Duisburg. Duisburger aus allen Teilen der Gesellschaft bilden einen Bürgerrat zur Wasserstoffwende. Welche Wünsche und Sorgen mit dem Thema verknüpft sind.

Wasserstoff soll Industrie und weitere Lebensbereiche verändern. Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung sprechen darüber seit Jahren, wollen Duisburg zur Wasserstoffhauptstadt Deutschlands machen. Kaum zu hören sind bislang die Bewohnerinnen und Bewohner dieser Stadt. Um das zu ändern, hat sich unter Leitung der Bergischen Universität Wuppertal ein Bürgerrat gegründet und sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt.

„Wie kann der Wandel zum Wohl der Gesellschaft gelingen?“, definiert Anna Nora Freier vom Institut für Demokratie- und Partizipationsforschung der Uni die große Frage hinter dem Projekt. Zu diesem wurden zunächst 1500 Menschen per Zufallsprinzip eingeladen, ein Großteil habe zugesagt. „Wir haben dann geguckt, wie die Gruppe am besten der Zusammensetzung der Bevölkerung entspricht“, erklärt Freier. Kriterien, anhand derer am Ende 50 Menschen ausgewählt wurden, waren etwa Alter, Geschlecht, Stadtteil, Bildungsgrad oder Migrationshintergrund.

Bürgerrat in Duisburg: „Anfangs keine Ahnung, was Wasserstoff überhaupt ist“

Der Bürgerrat soll sich in der Zusammensetzung von Parlamenten unterscheiden, in denen viele Personengruppen unterrepräsentiert sind. „Idealerweise sorgt dies für eine neue fachliche Qualität politischer Entscheidungen und ein stärkeres politisches Vertrauen und Interesse“, so Freier.

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„Manche hatten anfangs überhaupt keine Ahnung, was Wasserstoff überhaupt ist“, sagt Matthias Heina, Wasserstoffkoordinator der Stadt Duisburg. Zunächst sei es deshalb um die Vermittlung naturwissenschaftlicher und technischer Grundlagen gegangen.

In zehn Kleingruppen wurden Fragen formuliert und Antworten gesucht. Expertinnen und Experten halfen den Teilnehmenden dabei, die gesellschaftspolitischen, wirtschaftlichen und ökologischen Konsequenzen verschiedener Handlungsmöglichkeiten besser einschätzen zu können. Zur Veranschaulichung kamen Virtual-Reality-Brillen zum Einsatz und wurden Experimente durchgeführt. Bei einer Hafenrundfahrt erhielten die Mitglieder des Bürgerrats Informationen zu den Anwendungsbereichen von Wasserstoff und erfuhren, was diese für das lokale und das globale Klima bedeuten könnten.

Wasserstoffwende: Viele Ängste basieren auf Gerüchten

„Die Leute sind schon morgens um 8 Uhr ganz interessiert gewesen und haben sehr fundierte Fragen gestellt – mit viel Herz für ihre Stadt“, ist Romy Seifert, Stabsstellenleiterin für Wirtschaftsangelegenheiten, beeindruckt.

Bürgerräte sollen die Bevölkerung dazu motivieren, sich in wichtige Themenbereiche wie eben die Wasserstoffwende einzubringen. Und sie soll spüren, dass ihre Ängste ernstgenommen werden. Um was für Ängste handelt es sich dabei? Wohlstandsverlust spiele immer eine Rolle, sagt Teilnehmerin Elisabeth Kämmerling, aber auch technische Bedenken: „Was passiert, wenn es ein Leck gibt?“ In der Arbeitsgruppe habe man unter Anleitung ein Knallexperiment durchgeführt, um solche Szenarien einordnen zu können.

Anna Nora Freier vom Institut für Demokratie- und Partizipationsforschung der bergischen Universität Wuppertal (l.) erklärt das Projekt, an dem auch Akteure der Stadt Duisburg beteiligt waren – wie rechts Romy Seifert, Stabsstellenleiterin für Wirtschaftsangelegenheiten.
Anna Nora Freier vom Institut für Demokratie- und Partizipationsforschung der bergischen Universität Wuppertal (l.) erklärt das Projekt, an dem auch Akteure der Stadt Duisburg beteiligt waren – wie rechts Romy Seifert, Stabsstellenleiterin für Wirtschaftsangelegenheiten. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Viele Ängste würden auf Gerüchten basieren, meint Teilnehmer Kunduz Kurtulus: „Mein Nachbar wollte seine Immobilie verkaufen. Er hatte irgendwo gehört, dass die Anlagen so laut sind, dass sie die umliegenden Häuser unbewohnbar machen. Mit solchen Gerüchten wurde aufgeräumt“, sagt Kurtulus über die Projektwoche. Ziel ist es auch, dass die Mitglieder ihre Erkenntnisse im sozialen Umfeld teilen.

Gutachten mit Wünschen und Ideen von 50 Duisburgern

Es sei keinesfalls eine „Lobbyveranstaltung pro Wasserstoff“ gewesen, findet Teilnehmerin Elisabeth Kämmerling, die genau das befürchtet habe: „Es kam zum Beispiel auch jemand von Fridays for Future. Da wurde schon klargemacht, dass Wasserstoff nicht das Allheilmittel ist.“

Und doch sind große Erwartungen und Hoffnungen mit dem Thema verknüpft, nicht nur ökologischer Natur: „Wir wünschen uns, dass die Schwerindustrie in Duisburg bleibt und dass die Wasserstoffwende neuen Wohlstand generieren, aber auch erhalten kann“, sagt etwa Heiko Stallbaum.

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Die Ideen und Einschätzungen, Wünsche und Empfehlungen der 50 Duisburger werden nun in einem Gutachten zusammengetragen und Oberbürgermeister Sören Link (SPD) übergeben, der die Schirmherrschaft über dieses Projekt übernommen hat. Das Gutachten soll außerdem der nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) sowie verschiedenen politischen Gremien zur Verfügung gestellt werden.

>>BÜRGERBETEILIGUNG BEI DER UNI WUPPERTAL

Das Institut für Demokratie- und Partizipationsforschung der Bergischen Universität hat langjährige Erfahrungen mit dem Verfahren losbasierter Bürgerbeteiligung.

Ähnliche Projekte wurden bereits in Münster und im Bergischen Land durchgeführt, nicht nur zur Energiewende, sondern auch zu anderen Bereichen der Politik.

Neben der Universität und der Stadt Duisburg war auch die Volkshochschule an der Durchführung des Bürgerrats beteiligt.

Finanziert wird das Projekt vom Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen.