, hätten sie bislang investiert, für den Erwerb und für Instandhaltungsmaßnahmen. Allein die Kosten für den Grünschnitt am Ledigenheim, damit nicht alles zuwuchere, schlügen jährlich mit rund 3000 Euro zubuche, sagt Abdulmesih Utku.
In Sicherungsmaßnahmen investierten sie inzwischen nicht mehr viel, das sei sinnlos: „Wer hier rein will, kommt hier auch rein.“ Selbst die Schilder, die er mal als Warnung vor einer früheren Video-Überwachung angebracht habe, seien gestohlen worden, die Kameras sowieso. „Betreten verboten“ gibt es auch nicht mehr. Abdulmesih Utku nimmt es pragmatisch: „Ich habe weder Zeit noch Lust, 24 Stunden aufzupassen.“ Früher habe er öfter Polizei oder Ordnungsamt gerufen, mittlerweile mache er das nicht mehr.
Die Gegenwart
„Es sieht sehr gefährlich aus“, sagt Abdulmesih Utku, „aber das ist eine optische Täuschung.“ Das Gebäude sei sicher. Utku führt hinein: Die Junggesellen hatten Einzelzimmer und Gemeinschaftsräume, auch für den Sanitärbereich. Der Putz bröckelt. Es sind etliche Graffiti zu sehen, bei den Duschen im dritten Stock findet sich an einer Tür ein ausführliches Zitat eines Gedichts von Bertolt Brecht.
„Hier kommen viele Jugendliche rein“, sagt Utku beim Rundgang. Im Raum nebenan ist das Notlager eines möglicherweise Obdachlosen. Die vier geleerten Pullen Paderborner Pils stehen noch da. Ansonsten ist das Gebäude im wahrsten Sinne des Wortes „entkernt“. Selbst die Stahlrohre im Heizungsschacht haben Unbekannte fachmännisch abgetrennt. „Die haben hier alles rausgeholt“, sagt Abdulmesih Utku. Im Keller ist es düster, weiter oben ist das Gebäude lichtdurchflutet.
Die Pläne
Die Utkus hatten mal den Gedanken, hier Luxus-Wohnungen hochziehen zu lassen. Inzwischen könnten sie sich ein Alten- oder Pflegeheim gut vorstellen. Es habe schon Kontakte zur Diakonie gegeben, die sich interessiert gezeigt habe. „Wenn wir hier ein Seniorenheim machen, dann wird das das beste im gesamten Ruhrgebiet“, schwärmt Hanna Utku. An Investoren oder Interessen mangele es nicht, pflichtet sein Sohn bei: „Ich könnte jeden Tag drei bringen, die finanzstark sind. Wenn wir die Baugenehmigung haben, können wir sofort mit dem Dach anfangen. Das wäre ein Paradies für Altenwohnungen.“
Der Architekt
Die Holzkonstruktion im Dach muss auch erneuert werden, sie ist marode. Auch der Anbau an der linken Seite solle bei einem Umbau weichen und verschwinden, sagt Klaus Helmes. Er betreibt das Architekturbüro Emscherwerk in Walsum hoch im Norden Duisburgs und hat vor fünf Jahren angefangen, sich Gedanken über den Umbau des Ledigenheims zu machen. Helmes hatte auf eine Anzeige reagiert, in der die Utkus einen Architekten suchten. „Die Statik ist in Ordnung“, sagt Helmes über das Ledigenheim, einen Massiv-Bau aus Stahlbeton. Das Gebäude sei für die Ewigkeit gebaut worden.
Fällig wäre bei einem Umbau eine Kernsanierung, eine „übliche Angelegenheit“, nichts Besonderes. Die Kosten dafür schätzt der Architekt auf rund 1,5 Millionen Euro. Es gibt hübsche Zeichnungen von ihm, mit Außenaufzug und Balkonen an der Außenwand, pro Etage könnten drei Wohnungen entstehen, kleinere und größere, zwölf insgesamt, Stellplätze rechts neben dem Gebäude von den Bahngleisen aus gesehen. Beim Umbau bestünde freie Hand: Denkmalschutz besteht für das ehemalige Ledigenheim nicht.
Die Stadt
Allein: Es gibt wenig Hoffnung. „Die potenziellen Auswirkungen einer Neubebauung oder einer Änderung der aktuellen Nutzung – etwa im Hinblick auf Erschließungsmaßnahmen oder erhöhtes Verkehrsaufkommen – stellen aus unserer Sicht eine eher ungünstige Perspektive dar“, teilt der Duisburger Stadtsprecher Malte Werning mit. Es gebe Kontakt zu den Utkus und die Verwaltung stehe „auch weiterhin für aufkommende Fragen zur Verfügung“. Allerdings gebe es derzeit kein Planungsrecht für einen Umbau oder eine Neunutzung.
Das Problem sei, dass sich das Gebäude in einem sogenannten Außenbereich befinde, in dem engere Vorgaben als für Grundstücke zum Beispiel in Wohngebieten gelten. Zudem sehe der aktuell dort gültige Flächennutzungsplan keine Änderungen vor. Das Areal sei „nicht als Baufläche ausgewiesen, sondern als Grün- bzw. Waldfläche“. Werning weiter: „Der Bau von weiteren Wohnflächen direkt angrenzend an das schützenswerte Naherholungsgebiet der Sechs-Seen-Platte und umfangreichen Waldflächen gehört nicht zu unserer strategischen Zielsetzung.“ Letztlich müsste der Rat der Stadt entscheiden, auch zur Frage, ob dort ein Bebauungsplan neu aufgesetzt werden könnte. Dass in unmittelbarer Nähe ein riesiges Neubaugebiet entstehen könne, sei kein Widerspruch, so der Stadtsprecher. 6-Seen-Wedau wachse schließlich auf einer ehemaligen Bahnbrache heran.
Die Chancen
Seine Bauvoranfragen seien bislang negativ beschieden worden, sagt Architekt Helmes, würden aber „wohlwollend geprüft“, sei ihm und den Utkus gesagt worden. Mit Stadtentwicklungsdezernent Martin Linne habe es Kontakt gegeben, in der Sprechstunde bei Oberbürgermeister Sören Link seien sie gewesen. Auch der habe grundsätzlich Unterstützung bekundet. Dass sich nichts tut, kann Helmes nicht nachvollziehen: „Es gibt immer Dinge, wo man mal ein Auge zudrücken kann.“
„Es geht uns nicht ums Geldverdienen“, sagt Abdulmesih Utku, „wir wollen hier umsetzen, was die Stadt Duisburg benötigt.“ Aber das Einzige, was aktuell dort nach einem möglichen Umbau denkbar wäre, wäre eine Nutzung im früheren Sinn wie zu Bahn-Zeiten, sei ihnen mal gesagt worden. Nur: Wer sollte da jetzt noch ein Ledigenheim benötigen? „Die Stadt wirft uns Kanthölzer zwischen die Beine“, sagt Hanna Utku.
Die Bezirksbürgermeisterin
„Bullenkloster“ – so hätten die Menschen in Wedau und Bissingheim das vor sich hin rottende Ledigenheim schon immer genannt. So erzählt es Beate Lieske, die Bezirksbürgermeisterin im Süden der Stadt. Sie ist Eisenbahnertochter, in den Stadtteilen verwurzelt, und kennt das Haus an der Masurenallee seit ihrer Kindheit. „Dass dieses Gebäude seit Jahren auch so sichtbar verfällt“, sagt sie, „gefällt mir gar nicht, zumal hier auch jede Menge Ausflügler zu Fuß oder mit dem Fahrrad das verfallene Gebäude passieren. Das wirft kein gutes Licht auf den ansonsten wunderschönen Duisburger Süden.“
Sie werbe dafür, dass mit allen Beteiligten gemeinsam nach einer guten Lösung gesucht werde und sei bereit, an konstruktiven Lösungen mitzuarbeiten: „Denn wie sieht es sonst am Ende aus, wenn ein wunderbares Neubaugebiet entsteht, das man aber von der einen Seite nur entlang einer verfallenen Bauruine erreichen kann?“