Duisburg. Duisburger Leserinnen und Leser stellen Fragen an die direkt gewählten Bundestagsabgeordneten der Stadt: Bärbel Bas und Mahmut Özdemir antworten.
Es geht um Pflege und Krankengeld, die Gasumlage und den Duisburger Arbeitsmarkt, die B288 und fehlende Bürgernähe: Wir danken allen Leserinnen und Lesern, die Fragen an die direkt gewählten Duisburger Bundestagsabgeordneten geschickt haben, an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und den Parlamentarischen Staatssekretär Mahmut Özdemir (beide SPD).
Hier lesen Sie von der Redaktion ausgewählte Fragen und die – von der Redaktion gekürzten – Antworten der Abgeordneten.
Bärbel Bas und Mahmut Özdemir beantworten Fragen der Leserinnen und Leser
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Ingrid Reifschläger: In ihrer Antrittsrede im Bundestag haben Sie als ihre „Herzensangelegenheit“ die Verkleinerung der Parlamente zugesichert. Jetzt fordern Sie die Einführung einer Vermögenssteuer. Die SPD schützt nie die arbeitende Bevölkerung, aber immer die nicht Wollenden.
Bärbel Bas: Wir müssen verhindern, dass das Parlament weiter anwächst. Die dazu ins Leben gerufene Wahlrechtskommission soll bis zum 31. August einen Zwischenbericht mit Empfehlungen zur Verkleinerung des Bundestages und bis zum 30. Juni 2023 ihren Abschlussbericht vorlegen. Allen politisch Beteiligten ist klar, dass wir eine Reform entscheiden müssen, die diesen Namen verdient.
Mir ist bewusst, dass sich viele Menschen angesichts der Inflation und der Energiepreise täglich Sorgen machen, wie lange sie noch die Miete und die Heizkosten bezahlen können oder ob ihre Arbeitsplätze sicher sind. Es muss eine Kraftanstrengung der ganzen Gesellschaft sein, die Herausforderungen durch den Krieg in der Ukraine, Preissteigerungen und Energieknappheit zu bewältigen. Es ist für mich eine Frage der Solidarität und sozialen Gerechtigkeit, dass wir die Menschen gezielt entlasten, die sich fragen, wie sie die Belastungen noch stemmen sollen. Das betrifft insbesondere Menschen mit geringen und mittleren Einkommen, darunter Familien, Alleinerziehende, Studierende sowie Rentnerinnen und Rentner. Um dies möglich zu machen und zu finanzieren, müssen die starken Schultern in der Gesellschaft ihren Beitrag leisten.
Heinz Wortelkamp: Auch in der Pflege explodieren die Kosten. Insbesondere pflegende Angehörige können die Pflege ihrer Pflegepersonen nicht mehr sicherstellen. Die Sockelbeträge sind seit Jahren auf gleichem Niveau. Wann erfolgt eine neue Pflegereform, durch die das Kosten-/Leistungsniveau auf konstante Weise angepasst wird?
Bärbel Bas: Zum Ende der vergangenen Wahlperiode konnten wir erste Verbesserungen für die ambulante Pflege beschließen: Wir haben einen Anspruch auf eine bis zu zehntägige Übergangspflege im Krankenhaus geschaffen, die Leistungsbeträge für ambulante Pflegesachleistungen haben wir um fünf und die Leistungsbeträge für Kurzzeitpflege um zehn Prozent erhöht. Außerdem haben wir gesetzlich starke Anreize für den Ausbau der Kurzzeitpflege gesetzt. Die mit dem damaligen Koalitionspartner beschlossenen Verbesserungen reichen aber nicht aus. Daher haben wir im Koalitionsvertrag mit Grünen und FDP vereinbart, Leistungen wie die Kurzzeit- und Verhinderungspflege in einem unbürokratischen, transparenten und flexiblen Entlastungsbudget zusammenzufassen, um die häusliche Pflege zu stärken. Zudem wollen wir das Pflegegeld ab 2022 regelhaft dynamisieren. Und wir wollen pflegenden Angehörigen mehr Zeitsouveränität ermöglichen, auch durch eine Lohnersatzleistung im Falle pflegebedingter Auszeiten.
Horst Möller: Glauben Sie, dass 2025 noch Atomkraftwerke in Deutschland in Betrieb sein werden?
Mahmut Özdemir: Bundeswirtschafts- und Bundesumweltministerium haben kurz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine ergebnisoffen mit den Kraftwerksbetreibern geprüft, ob die drei noch im Betrieb befindlichen Atomkraftwerke weiter betrieben werden sollen bzw. können. Das Ergebnis war deutlich: Einem etwaigen Nutzen längerer AKW-Laufzeiten stehen sehr hohe gesamtgesellschaftlich und wirtschaftliche Kosten und erhebliche Risiken gegenüber. Ein zweiter Stresstest prüft die Versorgungslage nun unter noch schärferen Bedingungen. Dabei wird vor allem berücksichtigt, dass noch mehr Atommeiler in Frankreich aufgrund von Sicherheitsbedenken vom Netz müssen. Ob Atomkraftwerke 2025 noch in Betrieb sein werden, hängt u.a. vom Ergebnis des zweiten Stresstestes ab, das noch nicht vorliegt. Atomkraft ist für mich persönlich keine langfristige Lösung und ich halte weiterhin am zügigen und beschlossenen Ausstieg fest.
Claudia Bergmann: Nach sechs Wochen Krankenschein bekommt man nur noch 60 Prozent des Einkommens. Mein Mann hatte eine sehr schwere Knieoperation. Würde er im Büro arbeiten, könnte er nach sechs Wochen arbeiten, da er dort auch mal das Bein hochlegen kann. Als Elektriker wird er mindestens neun/zehn Wochen ausfallen. Es kann nicht sein, dass man dafür bestraft wird, dass man eine OP in Kauf nimmt, um weiterarbeiten zu können! Bei Hartz-4-Empfängern gibt es nach sechs Wochen auch keine Kürzung.
Bärbel Bas: Zunächst wünsche ich Ihrem Mann eine gute Genesung. Ich kann gut nachvollziehen, dass die Situation für Sie und Ihren Mann unbefriedigend ist. Natürlich unterscheidet sich die Arbeit als Elektriker in vielen Facetten von einer Tätigkeit im Büro. Möglicherweise besteht aber die Möglichkeit, dass der Arbeitgeber Ihres Mannes ihm für die wenigen Wochen eine Tätigkeit im Büro anbietet. Was Hartz-IV-Empfängerinnen und Empfänger betrifft: Sie sind verpflichtet, dabei mitzuwirken, eine Arbeitsstelle zu finden. Zugleich erhalten sie eine Unterstützung auf Höhe des Existenzminimums. Dieses zu sichern, ist aus meiner Sicht die Pflicht der Gesellschaft
Karl-Heinz Annen: Mit großer Sorge sehen wir Bürger in Wedau und Buchholz der Fällung der über 100 Jahren alten Platanen an der Wedauer Straße entgegen. Die Bäume sind alle gesund. Bitte sprechen Sie nochmals unseren Oberbürgermeister diesbezüglich an.
Bärbel Bas: Die Zuständigkeit für den Ausbau der Wedauer Straße und allen damit verbundenen Maßnahmen liegt bei der Stadt Duisburg. Über die genaue Ausgestaltung entscheiden die Mitglieder im Rat der Stadt, als Bundestagsabgeordnete habe ich hierauf keinen direkten Einfluss. Gerne bin ich aber Ihrer Bitte nachgekommen und habe Ihre Nachricht und Ihre Bedenken an die zuständige SPD-Ratsfraktion weitergeleitet – mit der Bitte nochmals zu prüfen, ob die Fällung der Bäume zwingend erforderlich ist.
Christoph Eckhardt: Der Bundesregierung muss bewusst gewesen sein, dass die Gaspreiserhöhungen von den privaten Haushalten nicht zu stemmen sind, insbesondere von den Menschen mit geringem Einkommen nicht. Wieso will man die Verbraucherinnen und Verbraucher zusätzlich mit einer Gaspreisumlage belasten, wohl wissend, dass das zu erheblichen sozialen Verwerfungen in breiten Teilen der Gesellschaft führen wird?
Mahmut Özdemir: Sollten die russischen Gaslieferungen auf dem niedrigen Niveau verharren oder sinken, ist ein aktualisierter Speicherstand von 95 % bis November ohne zusätzliche Maßnahmen laut Bundesnetzagentur kaum erreichbar. Bei physischer Mangellage droht die Rationierung von Gas. Zwar sind Privathaushalte am längsten geschützt. Aber es drohen in einem solchen Ernstfall bedenkliche Schäden für Wertschöpfungsketten und den Arbeitsmarkt, die uns direkt oder indirekt alle – vor allem unsere Industrie – betreffen. Daher müssen wir versuchen, die Verbraucherinnen und Verbraucher bestmöglich zu schützen. Wir können nicht alle Preisentwicklungen abfedern, aber wir versuchen, die Bürgerinnen und Bürger anderweitig zu entlasten, durch die Senkung der Mehrwertsteuer auf Gas zum Beispiel. Weitere Entlastungen sind bereits vom Bundeskanzler zugesagt. Zu den bislang vereinbarten neuen Entlastungen gehören eine Reform des Wohngeldes und die Einführung des Bürgergelds. Außerdem sollen die Kündigungsschutzregeln für Mietwohnungen und Energieverträge überprüft werden, so dass Mieterinnen und Mietern der Mietvertrag oder Energiekunden der Liefervertrag nicht gekündigt wird. Gegenwärtig laufen noch Maßnahmen des zweiten Pakets, das viele Menschen entlastet: Im September wird die Energiepreispauschale von einmalig 300 Euro ausgezahlt, es gibt einen einmaligen Kinderbonus von 100 Euro, das 9-Euro-Ticket hat sich nach jetzigem Stand gut bewährt, der Tankrabatt hat einen Unterschied bis zu 60 Cent ausgemacht.
Hermann Welz: Wir im Duisburger Süden sind frustriert über den zunehmenden Verkehr. Nun soll die B288 als Autobahn durch Mündelheim ausgebaut werden. Die Betroffenen interessiert, was geplant und gebaut wird. Anfragen an unsere Bezirksvertretung werden nicht beantwortet. Falls doch mal eine Aussage getroffen wird, ist diese so schwammig formuliert oder in einer Verwaltungssprache ausgedrückt, die von einer Bürgernähe weit entfernt ist. Diese Erfahrung haben wir auch mit Landesregierung, Autobahn GmbH, Straßen NRW gemacht. Wie kann hier Bürgernähe erreicht werden?
Bärbel Bas: Ich sehe den Ausbau als eine Chance für Mündelheim und den Süden, um die Verkehrssicherheit zu erhöhen, aber auch um etwa den Lärmschutz zu verbessern. Klar ist aber auch, dass dabei die Bürgerinnen und Bürger eingebunden werden müssen. Gerade die bestehenden Beteiligungsverfahren für Behörden, Verbände und die Bürger vor Ort müssen besser bekannt und transparenter gemacht werden. Generell ist eine größere Bürgernähe ein Ziel, für das ich mich auch als Bundestagspräsidentin einsetze, denn Demokratie lebt vom Vertrauen der Menschen. Vertrauen kann aber nur wachsen, wenn die Menschen die Politik nachvollziehen können. Das beginnt damit, wie wir politische Fragen diskutieren und Entscheidungen begründen. Da sind wir oft zu technisch. Hier müssen wir als Politikerinnen und Politiker auf allen Ebenen besser werden, eine klare Sprache sprechen und offen sein für den Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern.
Georg Meyer: Duisburg müsste an der Außenwirkung der Stadt arbeiten. Ich finde, Frau Bas geht diesen Weg. Ich nehme wahr, dass Duisburg bei vielen Dingen immer als Negativbeispiel von den Medien genannt wird oder nicht berücksichtigt wird. Was könnte die Politik tun?
Mahmut Özdemir: Mein Ziel ist es, tagtäglich durch gute konkrete Projekte das Image der politischen Arbeit und der Stadt Duisburg zu einem tollen Gesamtbild zu verbessern. Es gibt zweifelsohne viel zu viele negative Schlagzeilen. Dabei würde es mich persönlich freuen, wenn noch mehr über Erfolge oder Verbesserungen für die Menschen berichtet würde. Nicht immer sind die kleinen Erfolge groß genug für eine Schlagzeile. Aber ich denke an das 50-Millionen-Euro-Paket für unseren Duisburger Norden oder den Abriss der Weißen Riesen im Duisburger Westen. Die Internationale Gartenausstellung 2027 in Duisburg, das Projekt klimaneutraler Stadtteile und nicht zuletzt Sportgroßveranstaltungen wie 2025 die Universiade in der Rhein-Ruhr-Region sind die beste Visitenkarte für unsere Stadt.
Michaela Huth: Warum werden so viele junge Menschen nicht in den Arbeitsmarkt integriert und stattdessen mit Sozialleistungen alimentiert? Überall herrscht Personalmangel, wie passt das zusammen? Wenn mehr Menschen die Chance bekämen, wenigstens einen Teil ihres Lebensunterhaltes zu verdienen, gäbe es wesentlich mehr Integration.
Bärbel Bas: Ein wichtiger Baustein gerade für Duisburg ist der soziale Arbeitsmarkt, den wir in der letzten Wahlperiode ins Leben gerufen haben. Damit wurde ein öffentlich geförderter sozialer Arbeitsmarkt mit individuellen Unterstützungs- und Betreuungsangeboten eingeführt. Das Prinzip: Arbeit fördern statt Arbeitslosigkeit finanzieren. Dabei geht es nicht um Ein-Euro-Jobs, sondern um reguläre, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in der Wirtschaft, in sozialen Einrichtungen und bei Kommunen. Das Jobcenter Duisburg bekommt dafür seit 2019 15 Millionen zusätzlich für Maßnahmen und Personal. Das ist eine Chance für die Duisburgerinnen und Duisburger, die schon lange arbeitslos sind. Dafür haben wir uns als SPD eingesetzt. Mit Erfolg, denn der soziale Arbeitsmarkt ist erwiesenermaßen ein erfolgreiches Instrument ist, um Langzeitarbeitslose in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu bringen. Bundesweit konnten bislang knapp 50.000 Menschen von diesem Instrument profitieren. Mit Einführung des geplanten Bürgergelds im kommenden Jahr wollen wir den sozialen Arbeitsmarkt zu einem dauerhaften Instrument der Arbeitsmarktpolitik machen.
Dieter Bürsten: Unter Kanzler Schröder wurde der Beitragssatz meiner Betriebsrenten zur Krankenkasse verdoppelt, Herr Spahn hat anschließend nur rund 160 Euro beitragsfrei stellen können.
Bärbel Bas: Mit dem GKV-Betriebsrentenfreibetragsgesetz haben wir in der vergangenen Wahlperiode endlich eine Regelung für die Krankenkassenbeiträge auf Betriebsrenten beschlossen. Wir haben dabei einen dynamischen Freibetrag eingeführt, der im Jahr eine Entlastung von rund 300 Euro bedeutet. Bei Einmalauszahlungen bedeutet das eine Entlastung von insgesamt rund 3000 Euro. Mindestens 60 Prozent der Betriebsrentnerinnen und -rentner zahlen damit de facto maximal den halben Beitragssatz, die weiteren 40 Prozent werden spürbar entlastet. Der Freibetrag gilt seit Anfang 2020 auch für diejenigen, die bereits in der Auszahlungsphase sind. Mir ist klar, dass sich viele Betriebsrentnerinnen und -rentner noch weitergehende Schritte erhofft hatten, insbesondere eine rückwirkende Lösung für bereits gezahlte Beiträge. Das war aber angesichts des erforderlichen Finanzvolumens nicht möglich und stand auch nicht zur Diskussion.
Georg Meyer: Warum bekommt die Polizei Duisburg kein Verkehrsunfallteam und muss dieses immer von den Nachbarstädten anfordern?
Mahmut Özdemir: Das Innenministerium des Landes NRW hat über die Verteilung der Verkehrsunfallteams in NRW zu entscheiden. Duisburg wird durch die Stelle in Essen abgedeckt. In den Verkehrsunfallteams arbeiten Spezialistinnen und Spezialisten aus diversen Fachbereichen zusammen. Die Zahlen zeigen bisher, dass Duisburg kein vor Ort ansässiges Team braucht. Diese Art der Kompetenzbündelung ist eine gängige Methode, um effiziente Polizeiarbeit gewährleisten zu können. Dennoch bin ich der festen Überzeugung, dass die gefühlte Sicherheit und die Ausstattung immer im Einklang stehen müssen. So werde ich dieses Anliegen im Auge behalten.