Duisburg. Seit Wochen meldet Duisburg die NRW-weit wenigsten Corona-Fälle. Woran liegt das? Das sagen Immunologe Carsten Watzl und Virologe Ulf Dittmer.

In Duisburg haben sich über weite Strecken der Pandemie deutlich mehr Menschen mit dem Coronavirus angesteckt als im NRW-Durchschnitt. Das geht aus den Amtsstatistiken hervor, die das Landeszentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen (LZG) täglich veröffentlicht. Seit dem 10. Februar aber lag Duisburgs Sieben-Tage-Inzidenz zunehmend deutlich unter dem NRW-Wert (siehe Grafik). In den vorigen drei Monaten wurde aus keiner der 22 kreisfreien Städte und aus keinem der 31 Kreise in NRW so häufig der lokale Landestiefstwert gemeldet wie aus Duisburg. Woran liegt das?

Wir haben zwei Experten zum Phänomen befragt: Professor Dr. Ulf Dittmer, Chef-Virologe der Uniklinik Essen, und Professor Dr. Carsten Watzl. Er leitet den Forschungsbereich Immunologie am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung der TU Dortmund.

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„Wir gehen davon aus, dass ein relevanter Anteil“ der Infektionen „nicht mehr mittels PCR-Test überprüft wird“, hatte Stadtsprecher Maximilian Böttner im März auf unsere Frage nach dem Tief geantwortet. Denn unter anderem die Änderung der Test- und Quarantäneverordnung Anfang Februar hat dazu geführt, dass es für Infizierte weniger Anreize gibt, sich nach einem positiven Schnelltest noch einen PCR-Nachweis zu besorgen. In der LZG-Statistik werden jedoch ausschließlich PCR-bestätigte Ansteckungen gezählt. Verzichten also in Duisburg mehr Infizierte als andernorts auf einen Laborbefund?

Immunologe Carsten Watzl: Grundimmunität in Bevölkerung durch Omikron-Welle

„Eine Festlegung auf nur einen Aspekt dürfte für eine Erklärung kaum ausreichend sein“, sagt Duisburgs Gesundheitsamtsleiter Ludwig Hoeren auf erneute Nachfrage. Es falle auf, „dass in der jetzigen Phase größere Städte eher im niedrigeren Inzidenzbereich liegen, viele Landkreise hingegen eher höhere Werte aufweisen“. Das spreche „durchaus für eine gewisse Beeinflussung durch frühere Infektionsereignisse“.

Professor Carsten Watzl hat zwar keine genaue Kenntnis vom Duisburger Infektionsgeschehen, sieht aber Gründe für lokale Durchseuchungseffekte. Aus Dortmund kennt er eine ähnliche Entwicklung wie in Duisburg: „Wir beobachten hier, dass die Inzidenzwerte in Bezirken niedrig sind, in denen es zu Beginn der Omikron-Welle sehr viele Infizierte gab, auch in Vierteln, in denen viele Menschen mit geringem sozio-ökonomischem Status leben.“ Watzl geht zwar auch von einer gewissen Verzerrung der Werte durch das veränderte Testverhalten aus. Er betont aber, auch mit Blick auf die Duisburger Tiefstwerte, dass die Omikron-Welle sehr schnell zu einer deutlichen Steigerung der Immunität in der Bevölkerung geführt hat – dass also auch die vielen Ansteckungen zu Beginn des Jahres ein Grund für die auffällig wenigen PCR-Nachweise in Duisburg sein können.

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„Auf Länder-Ebene ist England ein Beispiel, dass es nach sehr hohen Inzidenzen relativ schnell deutlich weniger Ansteckungen gab“, so Watzl. „Aus Antikörperstudien wissen wir, dass es dort eine Immunität von über 95 Prozent in weiten Teilen der Bevölkerung durch Impfung und/oder Infektion gibt.“ Wie hoch die Grundimmunität hierzulande ist? „Um das herauszufinden, müsste man Antikörperstudien durchführen. Die gibt es in Deutschland in dieser Art leider nicht.“

BA.1-Infektion erhöht Schutz vor Ansteckung mit anderen Omikron-Subytpen

Der Wissenschaftler erklärt: „Eine Omikron-Infektion bei Ungeimpften schafft zwar keine ausreichende Immunität im Vergleich zu geboosterten Personen, aber wer sich mit dem Omikron-Subtyp BA.1 angesteckt hat, ist erstmal besser vor einer Reinfektion geschützt und nach ersten Erkenntnissen anscheinend auch etwas besser vor einer Infektion mit anderen Omikron-Subtypen wie BA.2 und BA.5.“

Virologe Dr. Ulf Dittmer fasst den – aktuellen – Kenntnisstand so zusammen: „Wir haben nach überstandener Infektion über einige Wochen/Monate ein deutlich vermindertes Risiko, uns erneut zu infizieren. Der Schutz liegt nicht bei 100 Prozent, ist aber deutlich messbar.“ Menschen, die geimpft waren und sich dann infiziert haben, seien „noch mal deutlich besser und länger gegen weitere Infektionen geschützt als Menschen, die ,nur’ von Omikron genesen sind.“

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Auch Dittmer betont den „Sättigungseffekt“: „Wir haben in einigen Ländern gesehen, dass sehr hohe Infektionszahlen zum Peak der Omikron-Welle – in Deutschland waren es ja sogar zwei zusammenhängende Wellen – zu einem besonders starken Abfall der Infektionszahlen am Ende der Welle geführt haben. Das wird auch für Duisburg gelten.“

Virologe Ulf Dittmer: Sozialer Status beeinflusst Untererfassung

Herdenimmunität, so Dittmer, sei „immer ein lokales Phänomen und kann an verschiedenen Orten und in verschiedenen Bevölkerungsschichten eines Landes sehr unterschiedlich sein“. Allerdings seien „in der abklingenden Omikron-Welle längst nicht mehr alle Infektionen gemeldet und erfasst worden“. Vor allem mild erkrankte Personen „haben den Sinn darin nicht mehr gesehen“. Diese Untererfassung könne „lokal sehr unterschiedlich sein und hat sicher etwas mit Bildung und sozialem Status zu tun. Auch Sprachbarrieren sind hier von Bedeutung“.

Den genauen Einfluss können für Duisburg freilich weder Dittmer noch Watzl bestimmen. Die von ihnen formulierten Erkenntnisse zeigen aber: Die vielen Omikron-Infektionen im Januar und Februar in Duisburg haben auch zu mehr (mittelfristig) Geschützten in der Stadt geführt – das gilt insbesondere für Viertel in den ehemaligen Hotspot-Bezirken Hamborn sowie Meiderich/Beeck.

Prognose für Sommer und Herbst

Wie lange es weniger Ansteckungen gibt, hängt auch von den Eigenschaften und vom Verbreitungstempo der neuen Omikron-Sublinien BA.4 und BA.5 ab. Immunologe Watzl wagt – Erkenntnisstand: 3. Juni – eine Prognose für den Sommer und Herbst in Deutschland: Er geht von nationalen Inzidenzwerten „um die 100“ im Sommer aus und einem „deutlichen Anstieg der Fallzahlen im Herbst“ durch die „vermutlich nochmals ansteckendere Variante BA.5“. Risikogruppen könnte dann ein an Omikron angepasster Impfstoff vor schweren Verläufen schützen. Eine Gewissheit zumindest gebe es: „Früher oder später werden wir uns alle anstecken.“

>> IMMUNOLOGE DR. CARSTEN WATZL ...

  • … über Reinfektionen: „Reinfektionen mit Omikron sehen wir vor allem bei Ungeimpften, weil die erste Infektion für sie eine ähnliche Wirkung hatte wie eine erste Impfung. Unter Geimpften sind Reinfektionen nicht die Regel.“
  • … über den besten Schutz vor einer Infektion: „Am besten schützt die hybride Immunität. Die liegt vor, wenn sich geimpfte oder sogar geboosterte Personen infizieren.“ Watzl, selbst noch nicht infiziert, rät deswegen zwar nicht, eine Ansteckung gezielt herbeizuführen („ich selbst trage weiter Maske im Supermarkt“), aber durchaus zu einer gewissen Gelassenheit gegenüber Omikron. „Wir sollten die Angst verlieren, aber nie den Respekt vor einer Corona-Infektion, sofern keine Vorerkrankungen das Risiko einer Infektion erhöhen.“
  • … über Delta-Infektionen: „Eine Delta-Infektion ohne Impfung erhöht den Schutz vor einer Omikron Infektion nicht.“