Duisburg. Seit 1994 hat sich der Zoo Duisburg mit seiner Koala-Haltung einen Namen gemacht, der in Europa seinesgleichen sucht. Das sind die Gründe.
Beneidet werden Tierpfleger im Zoo oft um ihre Arbeit, Beifall erhalten sie von den Besuchern indes eher selten dafür. Mit Mario Chindemi würden wohl unzählige Menschen gerne ihren Job tauschen, denn der 58-Jährige hat als Leiter des Australien-Reviers auch die Tiere unter seinen Fittichen, die zu den größten Sympathieträgern der Kaiserberg-Arche zählen: die Koalas. Seit der Zoo Duisburg 1994 die ersten Koalas beherbergte, kümmert sich Chindemi um die empfindsamen Tiere, kennt sie und ihre Bedürfnisse und kann mit ihnen wie kaum ein anderer umgehen. Dafür erhielt er von den Besuchern sogar einmal begeisterten Applaus.
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Es geschah im Jahr 2020. Vor den Augen der entsetzten Besucher im Koalahaus kippte der kleine Tarni vom Rücken seiner Mutter Gooni, die mit ihm in einer Astgabel gedöst hatte, und plumpste auf den Boden. „Das ist ganz normal, auch in der Natur. Fast jeder junge Koala fällt mal vom Baum“, weiß Chindemi. Die Zoo-Gäste jedoch ängstigen sich um den Kleinen und irgendjemand alarmierte Chindemi auf dessen Privathandy, der sofort ins Koalahaus eilte. Als er die Tür zum Gehege aufschloss, hockten alle Koalaweibchen um den gefallenen Nachwuchs herum, doch keines hob Tarni auf. Auch seine Mutter nicht. Erst als Gooni ihren Pfleger erkannte, der sich auf die Türschwelle gesetzt hatte, holte sie ihren unversehrten Sprössling und flüchtete mit ihm direkt in Chindemis Arme. Erleichtert und beeindruckt klatschten die unfreiwilligen Zeugen dieses kleinen Unfalls Beifall.
„Da bist du als Pfleger nichts anderes als der Baum in der Brandung“, macht Mario Chindemi wie es so seine Art ist kein großes Gewese um seine Person. Aber, dass ein Fluchttier wie ein Koala nicht sofort das Weite sondern die Nähe eines Menschen sucht, ist ungewöhnlich. In Duisburg allerdings weniger. Der Leiter des Australien-Reviers pflegt einen besonderen Umgang mit seinen puscheligen Schützlingen, mit denen er bewusst auf Tuchfühlung geht. So herzergreifend das auch aussieht, ungefährlich ist das angesichts der Krallen eines Koalas nicht. Zudem können die australischen Dauer-Döser zuweilen gemein zubeißen, wenn sie unwirsch werden.
Tierpfleger im Zoo Duisburg: Koalas beißen nicht ins Gesicht
„Du musst ganz nah mit deiner Nase an ihre rangehen. Koalas nehmen viel über den Geruchssinn wahr und ins Gesicht beißen sie nicht“, gibt er allen mit auf den Weg, die bei ihm in die Koala-Pflegeschule gehen. „Ich sag den Leuten auch immer, dass sie an den Tieren riechen sollen. Schön die Nase ins Fell stecken und entspannt hineinatmen. Das schafft Vertrauen bei den Koalas.“ Angenehm ist diese Anweisung aber wohl nur bei den Koalaweibchen. „Die riechen tatsächlich nach Eukalyptus“, versichert Chindemi und ergänzt lachend, dass die Männchen eher „nach alter Socke“ stinken.
Das sind nur einige Erkenntnisse aus seinem umfangreichen über Jahre gesammelten Erfahrungsschatz. Als 1994 die ersten Koalas in die Kaiserberg-Arche einzogen, wechselte Chindemi, der bis dahin die Elefanten gepflegt hatte, das Revier. „Das hat ja damals einen riesigen Medien-Auflauf gegeben, und die Zoo-Leitung suchte jemanden, der keine Angst vor Kameras hat und reden kann.“ Das konnte Chindemi als Ruhrpottjunge schon immer gut. Eine Fähigkeit, die er bei den öffentlichen Trainingseinheiten mit den Elefanten noch verfeinert hatte. „Also hat die Leitung gesagt, dann nehmen wir mal den Pimpf und stecken ihn zu den Koalas“, amüsiert sich Chindemi noch heute über seinen Start im Koalahaus.
Keine Scheu vor Kameras oder Koalas
Er hatte weder Scheu vor den Kameras noch vor den Koalas. Und was deren Pflege alles erfordert, wusste ehedem niemand ausreichend im Duisburger Zoo. Zwar war der damalige Koala-Pfleger Franz Schramke vor der Ankunft der Beutelbären in Duisburg zur Schulung in den Zoo von San Diego in Kalifornien gereist, um auf Grundlage der dortigen erfolgreichen Haltung den richtigen Umgang mit den australischen Exoten zu erlernen. Doch ohne Englischkenntnisse und nur mit Hand- und Fußverständigung blieben die Feinheiten der Kunst, Koalas zu pflegen, auf der Strecke.
Für den alten Pfleger-Haudegen Schramke, der vom Kolibri bis zum Kodiakbär schon alles in seiner Obhut gehabt hatte, und seine drei Kollegen, darunter Mario Chindemi, stellte das dennoch kein Problem dar. „Wir hatten keine Angst vor den Tieren und ruckizucki raus, wie das mit den Koalas funktioniert“, erzählt Chindemi. „ Wir konnten improvisieren und lernen, denn die Zoo-Leitung hat uns die Freiheit gegeben, einfach zu machen.“ Und der Erfolg gab ihnen recht: 1995 gelang in Duisburg dies erste Koala-Nachzucht in Europa. Eine zoologische Sensation.
Inzwischen haben über 30 Jungtiere am Kaiserberg das Licht der Welt erblickt. Duisburg hat sich eine hoch geachteten Namen in der Koalahaltung erarbeitet, führt das Zuchtbuch des EEP (Europäisches Erhaltungszuchtprogramm) und hat immer wieder mal Pfleger aus anderen Zoos zu Gast, die sich in Duisburg mit der Koala-Haltung vertraut machen. So haben unlängst zwei Tierpfleger aus Stuttgart mitgearbeitet, weil die Wilhelma künftig auch Koalas halten will. Eigentlich hatten die Stuttgarter nach San Diego fliegen sollen, doch Corona verhinderte den Plan. „Da empfahlen die Australier, die das Sagen in der Koala-Haltung haben, ihnen stattdessen Duisburg. Das ist ein Ritterschlag“, freut sich Chindemi. „Duisburg ist das San Diego Europas.“
Koala-Haltung: Die Wissenschaftler wissen nicht alles
Gerade von dem erfahrenen Pfleger Schramke habe er sehr viel gelernt, lobt Chindemi seinen Vorgänger als Revierleiter. Der habe auch sein Selbstbewusstsein gestärkt. „Und so, wie Schramke mir viel mitgegeben hat, versuche ich, meinen jüngeren Kollegen auch viel mitzugeben von meinen Erfahrungen.“ Dazu gehört auch die, dass nicht alles in Lehrbüchern steht. Chindemi: „Es gibt vieles, was die Wissenschaft noch nicht bearbeitet und beschrieben hat.“
Auf eine solche Lücke stießen die Duisburger Koala-Pfleger 2021. Weil Eora mit einem Jungtier im Beutel partout nicht zunahm, entschlossen sich die Pfleger entgegen ihrer sonstigen Einstellung, möglichst nicht einzugreifen, doch in den Beutel zu schauen und stellten fest, dass es dem Jungtier schlecht ging. Sie nahmen es heraus und stellten fest, dass Eora ihren Nachwuchs kaum noch säugen konnte, weil Haare im Beutel sich um ihre Zitze gewickelt hatten, sogar teilweise eingewachsen waren und den Milchfluss fast versiegen ließen. „Das Phänomen war in der Fachliteratur nirgends beschrieben“, sagt Chindemi. „In der Natur wären Mutter und Kind gestorben. Das Alttier an einer Blutvergiftung, das Junge wäre verhungert.“
Die Duisburger konnten beide Tiere retten. Eora wurde operiert, und ihre Tochter Eerin hat Mario Chindemi liebevoll als Ersatzmutter aufgepäppelt. Es war der dritte Koala-Nachwuchs, der im Hause Chindemi aufgewachsen ist. „Aber ich hatte noch nie so einen Mini-Koala zu Hause“, sagt er. Gerade mal 158 Gramm wog das Kleine, das Chindemi in einem Stoffbeutel mit sich herumtrug. Von der Arbeit nach Hause und morgens wieder zurück, denn tagsüber war Eerin immer bei ihrer Koala-Mutter.
Koala-Mädchen in der Klemme: Todesmutiger Sprung
Für den kleinen Kletterbeutler hatte Chindemi in seinem Wohnzimmer auch ein paar Äste aufgestellt, von denen Eerin sich nach ein paar Turneinlagen aber nicht mehr runter traute und jämmerlich schrie. Chindemi, der immer mit den Tieren spricht die er pflegt – „das ist ganz wichtig“ – redete so beruhigend auf das kleine Koala-Mädchen ein, dass es sich bis zum Ende eines Astes kämpfte und dann todesmutig in seine ihr entgegengestreckte Hand sprang. Es rührt Chindemi immer noch, wenn er an diese Szene denkt, denn sie ist der Beweis für sein Erfolgsrezept: Vertrauen ist die Basis für ein gutes Verhältnis zwischen Mensch und Tier.
Der König im Koalahaus
Nicht nur drei kleine Koalas hat Mario Chindemi bei sich zuhause mit der Hand aufgezogen. Auch Känguru Lizzy und Wombat Apari schleppt er wochenlang im Tragesäckchen mit sich herum und päppelte sie auf. Erfahrungen in der Tierpflege hat der gebürtige Ruhrorter schon in Kindheitstagen gemacht. „Mein Onkel war Revierleiter im Afrikanum, und ich bin als kleiner Pimpf immer hier im Zoo rumgeflitzt“, erzählt der heute 58-Jährige. Mit 13 Jahren hat er zum ersten Mal eine Tiermutter ersetzt: „Ich hab zuhause einen kleinen Waschbären aufgezogen. Da war ich natürlich der König der Siedlung.“ Heute ist er der unumstrittene König im Koalahaus.