Duisburg-Hochfeld. Sinti und Roma haben der Stadt Duisburg oft aktiven Rassismus vorgeworfen. Nun war der Antiziganismus-Beauftragte des Bundes vor Ort in Hochfeld.
Es ist eher selten, dass ein Vertreter der Bundesregierung ganz ohne Tamtam nach Duisburg-Hochfeld reist. Normalerweise lassen sich Spitzenpolitiker, die sich vor Ort ein Bild machen wollen, gerne von einer größeren Delegation oder der Presse begleiten. Das ist bei Dr. Mehmet Gürcan Daimagüler anders. Der 54-Jährige ist der erste „Beauftragte der Bundesregierung gegen Antiziganismus und für das Leben der Sinti und Roma in Deutschland“. Daimagüler will in Hochfeld „keinesfalls eine Foto-Safari“, sondern mit Menschen ins Gespräch kommen.
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Nun sitzt er im „Zentrum für Kultur“ am Hochfelder Markt, der Zentrale des „Vereins für die solidarische Gesellschaft der Vielen“. Zu bereden gibt es viel – zum Beispiel die Auswirkungen der Häuserräumungen, den „Nicht-Dialog“ zwischen Stadt und Betroffenen oder die Tatsache, dass viele Zugewanderte keine Krankenversicherung haben und Ehrenamtliche in die Bresche springen müssen.
Duisburger Themen sind bis nach Berlin geschwappt
Das von der Bundesregierung erst kürzlich neu geschaffene Amt des Antiziganismus-Beauftragten soll Vorurteilen entgegenwirken und besagte Bevölkerungsgruppen vor Diskriminierungen und Anfeindungen schützen. Im Moment gibt es drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Arbeitsstab des Beauftragten – weitere Ministeriumsreferenten sollen ihm zuarbeiten. Ein großer Etat ist nicht vorgesehen, und wie viel Macht Daimagüler in seiner neuen Funktion hat, wird sich noch zeigen müssen. „Aber ich kann eine Plattform schaffen und Themen vorantreiben.“
Dass in Duisburg das Klima in puncto Zugewanderten aus Südosteuropa rau ist, hat sich bis nach Berlin herumgesprochen. Daimagüler kennt die Schlagzeilen über geräumte Häuser ebenso wie die Zitate des Oberbürgermeisters – „ich hätte gerne das Doppelte an Syrern, wenn ich dafür ein paar Osteuropäer abgeben könnte“ – und dessen Haltung gegenüber Sinti und Roma. „Die Community ist vielfältig. Ich verstehe nicht, warum man die Menschen nicht als Bürger ernst nimmt und mit ihnen ins Gespräch kommt. Sachverstand und Engagement sind in der Community vorhanden und werden nicht genutzt.“ Selbst die, die es gut meinten, kämen zu selten in einen Dialog auf Augenhöhe.
„Duisburg hat schon immer von seiner Diversität gelebt und sich manchmal mehr und manchmal weniger dazu bekannt“, weiß Daimagüler. Es könne nicht sein, dass nicht die Stadt, sondern die „Community und Friends“ alleine versuchen müssen, die Probleme zu lösen.
Lena Wiese, Vorsitzende des Vereins „für die solidarische Gesellschaft der Vielen“, und ihre Mitstreiter sind ehrenamtlich aktiv. In der Vergangenheit haben sie immer wieder auf die prekären Zustände insbesondere in Zusammenhang mit den Häuserräumungen in Hochfeld aufmerksam gemacht. In ihren Räumen bieten sie zudem Sozialberatung an und wollen die Community ermutigen, selbst die Stimme für ihre Rechte zu erheben. Lena Wiese berichtet dem Beauftragten, dass die Stadt Duisburg in Hochfeld mit Blick auf die Internationale Gartenausstellung 2027 andere Prioritäten setze und lieber den Imagewandel des Stadtteils unter dem Motto „Duisburg an den Rhein“ vorantreibe. „Ansonsten ist die Stadt auch bei anderen Themen in den vergangenen Jahren nicht durch ihre Dialogbereitschaft aufgefallen.“
Fest der Vielen vom 19. bis zum 21. August im Rheinpark
Unter den Gesprächsteilnehmern ist auch Siegfried Mettbach vom Verein „Duisburger Sinti“. Er ist Sinti und lebt schon seit den 1970er Jahren hier. Als Zuhause dienen Wohnwagen und Container in Neuenkamp und Meiderich. Doch da sie nie schriftlich bekommen haben, dass sie diese Plätze nutzen dürfen, leben sie in ständiger Sorge, umziehen zu müssen. In einem offenen Brief haben er und seine Familie bereits auf ihre Situation aufmerksam gemacht. Der Antiziganismus-Beauftragte hört sich die Schilderungen an. Mettbach will ihm weitere Unterlagen schicken.
Dr. Mehmet Gürcan Daimagüler hakt ganz konkret nach, welche Botschaften er mit nach Berlin nehmen solle – und ob es Anliegen gebe, für die die Duisburger Unterstützung bräuchten. „Wir planen keine Projekte. Wir haben alle Hände voll zu tun und können nur reagieren. Aber eine Krankenversicherungskarte für alle wäre sinnvoll“, erklärt Sylvia Brennemann, die sich beim Petershof engagiert. Dorthin können sich Menschen wenden, die gesundheitliche Probleme haben und nicht anderweitig zum Arzt gehen können. „Ich bin nicht frustriert. Ich bin einfach stinkwütend“, sagt sie und erinnert zum Beispiel an den letzten Besuch der Kanzlerin Angela Merkel, bei der die Ehrenamtlichen des Petershofs ihr die Probleme bereits dargelegt hatten. Getan habe sich seitdem nichts.
„Ich glaube nicht, dass sich jetzt durch ein Gespräch die Welt verändert“, ist Sylvia Brennemann realistisch. Die Mitstreiter des Hochfelder Vereins bewerten es positiv, dass Daimagüler vor Ort war und es erste Kontakte gibt. Als er erfährt, dass im August im Rheinpark das Fest der Vielen stattfinden soll mit Musik und politischer Diskussion, bietet er an, zu prüfen, ob er zu dem Termin kommen könne. Es scheint nicht sein letzter Termin in Duisburg gewesen zu sein. Als Antiziganismus-Beauftragter will er sich sämtliche Seiten anhören und auch mit dem Oberbürgermeister und der Stadtverwaltung ins Gespräch kommen.
>> Daimagüler war Opferanwalt beim NSU-Prozess
Bevor Dr. Mehmet Gürcan Daimagüler zum ersten Antiziganismus-Beauftragten der Bundesregierung berufen wurde, arbeitete er als Rechtsanwalt. Der Sohn türkischer Gastarbeiter der ersten Generation wuchs in Siegen auf. 2011 erschien sein Buch „Kein schönes Land in dieser Zeit“, in dem er die Versäumnisse einer gescheiterten Integrationspolitik aufarbeitete.
Daimagüler engagierte sich in den 1990er Jahren in der FDP, war zeitweise Mitglied des Bundesvorstandes. 2007 trat er aus der Partei aus. Auf Vorschlag der FDP war er allerdings 2017 Mitglied der Bundesversammlung.
In der Vergangenheit hat sich der Rechtsanwalt oft mit den Folgen von Rassismus und Diskriminierung auseinandergesetzt. Ab 2012 wirkte er als Opferanwalt und Vertreter der Nebenklage im NSU-Prozess mit. 2015 war Daimagüler ein Anwalt der Nebenkläger im Lüneburger Auschwitzprozess gegen Oskar Gröning. Zudem vertrat er die Nebenklage im Fall des Brandanschlags von Altena. „Ich bin die Auseinandersetzung mit staatlichen Institutionen aus einer Position der relativen Machtlosigkeit gewohnt“, sagt er mit Blick auf sein neues Amt.