Duisburg. Mit Ukraine-Bezug fand in Duisburg das vierte Philharmonische Konzert statt. Warum unser Kritiker verwundert war.

Hinter den Kulissen muss es bei den Duisburger Philharmonikern turbulent zugegangen sein. Die eigentlich für das vierte Philharmonische Konzert engagierte Geigen-Solistin Karen Gomyo war kurzfristig erkrankt. Rettung kam aber in Person der Folkwang-Professorin Alissa Margulis, die in der Mercatorhalle mit dem 1. Violinen-Konzert von Sergej Prokofjew einen starken Auftritt bot.

Am Beginn des Konzertes, das unter dem Motto „Traum und Wirklichkeit“ stand, erklang das Martin Luther King gewidmete „Epitaph for a Man Who Dreamed“ von Adolphus Hailstork. Der Titel spielte auf Kings berühmte Worte „I have a dream“ an. Diese Trauermusik ist keine expressive Totenanklage, sondern ein distanziertes Gedenkstück, das mit einem ruhigen Bratschen-Solo beginnt. Erst spät setzen die Flöten ein und leiten dann zu einem Blechbläserchoral über. Trotz großer Besetzung ist dies ein eher unspektakuläres Stück Musik.

Duisburger Philharmoniker begleiten farbenreich aber dezent

Das Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 D-Dur op. 19 kann man in diesem Konzertzusammenhang am ehesten so deuten, dass Sergej Prokofjew mit seiner Musik eine Traumwelt erschafft, denn der Beginn des Werkes mit seinem wunderbaren Zusammenspiel der Solo-Geige mit den Holzbläsern atmet noch eine romantische Verklärtheit. Doch diese Stimmung wechselt schnell in die virtuose Geigenwelt des frühen 20. Jahrhunderts, wenn der Komponist moderne Spieltechniken einsetzt. Da gibt es wiederholt aggressive und mit starkem Bogendruck gestrichene Tonfolgen oder rasant gezupfte Pizzicati.

Immer wieder hat man den Eindruck, dass es dem Komponisten weniger um die Melodieverläufe geht, sondern um neue magische Klangräume, die im Zusammenspiel zwischen Solistin und Orchester entstehen. Gast-Dirigent Roderick Cox leitet die Aufführung mit kraftvoller aber ruhiger Schlagtechnik. Solistin Alissa Margulis, die das Stück mit souveräner Meisterschaft spielt, steht ganz klar im Zentrum, da die Philharmoniker farbenreich aber dezent begleiten.

Bei einem Konzert, auf dessen Programmheft die ukrainischen Nationalfarben abgedruckt sind und das Publikum nach der Veranstaltung Taschen mit Trägern in Blau und Gelb geschenkt bekommt, verwundert es, dass mit Prokofjew und Schostakowitsch gleich zwei Komponisten der UdSSR gespielt werden. Immerhin gibt die vom Publikum gefeierte Alissa Margulis aber noch als Zugabe ein kurzes Solo eines ukrainischen Komponisten.

Walzer in einer andauernden Bedrohungssituation

Mit der Sinfonie Nr. 10 e-Moll op. 93 von Dmitri Schostakowitsch geht es dann in die grausame Wirklichkeit des Stalinismus. Der düstere Eröffnungssatz beschreibt das Leid der Bevölkerung in dieser düsteren Epoche der UdSSR. Bleischwer klingt die Eröffnung mit Celli und Kontrabässen. Selbst wenn die Geigen einsetzen, lichtet sich die Stimmung nur minimal. Der erste Satz ist mit 25 Minuten Spieldauer eine echte Herausforderung für den Dirigenten, aber Roderick Cox, gelingt es die Momente des Aufbegehrens und die der Resignation, die oft sehr schnell ineinander übergehen, ganz schlüssig aus der Partitur zu entwickeln.

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Auch wenn in diesem ersten Satz manche Stelle so düster wie eine schwarze Betonwand klingt, belohnen die folgenden Sätze die Zuhörer, zumal diese ihre Wirkung erst durch den depressiven Beginn der Sinfonie entfalten können: Da ist das sich immer wieder überschlagende Allegretto, in dem Schostakowitsch Stalins Irrsinn in Töne setzt. Der 3. Satz ist ein Walzer in einer andauernden Bedrohungssituation, in der sich Schostakowitsch mittanzen lässt, in dem er die Töne D-S-C-H als seine Signatur benutzt.

Wenn diese viertönige Melodie im Finale von den Blechbläsern triumphal geschmettert wird, macht der Komponist seinen persönlichen Sieg über den gerade verstorbenen Diktator deutlich. Die Zuhörer bedanken sich bei Roderick Cox und den Philharmonikern mit starkem Beifall, in dem auch die solistischen Leistungen einzelner Musiker besonders gewürdigt werden.

>>GAST-DIRIGENT RODERICK COX IN DUISBURG

Dirigent Roderick Cox wurde in Macon im US-Bundesstatt Georgia geboren.

Im Bereich der Oper leitete er Bizets „Perlenfischer“ in Houston, Rossinis „Barbier von Seviglia“ in San Francisco und Verdis „Rigoletto“ in Montpellier.

Der mittlerweile in Berlin lebende Dirigent gewann 2018 den Georg Solti Conducting Award.