Duisburg. 1971 geht in Japan die Telefonseelsorge an den Start. Entwickelt hat das System eine Duisburgerin. Wie sich Ruth Hetcamp an diese Zeit erinnert.
Voller Achtung und Faszination spricht Ruth Hetcamp von Watanabe Sadao. Die christliche Kunst des Japaners steht sinnbildlich für die lange Zeit – 22 Jahre –, die sie im Auftrag der Evangelischen Kirche in dem fernöstlichen Land verbracht hat. Ihre Sammlung mit Werken Sadaos hat die Duisburgerin dem Museum DKM geschenkt, wo sie nun erstmals ausgestellt werden. Aus diesem Anlass erinnert sich Ruth Hetcamp an ihre Eindrücke und ihr Wirken, das Japan in den 1970ern erstmals eine Telefonseelsorge bescherte.
Ruth Hetcamp, geboren 1933 und aufgewachsen in Meiderich, fand schon als Jugendliche Anschluss an die Evangelische Schülerinnenarbeit MBK (Mädchen-Bibel-Kreise). Soziale Arbeit entdeckte sie nach dem Abi für sich, während eines Auslandsjahres in England. Nach der Rückkehr folgte bei der MBK die Ausbildung zur Jugend-Gemeinde-Diakonin.
Duisburgerin ging mit 25 Jahren nach Japan: „Wurde immer angeguckt“
Als sie gefragt wurde, ob sie in Japan den Aufbau diakonischer Arbeit unterstützen und dabei notleidenden Frauen sowie Menschen mit Behinderung helfen wolle, habe sie nicht gezögert, blickt Ruth Hetcamp zurück. Diese Arbeit sei damals besonders nötig gewesen: „Es waren sehr unsichere Zeiten mit vielen Suiziden. Viele Frauen waren der Prostitution ausgesetzt.“ Japanische Pfarrer seien zwar in den Slums von Tokio und Osaka sehr aktiv, aber einfach viel zu wenige Menschen gewesen – kein Wunder, war doch nur ein Prozent der Bevölkerung christlichen Glaubens.
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Als das große Abenteuer begann, war Ruth Hetcamp 25 Jahre alt. Drei Jahre täglichen Unterrichts brauchte die junge Frau, um die komplizierte Sprache zu lernen. Und fremd war nicht nur die Sprache: „Ich musste mich erst mal dran gewöhnen, alle anderen Menschen zu überragen und immer angeguckt zu werden.“
Doch der Kontakt zu den Menschen kam schnell, vor allem zu denen, die ihre Hilfe brauchten. Die traf Ruth Hetcamp in einem kleinen Heim namens „Tor zur Hoffnung“, das Frauen in verschiedenen Notlagen Schutz und Gemeinschaft bot. Sie selbst arbeitete nicht nur, sondern wohnte auch dort.
Telefonseelsorge startet nach europäischem Vorbild in Japan
Ruth Hetcamp und ihre Mitstreiterinnen halfen, wo sie konnten. Doch die Zahl der Notleidenden überstieg auch nach ein paar Jahren noch immer ihre Möglichkeiten. „Ich wusste von der Telefonseelsorge in Deutschland und in England“, erinnert sie sich, „und da Japan über ein modernes Telefonnetz verfügte, konnte ich mir vorstellen, dass auf diesem Weg ein Netzwerk der Hilfe entstehen könnte“.
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Gegen vielerlei Bedenken wuchs allmählich der Kreis der Menschen, die bereit waren, Verantwortung zu übernehmen. Drei Lehrerinnen der Sprachschule halfen Ruth Hetcamp, Fachliteratur zum Thema zu erarbeiten. Nach intensiver Vorbereitung wurde die Nummer des „Lebenstelefons“ am 1. Oktober 1971 freigeschaltet. Die Nachfrage wuchs schnell: 50 Städte richteten das System ein, dessen Grundlagen ihnen eine Duisburgerin vermittelt hatte.
In dieser Zeit kam Ruth Hetcamp erstmals mit der Kunst von Watanabe Sadao in Kontakt, als ihr eine der Sprachlehrerinnen einen Kalender mit Bildern des Malers schenkte. Die Frau war mit Sadao gut bekannt und einige Zeit später war das auch Ruth Hetcamp. Sie sei tief beeindruckt gewesen von der religiösen Kunst des Japaners und von dessen bewegendem Lebenslauf: „Er wollte die christliche Symbolik in die Kultur seiner Heimat holen.“
Fasziniert von japanischer Kunst: Christliche Ikonographie in buddhistischer Bildsprache
Bunte Kimonos bilden Szenen aus biblischen Geschichten ab. Die christliche Ikonographie verschmilzt in den Werken mit buddhistischer Bildsprache. Dabei bediente sich Watanabe Sadao in Japan gängiger Materialien wie Kozo-Papier und Momigami sowie der Schabloniertechnik Katazome. Diese weltenübergreifenden Bibeldrucke waren in christlichen Kreisen sehr beliebt, gelangten über Missionare auch ins Ausland.
Und mit Ruth Hetcamp gelangte ein Teil von ihnen nach Duisburg: „Als ich nach 22 Jahren wieder nach Deutschland zurückkehrte, gehörten die Watanabe-Bilder zu dem kostbaren Schatz, den ich mit nach Hause bringen wollte.“
Um diese Rückkehr hatte sie selbst gebeten. Zu sehr hatte sich ihre Arbeit von dem entfernt, wofür sie eigentlich nach Japan gekommen war. Ruth Hetcamp war zum Gesicht dieser Arbeit geworden – „ich wurde zu jedem Anlass vorgeschickt“. Der Rummel war der bescheidenen Frau zuwider; noch heute ist es ihr unangenehm, wenn um ihre Geschichte allzu großes Aufsehen erzeugt wird.
Ruth Hetcamp wurde für ihre Arbeit der kaiserliche Orden verliehen
Ihren Schatz hütet nun das Museum DKM. 34 Werke hat Ruth Hetcamp der Einrichtung geschenkt, damit die Kunst von Watanabe Sadao noch viele Menschen erreicht, die sie bisher nicht kennen. Das Museum kann sich vorstellen, die Werke zu gegebener Zeit auch für externe Ausstellungen zu verleihen.
Japanisch versteht und spricht Ruth Hetcamp noch heute. Auch auf Papier kann sie sich ausdrücken, „allerdings in unserer Schrift“. 1300 Zeichen habe sie damals gelernt. Um eine Zeitung zu lesen, brauche man 1800 Zeichen. „Und es gibt noch viele mehr“, sagt die Duisburgerin, die Japan so eng verbunden ist.
Dass diese Verbundenheit auch gegenseitig empfunden wird, zeigte sich nicht zuletzt 2008: Ruth Hetcamp wurde für ihr Engagement in Japan der kaiserliche Orden verliehen.
>>WATANABE SADAO IM MUSEUM DKM: ANMELDUNG ERFORDERLICH
Insgesamt 13 ausgewählte Werke sind in der normalerweise nicht öffentlich zugänglichen Bibliothek des Museums DKM bis zum 26. November 2023 ausgestellt.
Wer die Kunst von Watanabe Sadao sehen will, kann das im Rahmen einer rund anderthalbstündigen Rundführung. Führungen sind möglich während der Öffnungszeiten, mittwochs von 10 Uhr bis 18 Uhr.
Um Sonderführungen zu buchen, muss das Museum kontaktiert werden unter 0203 93 55 54 70 oder unter mail@museum-dkm.de. Weitere Informationen: www.museum-dkm.de.