Duisburg. Beim Philharmonischen Konzert in Duisburg erklang eine „komponierte Interpretation“ von Hans Zender auf dem Programm. Welche Vorbehalte es gibt.

Hans Zenders „komponierte Interpretation“ von Franz Schuberts Liederzyklus „Die Winterreise“ erfreut sich seit ihrer Uraufführung 1993 großer Beliebtheit. Auch das Publikum des 6. Philharmonischen Konzerts in der pandemiegerecht besetzten Mercatorhalle Duisburg reagierte begeistert auf die 90-minütige Vorstellung.

Was die Ausführung angeht, kann man den Reaktionen nahezu uneingeschränkt zustimmen. Der vor allem aus dem Wagner-Fach bekannte Tenor Klaus Florian Vogt erwies sich als erfreulich kultivierter Liedgestalter, und Generalmusikdirektor Axel Kober kitzelte mit den Duisburger Philharmonikern aus Zenders Bearbeitung für Tenor und kleines Orchester alles heraus, was die raffiniert instrumentierte Partitur hergibt.

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Mögliche Vorbehalte gegen Zenders Transkription haben sich in den fast 30 Jahren seit der Uraufführung allerdings nicht entkräftet. Zender wollte mit seiner Version wohlige Erwartungshaltungen des Publikums und routinierte Vortrags-Traditionen durchbrechen und die inneren Erschütterungen des verlassenen Jünglings auf seiner Wanderung durch den eiskalten Winter einer emotional erstarrten Umwelt ohne Plüsch und Pathos in realistischer Schärfe hörbar machen.

Alles Dunkle dunkler, alles Unwirtliche schärfer als bei Franz Schubert

Von großem Vertrauen in das Verständnis des Publikums, aber auch der Interpreten zeugt das nicht. Für die Darstellung der Gefühlsstürme des unglücklichen Protagonisten reicht Zender die Klavierstimme Schuberts nicht aus: Da müssen zwei Windmaschinen helfen oder der Sänger den Text Mikrofon-verstärkt herausbrüllen.

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Dass der Grundrhythmus des Eingangsliedes Wanderschritten nachempfunden ist, wird durch eine endlose Wiederholungsschleife des rhythmischen Motivs und den Saal durchschreitende Bläser jedem klar gemacht. Das todtraurige „Wirtshaus“ formt Zender zu einem brillant instrumentierten, fast schon kulinarisch schönen Trauerchoral um. Alles Dunkle färbt Zender noch eine Stufe dunkler ein, alles Unwirtliche noch eine Spur schärfer.

Die Balance zwischen Stimme und Begleitung gerät aus dem Gleichgewicht

Längst haben Sänger wie Julian Prégardien oder Markus Schäfer gezeigt, dass Schuberts Zyklus in der Originalversion den Interpreten so viel Raum lässt, dass sich das alles auch ohne Kontrafagott, Akkordeon und Schlagwerk zum Ausdruck bringen ließe. Sie zeigen auch, wie sehr Zenders Eingriffe die Balance zwischen Singstimme und Begleitung aus dem Gleichgewicht bringen.

Selbst der Bayreuth-erprobte Klaus Florian Vogt, der sich um eine feine, ein wenig pauschal auf Schönklang ausgerichtete Gestaltung bemühte, zog gegenüber der instrumentalen Übermacht bisweilen den Kürzeren. Und das obwohl Axel Kober und die Duisburger Philharmoniker die klanglichen Finessen dieser „komponierten Interpretation“ äußerst sorgfältig und keineswegs unsensibel herausarbeiteten.

Ein Abend, der Diskussionen auslösen dürfte und die Veranstalter ermutigen sollte, die Programmgestaltung durch weitere Experimente dieser oder anderer Art zu beleben. Der überschwängliche Beifall zeigte, dass das Duisburger Publikum bereit ist, sich auf neue Formate einzulassen.

>>HANS ZENDER: DIRIGENT UND KOMPONIST

  • Hans Zender (1936-2019) war ein führender Vertreter der neuen Musik in Deutschland. Als Generalmusikdirektor in Bonn, Kiel und Hamburg pflegte er ein breites Repertoire von Bach über Bruckner bis Rihm – und immer wieder Schubert.
  • Als Komponist hat er drei Opern geschrieben, war von 1988 bis 2000 Professor für Komposition an der Frankfurter Musikhochschule. Er hat Beethovens Diabelli-Variationen ebenso komponierend interpretiert wie Schuberts „Winterreise“, mit der er bekanntwurde.