Duisburg-Altstadt. Nach den zwei blutigen Messerattacken in der Duisburger Altstadt schlagen die Geschäftsleute an der Münzstraße Alarm. Es geht um ihre Existenz.
Die Geschäftsleute in der Altstadt sorgen sich um ihre Existenz: Seit der Messerstecherei bei John Reed bleibt die Kundschaft aus. „Wir haben einen sehr unglaublich schweren Stand.“ Andreas Bräuer, Geschäftsführer der Duisburger „BurgerMe“-Filiale am Calaisplatz, schlägt Alarm. Denn für ihn und seine Gastronomie geht es seit Monaten Schlag auf Schlag: Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, Gaskrise und Inflation. Und als ob das noch nicht reichen würde, erschwert den Kunden nun seit Wochen eine große Baustelle den Weg auf die ehemals beliebte Einkaufsstraße.
Hinzu kommen die zwei Bluttaten, die kurz hintereinander in der direkten Nachbarschaft passierten: In der Nacht auf Ostersonntag war ein 35-Jähriger an der Klosterstraße erstochen worden. Nur wenig später wurden im Fitnessstudio John Reed vier junge Männer bei einer weiteren Messerstecherei lebensgefährlich verletzt.
Andreas Bräuer zeigt auf das Haus direkt gegenüber seiner „BurgerMe“-Filiale. „Da oben hat er gewohnt.“ Gemeint ist der 26-jährige Syrer, der beide Taten begangen haben soll und im Gefängnis sitzt. Er war in seiner Wohnung auf der Münzstraße festgenommen worden. „So etwas kann überall passieren. Aber unser aller Sicherheitsgefühl hat sehr stark nachgelassen“, klagt Rita Buschmeier. Als Betriebsleiterin des Conti-Parkhauses am Calaisplatz hat die 62-Jährige alles hautnah miterlebt: Wie die halbe Altstadt abgesperrt wurde, ihre Kunden das Parkhaus nicht mehr verlassen durften, überall Polizeibeamte standen, Martinshörner tönten und Hubschrauber und Drohnen flogen. „Es hätte jeden Einzelnen von uns treffen können“, sagt die Frau mit den langen blonden Haaren.
Die akute Gefahrenlage ist inzwischen vorbei. „Aber die Leute haben Angst, vor allem abends. Manche älteren Menschen trauen sich nach acht Uhr gar nicht mehr auf die Straße“, beschreibt Buschmeier. Dazu würden auch die Obdachlosen und die „renitenten Jugendlichen“ beitragen, welche Kundschaft, Parkhaus und Umgebung „belagern“ würden.
Ihr Nachbar nickt zustimmend. „Die Einzigen, die hier noch regelmäßig vorbeikommen, sind die, die bei John Reed trainieren“, sagt Andreas Bräuer. Er lebt erst seit ein paar Jahren in Duisburg und kann es kaum glauben: „Man muss sich das mal vorstellen, wir sind hier gerade mal 200 Meter vom Rathaus entfernt! Ich weiß, es gibt überall zu wenig Personal, auch bei Ordnungsamt und Polizei. Aber was sollen wir denn machen, vielleicht einen eigenen Sicherheitsdienst engagieren?“, fragt der 56-Jährige. Er schüttelt mit dem Kopf. Man sei doch hier nicht in der Bronx. „Noch nicht.“
Massive Umsatzrückgänge für die Geschäftsleute an der Münzstraße
Mangelndes Sicherheitsgefühl, abgesperrte Straßen, Baustellenlärm und -staub: Für ihn und die anderen Geschäftsleute in der Umgebung bedeutet das massive Umsatzrückgänge. Auch für Rosi Zaubi von „Rosis Stübchen“. „Wie viel Umsatzrückgang? Fragen Sie lieber mal, wie viel ich noch in der Kasse habe“, ärgert sich die Kioskbesitzerin. Für sie und ihren kleinen gastronomischen Außenbereich ist vor allem die Baustelle direkt vor ihrer Nase ein Problem: „Setzen Sie sich doch da mal ‘gemütlich’ mit einem Kaffee hin, während der Bagger den ganzen Tag so ein quietschendes Geräusch macht.“
Seit „gefühlt 100 Jahren“ hat sie ihren kleinen Betrieb in der Altstadt, ist zu einer echten Kultfigur geworden. Sogar das Fernsehen hat schon ein Porträt über sie gedreht, in dem sie als „Heldin des Alltags“ bezeichnet wurde, und auch für die Marketing-Kampagne „Duisburg ist echt!“ wurde sie interviewt. Doch mit ihren aktuellen Problemen fühlt sie sich im Stich gelassen. „Gerade nach der Pandemie haben die den Respekt vor der Minderheit der Geschäftsleute hier komplett verloren. Dabei wollen sie die Stadt doch angeblich ausbauen und schöner machen.“
Auch für Rita Buschmeier kann von „schöner machen“ keine Rede sein. „Ganz ehrlich, die ersten, die den neuen, umgestalteten Calaisplatz in Besitz nehmen werden, das sind die Obdachlosen, die zurzeit vorm Penny sitzen. Die Umgestaltung ist rausgeschmissenes Geld“, sagt die 62-Jährige resigniert. Auch sie beklagt mangelnde Unterstützung seitens der Stadt. „Ich muss jeden Tag Obdachlose und Junkies aus meinem Parkhaus rauswerfen, weil sie die Aufzüge blockieren, und ich muss dauernd vollgekotete Treppenstufen saubermachen. Die Probleme der Innenstadt werden auf uns, die Geschäftsleute, abgewälzt.“
Andreas Bräuer muss zwar keinen Kot wegschrubben. Dafür aber Monat für Monat neu überlegen, ob er seinen Laden vielleicht für immer schließen muss. „Das erste Quartal war gerade noch im Plan, aber im zweiten hatten wir schon minus 20 Prozent“, rechnet der Geschäftsinhaber, der Burger, Pommes und Co. zwar bis an die Haustüre liefert, gleichzeitig aber auf Laufkundschaft angewiesen ist. Sein größer Wunsch: „Dass die Baustelle am Calaisplatz endlich fertig wird. Und dass ein Experte ein echtes Konzept für die Münzstraße entwirft und Händler, Dienstleister und Vermieter an einen Tisch holt.“
>> Probleme an der Münzstraße und am Calaisplatz: Das sagt die Stadt Duisburg
Auf Nachfrage der Redaktion hat die Stadt Duisburg schriftlich auf die Kritik der Geschäftsleute reagiert und sich auch zu den Baumaßnahmen am Calaisplatz geäußert.
Von wann bis wann ist der städtische Außendienst (SAD) im Einsatz und kontrolliert die Situation vor Ort?
Stadtsprecher Sebastian Hiedels: Der städtische Außendienst des Bürger- und Ordnungsamtes bestreift regelmäßig den Calaisplatz, das heißt montags bis samstags mehrmals täglich, von etwa 7 Uhr morgens bis 1 Uhr nachts. Bisher konnten wir trotz der regelmäßigen Kontrollen keine Störungen feststellen. Wir werden aufgrund der Hinweise ab sofort die Überwachung rund um den Calaisplatz verstärken und nun regelmäßig vor Dienstschluss eine zusätzliche Überprüfung der Gebäudeeingänge durchführen. Grundsätzlich ist es möglich, dass sich Anwohner und Geschäftsleute bei Problemen an die Führungs- und Koordinierungsstelle des SAD unter 0203 283 39 00 oder per E-Mail an sad@stadt-duisburg.de wenden.
Wie kann die Stadt allen, also Suchtkranken und Obdachlosen auf der einen und Händlern, Kunden und Anwohnern auf der anderen Seite, (besser) gerecht werden?
Der Stadt Duisburg ist sehr daran gelegen, für alle Bürgerinnen und Bürger ein attraktives Lebensumfeld zu schaffen. Uns ist allerdings auch wichtig, dass es hier um alle Menschen gehen soll, unabhängig davon, ob sie suchtkrank, obdachlos oder in anderer Weise gehandicapt sind. Im Hinblick auf die Gruppe der Alkohol- und Drogenszene ist es wichtig, zu betonen, dass der öffentliche Raum für alle Menschen nutzbar sein muss. Natürlich ist das Einhalten von „Spielregeln“ für ein friedvolles Zusammenleben notwendig. Wo es nicht funktioniert, setzen ordnungsrechtliche und polizeiliche Maßnahmen an. Dazu arbeiten Polizei, Bürger- und Ordnungsamt sowie die Suchthilfe eng zusammen. Sofern es zu Belästigungen kommt, hat jeder die Möglichkeit, zum SAD Kontakt aufzunehmen. Bisher konnten wir keine Störungen feststellen.
Was passiert aktuell am Calaisplatz und wie lange dauern die Baumaßnahmen noch an?
Aktuell werden im Bereich des Calaisplatzes zwei Baumaßnahmen durchgeführt, eine Kanalbaumaßnahme der Wirtschaftsbetriebe Duisburg sowie eine Stromkabelverlegung durch Netze Duisburg. Momentan können wir allerdings noch kein konkretes Ende der Baumaßnahme nennen, da dies von unterschiedlichen Einflussfaktoren, beispielsweise den archäologischen Arbeiten, abhängig ist.
Wurden die betroffenen Anwohner und Geschäftsleute im Vorfeld über die Baumaßnahmen informiert?
Ja, sie wurden umfangreich informiert. Auch während der Bauarbeiten waren wir immer wieder im Austausch mit den Betroffenen vor Ort. Es wurden auch bereits gemeinsam mit den Wirtschaftsbetrieben Maßnahmen ergriffen, um die Beeinträchtigungen für alle Beteiligten möglichst gering zu halten. Allerdings werden hier wichtige Versorgungsleitungen (Strom/Kanal) modernisiert bzw. gelegt, um ein attraktives Wohn- und Geschäftsumfeld herzustellen. Anwohner und Geschäftsleute werden nach Fertigstellung der Maßnahme von der attraktiven Anbindung der südlichen Altstadt an den Innenhafen und der verbesserten Wegeverbindung profitieren. Grundsätzlich liegen Kanal- und Straßenbaumaßnahmen im Interesse der Öffentlichkeit und Anwohner, sind aber natürlich leider auch mit Störungen und Beeinträchtigungen verbunden. Vonseiten der WBD und der Stadt Duisburg sind Maßnahmen ergriffen worden, um die Beeinträchtigung durch die Baumaßnahme möglichst gering zu halten. Trotz der Einschränkungen ist zum Beispiel immer eine Erreichbarkeit gegeben und die Dauer der Baumaßnahme zieht sich nicht unverhältnismäßig in die Länge.