Duisburg. Eine erste Langzeit-Auswertung zeigt: In den Bezirken Hamborn und Meiderich/Beeck gibt es mehr Corona-Fälle. So groß sind die Unterschiede.

Wer bei der Stadtverwaltung als Journalist nach der ungleichen Verteilung von Corona-Fällen im Duisburger Stadtgebiet fragte, erhielt seit März 2020 von Krisenstab und Stadtsprechern meist Verweise auf „kurzfristige“ Effekte oder „gesamtstädtische“ Entwicklungen. Neben der Sorge vor Vereinfachungen und Fehlinterpretationen schwingt in solchen Antworten die Angst vor der gesellschaftlichen Gefahr der Seuche mit – vor Schuldzuweisungen und Stigmatisierungen in der Bevölkerung. Fakt aber ist, dass auch die Corona-Pandemie die sozial gespaltene Stadt Duisburg teilt: Eine erste Langzeitauswertung innerstädtisch aufgeschlüsselter Fallzahlen lässt keine Zweifel an einem dramatischen strukturellen Nord-Süd-Gefälle.

Wie mehrfach berichtet, wollte die Verwaltung unserer Redaktion bislang stadtteilspezifische Fallzahlen nicht verraten. Am 16. April erst hat sie überraschend erstmals Wochenwerte für alle 46 Stadtteile bekanntgegeben, kleinteilige und und sprunghafte Momentaufnahmen also (wir berichteten). Diese transparente Dokumentation will die Stadt nun fortsetzen. Ende November hatte sie bereits begonnen, nach der übergeordneten räumlichen Gliederung des Stadtgebietes aufgeschlüsselte Fallzahlen, also nach den sieben Stadtbezirken sortierte Daten zu veröffentlichen. Eine Auswertung der ersten 19 Wochen belegt: Aus den Bezirken Hamborn und Meiderich/Beeck werden dauerhaft deutlich mehr Infektionen gemeldet – fast doppelt so viele wie aus Süd und Mitte.

Im Bezirk Hamborn fast doppelt so viele Fälle wie im Bezirk Süd

Das Amt für Kommunikation verweist zurecht immer wieder darauf, dass auch die Bezirkswochenwerte, etwa nach Ausbrüchen in Wohnheimen oder Asylunterkünften, stark schwanken können. Jedoch sinkt die Wahrscheinlichkeit von Verzerrungen mit der Länge des ausgewerteten Zeitraums. Zudem hängt das Risiko, dass das Virus in Heime, Schulen oder Kindertagesstätten getragen wird, langfristig unter anderem davon ab, wie stark betroffen deren Nachbarschaften sind.

Aus vielen Momentaufnahmen ergibt sich also ein aussagekräftigeres Bild, aus den hier herangezogenen Sieben-Tage-Inzidenzen eine „133-Tage-Inzidenz“: In unsere Auswertung sind alle Corona-Fälle eingegangen, die dem Gesundheitsamt zwischen dem 23. November und dem 4. April gemeldet wurden.

Und diese belegen ein extremes Nord-Süd-Gefälle zwischen den sieben Bezirken: Die anteilig meisten Fälle – jeweils weit mehr als 3000 je 100.000 Einwohner – wurden in Hamborn und Meiderich/Beeck erfasst. Die mit Abstand wenigsten – jeweils deutlich unter 2000 – in Mitte und Süd (siehe Grafik). Über dem Duisburg-Schnitt liegen ausschließlich die drei Nord-Bezirke.

Hamborn: 3394,1 Fälle/100.000 Einwohner
Meiderich/Beeck: 3267,9
Walsum: 2632,2
Duisburg gesamt: 2583,3
Rheinhausen: 2476,8
Homberg/Ruhrort/Baerl: 2263,6
Mitte: 1865,5
Süd: 1822,5.

Zur Verdeutlichung haben wir „Durchschnitts-Sieben-Tage-Inzidenzwerte“ für jene 19 Sonntage ausgerechnet, die zwischen dem Höhepunkt der zweiten und dem der dritten Welle liegen:

Hamborn: 178,6 neue Fälle/100.000 Einwohner/letzte 7 Tage
Meiderich/Beeck: 172,0
Walsum: 138,5
Duisburg gesamt: 133,6
Rheinhausen: 130,4
Homberg/Ruhrort/Baerl: 119,1
Mitte: 98,2
Süd: 95,9

Derart signifikante Unterschiede auf vergleichsweise kleinem Raum weisen deutlich auf strukturelle Ungleichheiten und Gesundheitsrisiken hin.

Häufungen in „migrantisch geprägten Bezirken“

Zu den innerstädtischen Unterschieden bestätigte der Krisenstab Mitte März schriftlich Zusammenhänge. Es könne „festgehalten werden, dass engere Wohnverhältnisse und berufliche Tätigkeiten in Bereichen mit vermehrtem Personenkontakt ein Treiber für das Infektionsgeschehen sein“ könnten.

Der Stab bestätigte zudem auf Nachfrage zum Anfang März erstmals öffentlich diskutierten erhöhten Risiko für Menschen mit Migrationshintergrund „Häufungen in migrantisch geprägten Bezirken“. Und erklärte: „Dies ist unter anderem durch größere Familienverbände auf engerem Wohnraum und prekärere Beschäftigungsverhältnisse zu erklären. Wir erleben allerdings leider auch immer wieder, dass das Ordnungsamt in den betroffenen Bezirken häufiger auf größere Feierlichkeiten trifft und diese unterbinden muss.“ Es gibt also auch aus Sicht der Stadt Hinweise darauf, dass die Infektionsschutzregeln in diesen beiden Bezirken häufiger missachtet werden. Das deckt sich mit den Pressemitteilungen der Polizei zu Einsätzen besonders in Marxloh.

[Übersicht: alle Artikel, Grafiken und Zahlen zu Corona-Fallzahlen in Duisburgs Bezirken und Stadtteilen]

Weniger Platz, weniger Homeoffice, mehr ÖPNV-Nutzung

Forscher wie der Düsseldorfer Medizinsoziologe Prof. Nico Dragano attestierten bereits vor Monaten: In den ärmsten Vierteln gibt es das höchste Ansteckungsrisiko (wir berichteten). Dragano erklärt das mit der höheren Einwohnerdichte, geringerem Wohnraum, weniger Homeoffice-Möglichkeiten im Niedriglohnsektor, stärker frequentierten Supermärkten. Und ein Migrationshintergrund ist hierzulande weiterhin der größte Risikofaktor dafür, in Armut aufzuwachsen und benachteiligt zu bleiben.

Der Datenschutz verhindert epidemiologische Ursachenforschung und gezielteren Gesundheitsschutz. Beruf, Familiengeschichte, sozio-ökonomische Merkmale, Religionszugehörigkeit und kulturelle Prägung Infizierter werden hierzulande nicht erfasst, lediglich Adresse und Staatsangehörigkeit.

Für Duisburg erlaubt die monatelange Veröffentlichung der Bezirksfallzahlen inzwischen zumindest einen ersten Blick auf Zusammenhänge mit anderen sozio-demografischen Merkmalen, welche die Stadtverwaltung ebenfalls auf Bezirksebene erfasst: Den stärksten Zusammenhang gibt es demnach nicht zwischen Inzidenz und Migrationshintergrund, sondern zwischen Inzidenz und dem Anteil der Kinder und Jugendlichen an der Bevölkerung im Bezirk.

>> 7-TAGE-INZIDENZEN DER DUISBURGER STADTTEILE UND BEZIRKE

■ Nach den ersten veröffentlichten Stadtteil-Wochenwerten gab es die meisten Corona-Fälle vom 5. bis 11. April anteilig in Alt-Hamborn (7-Tage-Inzidenz: 511,8); Hüttenheim (490,8); Laar (322,8); Hochheide (302,1); Hochfeld (300,1); Obermarxloh (297,6); Fahrn (283,8); Dellviertel (269,0); Hochemmerich (267,8); Beeckerwerth (267,7) und Bruckhausen (267,5).

■ Die höchsten Sieben-Tage-Inzidenzwerte der sieben Stadtbezirke hatten an den 20 Sonntagen vom 23. November bis 11. April: zwölfmal der Bezirk Hamborn, viermal der Bezirk Meiderich/Beeck, dreimal der Bezirk Rheinhausen, einmal der Bezirk Walsum.

■ Die Tiefstwerte im innerstädtischen Vergleich meldete das Gesundheitsamt seit November: siebenmal für Süd, sechsmal für Mitte, viermal für Homberg/Ruhrort/Baerl, dreimal für Rheinhausen.