Duisburg. Peter S. aus Duisburg kämpft hartnäckig um seine Wohnung. Warum er zurück in eine gesperrte Schrottimmobilie will – und an seine Grenzen geht.

Peter S. sitzt am Steuer eines weißen Ford Kuga. Den Wagen hat er sich geliehen, aber nicht, um damit zu fahren. Der Duisburger hat nach eigenen Angaben mehr als zwei Wochen in dem Auto gelebt. Durch die Windschutzscheibe hatte er in dieser Zeit immer seinen Sehnsuchtsort im Blick: sein Zuhause – einen großen Betonbunker in Neumühl. Im Vorjahr war das seinerzeit von Altro Mondo verwaltete Hochhaus in den Schlagzeilen, weil es geräumt werden musste.

Im Juli 2019 hatte die Stadt Duisburg für die Schrottimmobilie eine Nutzungsuntersagung ausgesprochen. Seitdem sind 14 Stockwerke ohne Mieter. Die einst von Altro Mondo verwaltete Immobilie hat zwar einen neuen Besitzer, doch bisher stehen versprochene Modernisierungen aus. Für Peter S. aus Duisburg ist klar: Sobald das Gebäude wieder freigegeben ist, möchte er zurück in seine Wohnung. Er pocht auf seinen Mietvertrag.

[Nichts verpassen, was in Duisburg passiert: Hier für den täglichen Duisburg-Newsletter anmelden.]

Kampf um Wohnung: emotionale Verbindung zur Schrottimmobilie

„2004 bin ich hier hergezogen“, sagt er. Auf der 14. Etage, mit Blick über Neumühl, war er seitdem zuhause – und erstmals angekommen. „Zuvor habe ich immer wie ein Nomade gelebt.“ Dieses Gefühl von Heimat verbindet der 63-Jährige mit der 3,5-Zimmer-Wohnung, in der er einst seine Mutter gepflegt und seinen Sohn groß gezogen hat. „Ich möchte mein Lebensende hier verbringen.“

Außenstehende würden nur den in die Schlagzeilen geratenen Betonklotz sehen, die Schrottimmobilie mit Mängeln wie Schimmel – nicht aber die Erinnerungen, die einst an Ort und Stelle geschrieben wurden. Die zwar nicht zurück kommen, aber denen er sich in seinen eigenen vier Wänden emotional näher fühlt. „Es ist Heimat, es ist mein Leben.“

Leben ohne Halt: Seit der Räumung 2019 ohne Zuhause

Wie über die unzähligen Stufen im Treppenhaus ging es auch im Leben für Peter S. auf und ab. Depressionen, 2010 ein Küchenbrand, der Tod der Mutter, Arbeitslosigkeit. Fahrstuhl, Endstation Keller. Seit der Räumung im Juli 2019 sei er ohne wirkliches Zuhause. Acht Tage soll er auf der Straße gelebt haben, zwischenzeitlich in einer Notunterkunft der Stadt, dann in einem möblierten Zimmer, zuletzt laut eigenen Angaben im Auto.

Auf der Rückbank des Autos hat Peter S. das Nötigste: Etwa Besteck, Decken, Wechselkleidung. Mittlerweile schläft der Duisburger wieder bei einem Bekannten – der Kampf um seine Wohnung ist damit aber nicht beendet.
Auf der Rückbank des Autos hat Peter S. das Nötigste: Etwa Besteck, Decken, Wechselkleidung. Mittlerweile schläft der Duisburger wieder bei einem Bekannten – der Kampf um seine Wohnung ist damit aber nicht beendet. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

Wo er sich wäscht? „Auf Autobahnraststätten. Oder Katzenwäsche am Rhein“, sagt der Duisburger etwas zögerlich. Seine Kleidung wirkt gepflegt, seine Fingernägel sind sauber. Zum Schlafen stelle er seinen Sitz zurück, mehrere Wolldecken sollen ihn vor Kälte schützen. Auf der Rückbank so etwas wie sein Hausstand: ein Frühstücksbrettchen, Besteck, eine Tasse mit der Aufschrift „Opa“ und Wechselkleidung.

Großteil der Sachen nach wie vor in der Wohnung

Doch der Großteil seiner Sachen und auch seine gesamte Einrichtung sei nach wie vor in der Wohnung. Zwischenzeitlich sei es ihm erlaubt gewesen, etwa Kleidung zu wechseln – doch mittlerweile sei ihm der Zugang zu seiner Wohnung verwehrt. Auch einem temporären Umzug in ein kleines Apartment im Nebengebäude hatte er laut eigenen Angaben zugestimmt – zu der Schlüsselübergabe sei letztlich aber niemand erschienen.

Auch ein Umzug – losgelöst von seiner emotionalen Bindung – sei nicht realisierbar. Weil der Strom im Haus abgestellt ist, müsste der gesamte Hausstand aus der 14. Etage getragen werden – „der Fahrstuhl ist tot. Kein Umzugsunternehmen macht das“, sagt der Duisburger.

„Wir haben dem Mieter eine andere Wohnung angeboten“

Für das Wohnungsunternehmen Belvona, neuer Eigentümer der Immobilie, schildert der geschäftsführende Gesellschafter die Situation für das Unternehmen: „Wir haben dem Mieter eine andere Wohnung angeboten. Wir bezahlen auch den Umzug, aber wir finden keinen gemeinsamen Nenner.“ Die Situation sei „extrem schwierig“.

Auch interessant

Doch Peter S. möchte um das eine, seine Wohnung kämpfen: „Ich habe nichts mehr zu verlieren.“ Er möchte jetzt sogar auf Zugang zu seiner Wohnung klagen. Mittlerweile schläft er wieder bei Bekannten, sein Ehrgeiz soll aber auch ein Zeichen sein. „Sozialer Wohnraum ist knapp, es gibt Siedlungen, die dahinvegetieren“, der Gesetzgeber müsse deshalb schnell einschreiten, wenn riesige Immobilienkonzerne mit Leerstand Wohnraum weiter verknappen.

Fast täglich ist der 63-Jährige an der Albert-Einstein-Straße und schaut hoch zu seiner Wohnung. Am Balkon hängen noch Blumenkübel, die Pflanzen aber sind schon längst vertrocknet. Vor wenigen Wochen war er das letzte Mal oben. „Die Sonne hat geschienen, ich hab mich hingesetzt und gesagt: Jetzt weiß ich, warum ich dafür kämpfe.“

Peter S. steht vor dem Wohnblock Albert-Einstein-Straße 21 in Neumühl. Hoch oben im 14 Stockwerk ist sein Zuhause. Zugang hat er aktuell nicht – die Stadt Duisburg hat die Nutzung aufgrund erheblicher Mängel untersagt.
Peter S. steht vor dem Wohnblock Albert-Einstein-Straße 21 in Neumühl. Hoch oben im 14 Stockwerk ist sein Zuhause. Zugang hat er aktuell nicht – die Stadt Duisburg hat die Nutzung aufgrund erheblicher Mängel untersagt. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

>> MIETERSCHUTZBUND NIEDERRHEIN VERSTEHT EMOTIONALE BINDUNG

  • Vertreter des Mieterschutzbundes Niederrhein können nachvollziehen, dass Mieter an ihren Wohnungen hängen. Gerade, wenn bei einer Räumung der Hausstand Hals über Kopf und in wenigen Stunden gepackt werden muss. „Für Mieter ist das eine grauenvolle Situation“, sagt Peter Heß vom Mieterschutzbund.
  • Heß stellt aber auch klar: „Niemand ist genötigt, auf der Straße zu leben.“ Es gebe Anlaufstellen für Wohnungssuchende. Auch die Bindung zu einer Schrottimmobilie kann Heß verstehen. „Wenn jemand lange in einer Wohnung lebt, wachsen die eigenen vier Wände ans Herz – auch wenn das Umfeld schlechter wird.“
  • Duisburger, so Heß, leben aber „auf der Insel der Glückseligen – weil die Idee des kommunalen Wohnungsbau in Duisburg beibehalten wurde.“ Für ihn sei deshalb die Duisburger Baugesellschaft Gebag ein erster Ansprechpartner bei der Wohnungssuche.