Duisburg. Vorstandsmitglieder des Mieterschutzvereins Groß-Duisburg sollen jahrelang Vereinsgelder veruntreut haben. Das sind die Vorwürfe im Detail.

Der Mieterschutzverein Groß-Duisburg hat offenbar jahrelang Vereinsgelder veruntreut. Nach Recherchen dieser Redaktion sollen Angehörige des Vorstands Aufwandsentschädigungen kassiert haben, die die gesetzlich festgelegte Höchstgrenze um mehr als zehntausend Euro überschritten. In der Hauptversammlung des Jahres 2019 beschlossen die Mitglieder, dass der Vorstand diese Zahlungen offenlegen muss – woraufhin dieser rechtliche Schritte einleitete. Am 8. März 2021 ließ die Staatsanwaltschaft Duisburg die Büros des Mieterschutzvereins an der Claubergstraße und Wohnungen von Vorstandsmitgliedern durchsuchen. Das bestätigt Marie Fahlbusch, Sprecherin der Staatsanwaltschaft.

Vorsitzender des Mieterschutzvereins Groß-Duisburg will reinen Tisch machen

Es ist der Vorstandsvorsitzende selbst, der seinen Kollegen Veruntreuung der Vereinsgelder vorwirft – dabei hat Horst Neureiter in den vergangenen Jahren selbst von ihren Methoden profitiert. Nun will Neureiter reinen Tisch machen. Mit den übrigen Mitgliedern des Vorstands hat er sich überworfen:

Neureiters Stellvertreter und 2. Vorsitzender des Mieterschutzvereins ist Andreas Seipold. Seine Ehefrau Karin war viele Jahre in der Geschäftsstelle angestellt, bis sie im September vergangenen Jahres unerwartet starb. Sie hatte zudem das Amt der Schriftführerin inne. Dem Vorstand gehören außerdem Kassierer Walter Naczke und der 3. Vorsitzende und ehemalige Kassenprüfer Andreas Niepel an.

Der Mieterschutzverein Groß-Duisburg berät knapp 5000 Vereinsmitglieder in Mietrechtsangelegenheiten.
Der Mieterschutzverein Groß-Duisburg berät knapp 5000 Vereinsmitglieder in Mietrechtsangelegenheiten. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

Bis zu seinem Ausscheiden im Oktober 2019 hatte Kay Kasperkowitz fast neun Jahre lang das Amt des 3. Vorsitzenden inne. Er war über weite Strecken IT-Beauftragter des Vereins.

Der Verein berät seine knapp 5000 Mitglieder in Mietrechtsangelegenheiten. Seit Beginn der Corona-Pandemie finden jedoch kaum noch Beratungen statt.

Nur wenige Ausnahmen: Ehrenamtliche Vorstandsmitglieder dürfen nur 720 Euro im Jahr erhalten

Interne Abrechnungen, die der Redaktion vorliegen, legen nahe, dass die fünf Vorstandsmitglieder jahrelang Vereinsgelder veruntreut haben.

Ehrenamtler wie Neureiter, Seipold, Naczke, Niepel und Kasperkowitz arbeiten eigentlich unentgeltlich, da ihr Engagement als Hobby gilt. Ein ehrenamtliches Vorstandsmitglied darf pro Jahr nur 720 Euro steuerfrei erhalten – das Vereinsrecht lässt nur wenige Ausnahmen zu.

Auf den Dokumenten tauchen jedoch feste monatliche Summen in Höhe von 185 Euro auf, die als Aufwandsentschädigungen deklariert wurden. Hinzu kommen Pauschalen für die Teilnahme an den sechs Vorstandssitzungen im Jahr. Zudem zahlte der Vorstand sich an jedem Jahresende ein „Weihnachtsgeld“ aus.

Allein 2018 erhielten die Vorstandsmitglieder insgesamt rund 19.000 Euro. Auch in den Jahren 2015 bis 2017 beläuft sich diese Summe auf jeweils über 16.000 Euro. Neureiter zufolge wurden diese Beträge nie durch die Mitgliederversammlung abgesegnet.

Zum Vergleich: Lediglich 18.000 Euro entfielen im selben Zeitraum auf Honorarkräfte, die auf Basis einer 40-Stunden-Woche tätig waren.

Mieterschutzbund verweist auf seine Satzung – Vereinsrechtler widerspricht

Der Mieterschutzverein rechtfertigt diese Zahlungen mit einem Passus in seiner Satzung. Dort steht, dass der Vorstand „eine angemessene pauschale Vergütung für Zeitaufwand beschließen“ dürfe.

Dem Düsseldorfer Vereinsrechtler Karsten Bock zufolge ist dies aber nur im Rahmen eines Dienstverhältnisses möglich: „Die pauschale Vergütung von Zeitaufwand stellt ein Entgelt dar.“

Lediglich Spesen, etwa für Büromaterial, könnten auf diese Weise geltend gemacht werden. „Das setzt aber voraus, dass tatsächlich Aufwendungen angefallen sind. Die muss man auch belegen können – die Pauschale ist ja kein Geschenk“, so Bock.

Auch Neureiter räumt ein, dass von den jeweiligen Kassenprüfern nie Nachweise eingefordert worden seien.

Vereinsrechtler Karsten Bock: „Vorstand kann sich nicht selbst beauftragen“

Für Einkünfte, die die Grenze von 720 Euro überschreiten, müsse man ein Dienstverhältnis mit dem Verein eingehen, erklärt Rechtsanwalt Bock weiter. Dies sei zwar auch mündlich möglich, nicht aber im Fall des Mieterschutzbundes Groß-Duisburg: „Der Vorstand kann als gesetzlicher Vertreter des Vereins nicht mit sich selbst einen Dienstvertrag schließen.“ Dies sei ein sogenanntes „Insichgeschäft“.

Stattdessen müsse die Mitgliederversammlung die Beauftragung einer Arbeitskraft formell beschließen. Neureiter zufolge sei dies jedoch nie geschehen.

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Die Satzung des Vereins setzt zwar eine „angemessene pauschale Vergütung“ voraus. Rechtsanwalt Bock stellt jedoch klar: „Ob die kassierten Beträge angemessen sind, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Bei Summen von 19.000 Euro habe ich aber erhebliche Zweifel, dass das im Verhältnis zu den geleisteten Diensten steht.“

Geschäftsstellen-Mitarbeiterin verrechnete Honorar mit ihrem Gehalt

Die Abrechnungen fördern weitere Merkwürdigkeiten zutage: So soll der voll berufstätige Andreas Seipold an mehreren Tagen im Monat halbtags in der Geschäftsstelle gearbeitet und dafür Zahlungen erhalten haben, die ihm durch seine Frau als Aufwandsentschädigung gutgeschrieben wurden.

Dem 1. Vorsitzenden zufolge war er jedoch nie zu den genannten Zeiten in der Geschäftsstelle anwesend. Rechtsanwalt Bock zufolge hätte zudem ein Dienstvertrag bestehen müssen, der durch die Mitgliederversammlung abgesegnet wurde.

Seipolds Frau Karin erhielt 2018 ein festes Gehalt für ihre Tätigkeit in der Geschäftsstelle. Auch sie strich jeden Monat 270 Euro Aufwandsentschädigung für ihr Amt als Schriftführerin ein. Vorstandsvorsitzender Neureiter bestätigt diese Zahlungen.

Den Abrechnungen zufolge wurden sie mit Karin Seipolds Gehalt verrechnet. Für das Finanzamt ist das aus der zu versteuernden Endsumme jedoch nicht ersichtlich. Nebenbei erhöhte sich so Seipolds Rentenanspruch.

„Ich halte es für rechtlich bedenklich, wenn jemand seine Aufwandsentschädigungen mit dem Gehalt vermischt – das ist alles andere als transparent“, sagt Vereinsrechtler Bock.

Vorstandsmitglieder lassen Nachfragen unbeantwortet

Zwischen Januar 2013 und März 2015 war Karin Seipold außerdem arbeitslos gemeldet und in der Geschäftsstelle tätig. Neureiter zufolge sollte sie in dieser Zeit kein Gehalt bekommen. Dieses sei jedoch im Nachhinein ausgezahlt worden, nämlich in Form der doppelten Besoldung im gleichen Zeitraum nach der Anstellung im April 2015.

Neureiter wirft Seipolds Ehemann vor, davon gewusst zu haben.

In einer E-Mail an den Mieterschutzverein konfrontierte die Redaktion den Vorstand am 2. November 2020 mit den Vorwürfen. Eine Antwort blieb innerhalb einer einwöchigen Frist jedoch aus.

Auch auf E-Mails an ihre privaten Adressen, verschickt zehn Tage später, reagierten Seipold, Naczke und Niepel nicht. Am Telefon wollen sie sich ebenfalls nicht äußern. Niepel lässt auch eine postalische Anfrage unbeantwortet.

Die Staatsanwaltschaft Duisburg hat im März 2021 die Büroräume des Mieterschutzvereins Groß-Duisburg und Wohnadressen durchsuchen lassen.
Die Staatsanwaltschaft Duisburg hat im März 2021 die Büroräume des Mieterschutzvereins Groß-Duisburg und Wohnadressen durchsuchen lassen. © Funke Foto Services GmbH | Olaf Fuhrmann

Mitgliederversammlung fordert auf Hauptversammlung Rechenschaft ein

Von Kasperkowitz’ Anwalt kommt ein Schreiben zurück, in dem dieser auf die Satzung und die ordnungsgemäße Versteuerung verweist.

Das sei Karsten Bock zufolge jedoch irrelevant: „Wenn der Vorstand in die Kasse gegriffen hat, wird das ja nicht legal, nur weil es versteuert wird“, sagt er.

Mit der Zeit bekamen auch einige Mitglieder des Mieterschutzvereins Wind von den überhöhten Überweisungen an den Vorstand. Zwei Tage vor der Mitgliederversammlung im Oktober 2019 konfrontierten sie den Vorstand mit einem umfassenden Fragenkatalog, der in der Sitzung beantwortet werden sollte. Das fünfseitige Schreiben liegt unserer Redaktion ebenfalls vor. Darin fordern die Mitglieder, die Aufwandsentschädigungen des Vorstands offenzulegen und über das Beschäftigungsverhältnis Karin Seipolds aufzuklären.

Mitgliederversammlung verweigerte dem Vorstand die Entlastung – dieser klagt

Der damalige dritte Vorsitzende Kasperkowitz sei daraufhin noch vor der Versammlung zurückgetreten, berichtet Neureiter. Die übrigen Vorstandsmitglieder beriefen einen Monat später den damaligen Kassenprüfer Niepel in den Vorstand – gegen den ausdrücklichen Willen der Mitgliederversammlung.

Weil der Vorstand zu dem Fragenkatalog keine Stellung genommen habe, hätten die Mitglieder ihm die Entlastung verweigert, so Neureiter weiter. Per Abstimmung hätten die Mitglieder festgelegt, dass die Fragen bis zu einer neuerlichen Mitgliederversammlung am 31. März 2020 geklärt werden sollen.

Doch dazu kam es nicht mehr, nicht nur der Corona-Pandemie wegen: Denn der Vorstand – Neureiter und der zu diesem Zeitpunkt ausgeschiedene Kasperkowitz ausgenommen – strebt seitdem auf Kosten der Vereinskasse eine Klage vor dem Amtsgericht Duisburg gegen diesen Beschluss an.

Für Rechtsanwalt Bock ein höchst befremdliches Vorgehen: „Es ist die Pflicht eines Vorstands, alle Zahlungen zu kontrollieren und darüber Rechenschaft abzulegen.“

Erster Vorsitzender spart, um Schäden begleichen zu können

Dr. Rolf Rausch, Sprecher des Duisburger Amtsgerichts, bestätigt die Klage des Vereinsvorstandes.
Dr. Rolf Rausch, Sprecher des Duisburger Amtsgerichts, bestätigt die Klage des Vereinsvorstandes. © FUNKE Foto Services | Stephan Eickershoff

Rolf Rausch, Sprecher des Gerichts, bestätigt die eingereichte Klage. Zudem sei ein Prozesspfleger bestellt worden. Ein Prozesspfleger vertritt eine Person vor Gericht, wenn diese einen Prozess nicht selbst führen kann oder will. Die Verhandlung soll am 19. Juli stattfinden.

Der Vorsitzende Neureiter räumt ein, selbst unzulässige Zahlungen erhalten zu haben – wider besseres Wissen. Er unterstütze die Klage und spare bereits, um unrechtmäßig erhaltende Zahlungen zurückerstatten zu können.

„Nachdem die Vorwürfe in der Mitgliederversammlung auftauchten, habe ich bereits die Zahlung des Weihnachtsgeldes Ende 2019 nicht mehr angenommen und erhalte nicht mehr als die jährliche Höchstgrenze“, beteuert er.

Auf die Frage, warum er nicht nach 15 Jahren von seinem Amt zurückgetreten sei, antwortet er: „Dann wäre der Weg für die übrigen Vorstandsmitglieder frei – und mir liegt dieser Verein nach all der Zeit am Herzen.“

>> VORSITZENDER ERSTATTETE ANZEIGE – AUCH GEGEN SICH SELBST

■ Horst Neureiter erstattete Strafanzeige wegen Untreue und Betrugs, auch gegen sich selbst.

■ Die Staatsanwaltschaft Duisburg stellte das Verfahren zunächst wegen Geringfügigkeit ein. Erst auf Nachfrage der Redaktion im Dezember 2020 nahm sie die Ermittlungen wieder auf. Am 8. März folgten die Durchsuchungen.

■ Auch nach Erhalt der Anzeige setzten Neureiters Vorstandskollegen ihre Praxis fort: Kontoauszüge der Duisburger Sparkasse belegen, dass die Mitglieder auch im Jahr 2020 noch überhöhte Aufwandsentschädigungen kassierten.