Duisburg. Zoja Khmara aus der Ukraine musste ihren geliebten Mann begraben und aus der Heimat fliehen. Mit Tränen in den Augen erzählt sie ihre Geschichte.

„Ich war der glücklichste Mensch der Welt“, sagt Zoja Khmara über ihr Leben vor dem 24. Februar 2022. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat ihr genommen, was sie am meisten liebte. Vor den Bomben ist sie aus der ostukrainischen Metropole Charkiw nach Duisburg geflohen. Mit ihrer Geschichte, die sie unter Tränen berichtet, gibt sie den Schicksalen der Geflüchteten ein Gesicht.

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„Ich hätte nie geglaubt, dass im 21. Jahrhundert ein solcher Krieg beginnt“, sagt die junge Frau. Grundschullehrerin war sie in der zweitgrößten Stadt des Landes, dem Wissenschafts- und Wirtschaftszentrum an der russischen Grenze. Um 4.30 begann der Angriff, erinnert Zoja Khmara: „Bomben und Granaten sind in unmittelbarer Nähe eingeschlagen.“

Nach Kriegsbeginn 52 Tage im Keller verbracht

Wer nicht flüchten wollte oder konnte, habe Schutz unter der Erde gesucht. „Wir haben 52 Tage im Keller verbracht.“ Mit ihrer Mutter, ihrem taubstummen Bruder und ihrem Mann Oleksandr harrte Zoja Khmara dort aus. „Nach zwei Wochen habe ich begonnen, für meine Schüler Online-Unterricht zu geben.“

Kein Tag verging ohne Angriffe auf die Zivilbevölkerung, berichtet sie. Nur unter Lebensgefahr konnten die Menschen in ihre Wohnungen, etwa um zu duschen. Sie wäre wohl auch geflohen, doch ihr Mann habe das abgelehnt, berichtet sie. „Er war bei den Stadtwerken beschäftigt, wurde dort gebraucht, auch um Militärfahrzeuge der Armee instand zu setzen.“

Ehemann bei russischem Raketenangriff auf die Stadt tödlich verletzt

So überlebte die Familie bis zum 15. April 2022. „Ein so schöner, ruhiger Tag“, erinnert Zoja. Olexandr, seit 16 Jahren waren beide verheiratet, wollte kurz für eine Dusche in die Wohnung. „Als er auf dem Weg war, fielen russische Streubomben auf die Menschen, die gerade auf der Straße waren.“

Obwohl es fast in ihrer Sichtweite geschah, fand sie ihren Mann nach dem anschließenden Chaos erst nach längerer Suche in einer nahe gelegenen Klinik. „Als ich den Arzt mit seiner Tasche und eine Krankenschwester mit einem Beruhigungsmittel sah, wusste ich, was passiert war.“ Für Olexandr kam jede Hilfe zu spät, er erlag seinen schweren Kopfverletzungen durch die Bombensplitter.

Krieg gegen die Zivilbevölkerung: Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ist die Stadt Charkiw immer wieder Ziel von Angriffen.
Krieg gegen die Zivilbevölkerung: Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ist die Stadt Charkiw immer wieder Ziel von Angriffen. © picture alliance/dpa/ZUMA Press Wire | David Ryder

Eltern von Schülern organisierten die Flucht der Lehrerin nach Duisburg

Zoja Khmara hat ihren geliebten Mann begraben und hätte vielleicht weiter ausgeharrt in der umkämpften Grenzstadt, die mittlerweile zwei Drittel ihrer einst rund 1,5 Millionen Bewohner verlassen haben. „Aber es gab Schüler von mir, die mit ihren Eltern bereits in Duisburg waren. Sie haben die Tickets für uns besorgt.“ Am 9. Juni, dem letzten Tag vor dem Aufnahmestopp, traf die Lehrerin mit Mutter und Bruder im Delta-Zeltdorf in Hamborn ein.

Nach der Auflösung der Zeltstadt habe sie eine Wohnung in Rheinhausen gefunden. Für den Bruder gibt’s Ersatz für die auf der Flucht verlorenen Hörgeräte, Zoja besucht seit September einen Sprachkurs. Die traumatischen Erlebnisse sind auch nach über einem Jahr sehr präsent. „Ich muss versuchen, positiv zu denken, aber das fällt sehr schwer.“

Trotz großer Dankbarkeit für Hilfe in Deutschland: Hoffnung auf Rückkehr

Gegenüber Deutschland empfinde sie große Dankbarkeit, betont sei. „Ich hätte nie gedacht, dass ein Land so viel für uns Geflüchtete tut.“ Doch bleiben wolle sie nicht. „Ich hoffe jeden Tag auf das Ende des Krieges. Wenn er vorbei ist, möchte ich mich am Wiederaufbau beteiligen. Es geht uns hier gut, aber zu Hause zu sein, das ist doch schöner.“

Viele flüchteten aus Charkiw ins Ruhrgebiet, berichtet sie. „Meine Schüler leben nun auch in Oberhausen und Bochum.“ Die Rückkehr in ihre Stadt sei für die meisten von ihnen noch eine realistische Perspektive, sagt Zoja Khmara über die Stimmung. Sie kennt auch viele, die sich aus den völlig zerstörten Städten Bahmut oder Mariupol nach Duisburg retteten. „Sie haben nun nichts mehr.“

STICHWORT: DIE SCHLACHT UM CHARKIW

  • Die 1,5-Millionen-Metropole gehörte zu den Hauptzielen des russischen Angriffs am 24. Februar 2022. Der Vormarsch stieß jedoch auf erbitterten Widerstand der ukrainischen Armee.
  • Sie brachte die Stadt nach heftigen Straßenkämpfen am 27. Februar wieder unter ihre Kontrolle und beendete durch eine Gegenoffensive im Mai auch ihre Belagerung.
  • Angriffe mit Bomben und Raketen auf Charkiw halten jedoch an. Nach Angaben der Stadtverwaltung wurden bis Mitte März 2022 rund 600 Gebäude zerstört und Hunderte Bewohner getötet.
  • Nach Schätzungen von Human Rights Watch ist rund eine Million Menschen aus der ostukrainischen Stadt an der russischen Grenze geflohen.