Duisburg. Das Autonome Frauenhaus Duisburg bietet Frauen und Kindern Schutz vor gewalttätigen Männern. Wie die Familien dort leben.
An der Klingel steht kein Name, das Haus ist alt, eines von vielen. Doch für tausende Frauen war es bereits ein Zufluchtsort und Zuhause auf Zeit, ein Startpunkt in ein neues, gewaltfreies Leben: Das Autonome Frauenhaus Duisburg. Seit 45 Jahren wird hier Frauen und ihren Kindern geholfen, die vor gewalttätigen Partnern, Ehemännern, Familienmitgliedern flüchteten. Es ist das älteste Frauenhaus im Ruhrgebiet, sagt Daniela Lewandowski, eine der Mitarbeiterinnen.
Drinnen riecht es nach Apfelshampoo, zwei Kinder spielen Uno mit Erzieherin Jil Johannes. In den Familienzimmern stehen Stockbetten, Tisch, Stühle, ein Schrank. Meist kommen die Frauen mit nicht mehr als ihren Sachen am Leib hier an. Kleider- und Spielzeugspenden liefern die Erstausstattung, Lebensmittel, Windeln, Drogerieartikel gehen auf das Budget des Frauenhauses.
Hunderten Frauen muss das Frauenhaus jährlich absagen: Kein Platz
Im Schnitt können im Haus fünf Frauen und ihre Kinder untergebracht werden, an einem weiteren Standort noch mal sieben Frauen. Jährlich 70 Schutzsuchende finden hier im Schnitt Platz – plus Anhang. Im Frauenhaus Duisburg, vom Christophoruswerk getragen, ist Platz für elf Frauen samt Nachwuchs. Es müssten doppelt so viele sein, gemessen an den hunderten Absagen pro Jahr, gemessen an der Verpflichtung, die die Bundesrepublik mit der Unterzeichnung der Istanbul-Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen einging.
In der Regel werden Frauen aufgenommen, die nicht aus Duisburg stammen. Zu groß wäre sonst die Gefahr, dem Gewalttäter beim Jobcenter oder in der Sparkasse über den Weg zu laufen. Frauen aus anderen Städten suchen bewusst in der Anonymität der Großstadt den Neuanfang, und so machen es umgekehrt auch die Frauen aus Duisburg.
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„Der Einzug ins Frauenhaus ist ein sozialer Abstieg“
Eine Frau ist Anfang Dezember eingezogen. Sie stammt aus dem Irak und hat nun, bei der Flucht vor ihrem Mann erneut alle Brücken abgerissen. Unsicher lächelt sie, während sie das sagt. Dass sie sich von ihrem prügelnden Mann trennte, toleriert auch die eigene Familie nicht. „Er schlägt dich? Egal, er ist dein Mann“, habe ihr Vater gesagt.
Ganz klar: „Der Einzug ins Frauenhaus ist ein sozialer Abstieg. 95 Prozent der Frauen verlieren alle sozialen Kontakte, ihr gewohntes Umfeld. Sie starten bei null“, sagt Pädagogin Lewandowski.
Die Frau aus dem Irak hat im Frauenhaus Kraft getankt und viel Hilfe bekommen. Jetzt sucht sie eine Wohnung, um mit den Kindern ein eigenes Leben aufzubauen. Zwei jüngere Geschwister krabbeln unter dem Stockbett herum, spielen Verstecken.
Die ältere Tochter hört beim Gespräch neugierig zu, hilft übersetzen. Sie träumt davon, Flugbegleiterin zu werden. „Hier kann man alles machen“, schwärmt sie von Deutschland. Der Freiheitsgedanke beflügelt die junge Generation, die Mutter hat mehr die Hürden vor Augen, lächelt sie aber tapfer weg.
Notunterkunft für Frauen aus aller Welt
„Wir verstehen uns als Notunterkunft“, sagt Lewandowski. Für Frauen aus Deutschland und immer häufiger auch für Frauen aus Afrika oder aus Südost-Europa. Diese Frauen lernen etwa in den Asylunterkünften, dass sie Rechte haben, dass ihnen ein gewaltfreies Leben zusteht. Obwohl nach einem Gewaltausbruch eher der Mann gehen müsste, seien es oft die Frauen, die Schutz in einer neuen Bleibe suchen. „Viele Männer sind so gut vernetzt, dass es den Frauen im Asylbewerberheim nicht gut gehen würde“, erklärt Sozialarbeiterin Saskia Rohde.
Bei den Aufnahmegesprächen werden die Mitarbeiterinnen mit heftigen Schilderungen konfrontiert, manches ist per Video dokumentiert, manches durch Wunden belegt. „Viele wollen darüber sprechen“, sagt Lewandowski, sie wollen sich „die Seele freimachen“.
Ausweispapiere als Druckmittel
Um Frauen in Gewaltbeziehungen zu halten, würden Männer häufig die Ausweispapiere entwenden. Ein Druckmittel. Für das Autonome Frauenhaus ist der Aufwand, neue zu beschaffen, enorm, sagen Lewandowski und Rohde. Termine im Ausländeramt zu bekommen, sei nach wie vor schwer. Je nach Herkunftsland ist die Kooperation durch die Botschaften ebenfalls übersichtlich. Wenn sie sich zum Internationalen Weltfrauentag was wünschen dürften, dann wären es wohl direkte Ansprechpartner in den Behörden. Zumindest im Jobcenter ist das gewährleistet und ein echtes Privileg, sagen die Mitarbeiterinnen.
Ein anderes Problem: Die Engpässe in den Kindergärten. An den Grundschulen können sie die Kinder meist schnell als Gastschüler unterbringen, bei den weiterführenden Schulen ist es schon schwieriger. Aber Kita-Plätze? Das Frauenhaus springt auch hier ein, verschafft durch die Betreuung der Kinder den Frauen Freiräume für Behördengänge oder ungestörte Telefonate.
Für die Kinder sei die Zeit oft entlastend, sie können hier erstmals wieder Kind sein. „Wie sie aufblühen, wie schnell sie lernen!“, staunt Rohde.
Die Mitarbeiterinnen des Autonomen Frauenhauses wollen den Frauen auch Vorbild sein: „Wir bauen, streichen, packen an, die Frauen sollen sehen, dass sie nicht für alles jemanden brauchen“, sagt Lewandowski.
Vorbild sein für die Frauen
So gelingt es manchen, schon nach wenigen Wochen wieder auszuziehen und auf eigene Beine zu kommen. Aber wenn Ausweisdokumente neu zu besorgen sind, könne es auch mehrere Monate dauern, bis es möglich ist, auch nur an einen Auszug zu denken.
Und dann gibt es noch jene, die das nicht schaffen, die weitere Begleitung benötigen. „Das hat dann nichts mit der Gewalterfahrung zu tun“, betont Lewandowski. Auch Frauen mit psychischen Störungen oder Suchterkrankungen benötigen ein anderes Umfeld. Da hilft dann das Netzwerk.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es immer einen Bereitschaftsdienst gibt, dass immer mal wieder die Polizei eingeschaltet werden muss, weil die Adresse des Frauenhauses doch nicht so geheim ist, wie es wünschenswert wäre, weil Männer bedrohlich vor der Tür stehen – oder weil auch Frauen nicht perfekt sind und sich nicht an die Regeln im Haus halten.
>>DIE ANFÄNGE DES FRAUENHAUSES
- In der Telefonseelsorge bekamen ehrenamtlich aktive Frauen Notrufe von verzweifelten Frauen, die Hilfe suchten, die vor ihren Männern flüchten wollten.
- Den Anfang machte der Verein Frauen helfen Frauen mit einem Matratzenlager in einer Wohnung, die am 20. Februar 1977 am Dellplatz angemietet wurde.
- Zu dem Zeitpunkt war gerade erst das Familienrecht reformiert worden. Zuvor galt, dass jemand „Schuld“ an einer Scheidung haben musste, der Mann gegen eine Berufstätigkeit seiner Frau Einspruch erheben konnte.
- Aus der spontanen und unbürokratischen Soforthilfe wurde 1978 das Autonome Frauenhaus. Über Jahrzehnte kümmerte sich der Verein ehrenamtlich, finanzierte die laufenden Kosten des Frauenhauses über Spenden, bis das Land zumindest die Personalkosten übernahm.
- Die Stadt Duisburg beteiligt sich erst seit drei Jahren an den Kosten. Der anfängliche Sockelbetrag von 50.000 Euro für das Autonome Frauenhaus und das Frauenhaus des Christophoruswerks wurde in diesem Jahr erstmals deutlich erhöht.
>> UNTERSTÜTZUNGSMÖGLICHKEITEN
- Um den Frauen, die im Frauenhaus leben, eine Freude zu machen, sind Gutschein-Spenden für Drogerien oder Supermärkten gerngesehen. „Dann können sie endlich mal etwas selbst entscheiden, sich ihr Lieblingsdeo kaufen“, erklärt Jil Johannes.
- Der Verein Frauen helfen Frauen hat für den Betrieb des Frauenhauses ein Spendenkonto: Stadtsparkasse Duisburg, BLZ 350 500 00 IBAN DE19 3505 0000 0223 0041 69.
- Weitere Infos gibt es auf der Webseite www.frauen-helfen-frauen.org