Duisburg. Nächte im Luftschutzbunker, Angst, Ungewissheit – und dann die Flucht: Ukrainerinnen haben in Duisburg ihre persönlichen Geschichten erzählt.

Ein Jahr ist vergangen, seit Russland die Ukraine angegriffen hat. Seitdem herrscht dort Krieg. Betroffen ist das ganze Land. Anlässlich dieses Jahrestages fand im Internationalen Zentrum in Duisburg die Veranstaltung „Ukraine Stories“ statt. Fünf geflüchtete Frauen stellten sich vor und erzählten von ihrer Flucht und dem Ankommen in Duisburg.

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Marijo Terzic, Leiter des Kommunalen Integrationszentrums, ist tief betroffen, dass der Krieg noch immer anhält.
Marijo Terzic, Leiter des Kommunalen Integrationszentrums, ist tief betroffen, dass der Krieg noch immer anhält. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Marijo Terzic, Leiter des Kommunalen Integrationszentrum, zeigt sich in seiner Begrüßungsrede betroffen. „Es gibt Daten, die sich in das kollektive Gedächtnis einbrennen“, erzählt er. So ein Datum sei nun auch der 24. Februar. „Bundeskanzler Olaf Scholz beschreibt den Anfang des Krieges ganz passend als Zeitenwende“, findet Terzic. Auch für Duisburg sei dieses vergangene Jahr eine große Herausforderung gewesen. 6500 ukrainische Geflüchtete seien bisher nach Duisburg gekommen. „Wir dachten, der Krieg dauert nur ein paar Wochen.“

Von Kamianske nach Duisburg: Eine Bekannte erzählte ihr vom Ruhrgebiet

Eine von den Geflüchteten ist Maria Nesterenko. Die 44-Jährige kommt aus der Stadt Kamianske, die unweit der Großstadt Dnipro gelegen ist. „Wir wollten eigentlich gar nicht fliehen“, erzählt die Kosmetikerin. „Wir waren überzeugt, dass der Krieg nur zwei oder drei Wochen dauern wird.“ Erst als die ersten Raketen in der Nachbarschaft eingeschlagen sind, habe sie sich ihr Kinder geschnappt und sei losgefahren. „Wir sind ins Nichts gefahren“, erzählt Maria Nesterenko. Später schrieb ihr eine Bekannte, die bereits in Duisburg angekommen war und empfahl ihr, in die Stadt zu kommen. So landete sie hier.

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In der Ukraine hatte Maria Nesterenko sich auf Wimpernverlängerung spezialisiert. Wollte sogar ihren eigenen Salon eröffnen. Hier müsse sie nun erst einmal die Sprache lernen. „Wir haben eine Wohnung bekommen und ich gehe zu den Integrationskursen“, erzählt sie. „Jetzt kann ich mir neue Pläne für die Zukunft machen. Ich wollte mich nützlich machen.“

Für die meisten änderte sich das Leben von einen Moment auf den anderen

Auch das Leben von Kataryna Sinchenko wurde am 24. Februar schlagartig auf den Kopf gestellt. Die 28-Jährige kam bereits Anfang 2019 aus der ostukrainischen Stadt Charkiw nach Deutschland, um Anglistik und Amerikanistik an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf zu studieren. „Ich sollte am 24. Februar eigentlich nach Hause fliegen“, erzählt die Studentin. „Meine Mama hat schon Borschtsch gekocht, die Koffer waren gepackt.“ Stattdessen schrieb die junge Frau sofort E-Mails an alle Hilfsstellen, die ihr einfielen. „Ich wollte helfen, wollte mich nützlich machen“, erinnert sie sich. Sie nahm schließlich eine Stelle als Sprachmittlerin an und half in den Auffanglagern.

Auch die 26-Jährige Maria Hellstein war bereits in Duisburg, als der Krieg losbrach. Die ausgebildete Schauspielerin und Regisseurin stammt ursprünglich aus Charkiw, besuchte aber einige Jahre lang eine englischsprachige Schule in Duisburg. Ihre Großeltern und ihre Mutter wohnen hier. Weihnachten 2021 besuchte sie ihre Familie und konnte schließlich nicht mehr nach Charkiw zurückkehren.

Der Gesang ist ihre Leidenschaft. Auch an diesem Abend durfte das Publikum der jungen Frau zuhören, die ein ukrainisches Volkslied sang, aber auch eines, das sie selbst geschrieben hatte. „In meinem Land ist der Himmel am schönsten“, singt sie darin. „Wir sind die ganze Nacht im Keller geblieben, damit die Kinder sich ausschlafen.“

Nächte im Luftschutzkeller verbracht

Die Ukrainerin Viktoria Grygorieva musste ihre Heimatstadt Kiyv verlassen. In der Ukraine arbeitete sie als Juristin. Nach einigen Nächten im Luftschutzkeller beschloss die 40-Jährige zu fliehen, um ihre Familie zu schützen. Sie zeigt Bilder von den ersten Kriegstagen. Zu sehen sind eine Reihe von Helikoptern über den Hochhäusern der Millionenstadt und die zerbombte Straße vor ihrem eigenen Wohnhaus. „Die Leute standen Schlange vor den Banken, weil sie Angst hatten, dass das System kollabiert und es morgen keine Banken mehr gibt.“ Bei ihrer Flucht aus der Stadt standen sie 30 Kilometer lang im Stau. In Duisburg angekommen wurden sie von einer deutschen Familie aufgenommen, mit der sie noch immer in gutem Kontakt stehe.

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Auch die Eventmanagerin Lyudmyla Khomiak verbrachte in ihrer Heimatstadt Dnipro Tage und Nächte mit ihren Kindern im Luftschutzbunker. „Irgendwann entscheidet man sich, einfach die ganze Nacht im Keller zu bleiben, damit die Kinder sich wenigstens ausschlafen“, erzählt die zweifache Mutter. „Sie müssen schließlich am nächsten Tag in die Schule oder zum Musikunterricht.“ Lyudmylas Mann ist freiwillig zur Armee gegangen. Bis zum Krieg war er Musiker. „Es ist ihm nicht schwer gefallen, die Gitarre gegen ein Maschinengewehr zu tauschen“, erzählt die 40-Jährige. Das Ehepaar hatte 2003 die Künstleragentur „Art Vertep“ gegründet. Schon im ersten Ukrainekrieg fuhren sie öfter an die Front, um die Soldaten zu unterstützen und ihre Laune mit Musik etwas zu heben. Der Krieg war ihnen also nicht fremd.

Ukrainische Kultur in Deutschland fördern

In Duisburg lernten Lyudmyla und Viktoria sich im Sprachkurs kennen. Gemeinsam gründeten sie die „Ukrainische Frauen Union“ in Deutschland. „Wir wollen die ukrainische Kultur und Kunst auch hier in Deutschland fördern“, erklären die Frauen. „Und wir wollen ein sicheres und vertrautes Umfeld für unsere Kinder schaffen. Wenn sie sich hier wohl fühlen, können sie sich auch besser integrieren.“ Der Verein soll neben Beratungsangeboten für Ukrainerinnen auch den kulturellen Austausch zwischen Deutschland und der Ukraine fördern. Trotz allem, was in dem letzten Jahr passiert ist. Trotz all dem Schmerz, den die Frauen durchlebt haben. Sie scheinen in Duisburg angekommen zu sein und sie schauen nach vorne. Ganz zum Schluss zeigt Viktoria das Foto aus Kiyv vor dem Krieg. Mit einem doppelten Regenbogen im Himmel. „Einen Regenbogen sieht man immer nach dem Regen“, erklärt sie. „Und wir hoffen, dass auch wir bald wieder einen Regenbogen sehen werden.“

>> Internationales Zentrum 1980 gegründet

Das Internationale Zentrum der Stadt Duisburg ist seit 1980 ein Ort des kulturellen Austausches und der Bildung. Auch in Zukunft sollen dort Veranstaltungen zum Deutsch-Ukrainischen Austausch stattfinden–

Auch die Ukrainische Frauen Union in Deutschland plant Kulturveranstaltungen in Duisburg. Neuigkeiten kann man auf der Seite https://www.facebook.com/UWUnion.de nachlesen.