Duisburg. Der Krieg verfolgt Mohammed Alt Broury. Warum der junge Neurochirurg vor dem russischen Bomben auf den Donbass in der Ukraine nach Duisburg floh.
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine schreibt auch Geschichten wie die von Mohammed Alt Broury: den jungen Arzt aus Libyen, der ein guter Neurochirurg sein möchte und dabei immer wieder vom Krieg eingeholt wird. Die Bomben, die auf die Stadt Sjewjerodonezk im Donbass fielen, haben dem 33-Jährigen alles genommen. Jetzt kämpft er in Duisburg um eine neue Chance.
Die Bilder auf dem Handy des Arztes vermitteln einen drastischen Eindruck vom Grauen dieses Krieges. Kinder, denen die Bombensplitter das Augenlicht nahmen, Patienten, denen sie das Gesicht zerfetzten, Trommelfelle, die unter der Wucht der Einschläge platzten. „Es sind Verletzungen, die man auch als Arzt nur im Krieg sieht“, beschreibt Mohammed Alt Broury die Bilder, die sich ihm boten.
Am 8. März, Muttertag, wurden nach den Angriffen auf den Ort nahe der Grenzstadt Luhansk Dutzende Zivilisten in die Klinik eingeliefert. „Es war Muttertag, ein sonniger Vormittag, als Granaten auf dem Marktplatz einschlugen“, erinnert er.
Russische Raketen zerstörten die gerade gekaufte Wohnung
Vielleicht wäre er noch geblieben und nicht wie viele seiner Kollegen gen Westen geflohen, hätten die Einschläge nicht auch das Haus getroffen, in dem er kurz zuvor eine Wohnung erworben hatte. „Weil sie völlig zerstört war, habe ich in der Klinik gewohnt“, berichtet der Arzt.
Immerhin: Seinen Pass und einen Laptop mit Kopien wichtiger Dokumente hatte er bereits mitgenommen ins Krankenhaus, als die Raketen sein Zuhause trafen. Als er Ende März floh, hatte die Front die eingekesselte Stadt erreicht, die meisten der 200.000 Einwohner hatten Sevjerodonezk bereits verlassen.
Vom Bürgerkrieg in Libyen in den Krieg in der Ukraine
Rückblende: 2008 beginnt der junge Mann aus der Tripoli sein Medizinstudium in Sabha im Süden Libyens. Nach England geht er auf der Suche nach einer besseren Ausbildung, studiert zunächst die Sprache in Kent, um dann festzustellen: „Das Studium dort ist zu teuer für mich.“ Also kehrt er zurück in sein Heimatland, das nach dem Tod des Diktators Muammar al-Gaddafi gerade in einem Bürgerkrieg zerfällt.
Nach dem Medizin-Examen geht Mohammed Alt Broury 2014 in die Ukraine, zunächst in die Millionenstadt Dnipro, dann folgt er seinem Professor nach Sevjerodonezk, wo er die Facharzt-Ausbildung abschließt.
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Als Assistenzarzt arbeitet er danach in der Neurochirurgie, schreibt parallel dazu an seiner Doktorarbeit. „Mein Thema ist die Behandlung von Schussverletzungen – ausgerechnet“, sagt er. Die mündliche Prüfung, die Verteidigung der Arbeit, verhinderte der Krieg. „Mein Professor ist erst nach Kiew, dann nach Lwiw geflohen“, sagt Alt Broury. Auch deshalb ist er im Oktober noch einmal in die Ukraine gereist: „Ich brauchte Papiere von ihm, musste besprechen, wann und wo die Prüfung stattfinden kann.“ Für einen Neustart in Deutschland will er unbedingt mit dem Titel in der Ukraine abschließen.
Der Laptop als einziges Gepäck auf der Flucht nach Deutschland
Warum ist Mohammed Alt Broury nach Deutschland geflohen? „Mein Heimatland Libyen wäre eine Option gewesen. Aber ich möchte in einer Klinik arbeiten, wo Neurochirurgie auf hohem Niveau praktiziert wird. Das wäre dort nicht möglich gewesen“, sagt der 33-Jährige. Also hat er sich per Bus und Bahn auf den Weg nach Düsseldorf gemacht, wo ein libyscher Freund als Augenarzt arbeitet. Sein Gepäck: der Laptop. „Mein ganzes Leben war in meiner Wohnung. Ich hatte nicht einmal Kleidung.“
Einer Erstaufnahme-Einrichtung in Schermbeck wurde der Arzt dann gewiesen und hatte Glück – dort lernte er seine jetzige Gastgeberin kennen, die ihm in dem freien Dachgeschoss ihres Hauses in Hamborn eine kleine Wohnung anbot.
Jetzt absolviert er einen Deutschkurs, die Sprache ist Grundvoraussetzung für die Rückkehr in seinen Beruf. Im St. Josef-Krankenhaus in Moers konnte er bereits für einige Wochen Dr. Hilal Yahya über die Schulter schauen. Der Chefarzt der Neurochirurgie war zuvor im Fahrner Krankenhaus tätig. „So etwas ist ganz wichtig für mich“, sagt Mohammed Alt Broury. Er hofft, dass ihm Kliniken und Ärzte in Duisburg den Kontakt zum OP-Betrieb ermöglichen. „Ich fürchte, die Übung zu verlieren.“
LANGER WEG ZUR ANERKENNUNG
- Um in Deutschland praktizieren zu können, müssen Ärzte aus dem Ausland ihre Ausbildung anerkennen lassen, die Sprache erlernen und eine Anerkennungsprüfung ablegen, in der ihre Qualifikation geprüft wird.
- Diesen Weg gingen vor sieben Jahren viele syrische Mediziner nach ihrer Flucht vor dem Bürgerkrieg. Die SfS Schulungsgesellschaft in Duissern organisiert seit 2015 spezielle Sprachkurse für Mediziner zur achtmonatigen Vorbereitung auf die Ärzteprüfung.
- Wer die Möglichkeit hat, Mohammed Alt Broury ein neurochirurgisches Praktikum zu ermöglichen, kann den Kontakt zu ihm über die Redaktion herstellen per E-Mai: martin.ahlers@funkemedien.de