Duisburg. Ein Duisburger schreibt Arbeiten, für die andere Uni-Abschlüsse bekommen. Was Arbeiten kosten und warum er keine moralischen Bedenken hat.
Christoph Steven schreibt am Fließband wissenschaftliche Arbeiten an Universitäten. Doch auf dem Deckblatt steht nie sein Name. Der Duisburger ist seit über 20 Jahren Ghostwriter. Er lebt davon, Texte für andere zu schreiben. Auch wenn Verschwiegenheit zum Berufsbild gehört, spricht der 57-Jährige über das umstrittene Geschäft im Verborgenen.
Es reichen wenige Klicks, um die Agentur von Christoph Steven im Internet zu finden. 1997 hat er sie in Hochfeld gegründet, sich zunächst nur mit der Rechtschreibung und dem Korrekturlesen von Texten befasst. „Später habe ich angefangen, Arbeiten zu schreiben“, sagt Steven, der Anglistik, Germanistik und Philosophie studiert hat. Mittlerweile beauftragt er digital über 1000 Autoren, die im Schatten Texte für andere formulieren.
Hauptkunden sind Hochschüler – Geschäft hat sich verändert
„Wir decken alle Fachbereiche ab“, sagt Steven. Durch den Autorenpool mit vielseitigen Fachgebieten gibt es keine thematischen Luftschlösser. Hauptkunden sind Studenten. Sie bestellen wissenschaftliche Texte, die den Umfang von Hausarbeiten, Bachelor- oder Masterthesen bis hin zur Dissertation haben. Etwa 200 solcher Schriften gehen jährlich über den Schreibtisch des Duisburgers.
„Vor sieben, acht Jahren waren es mehr“, sagt Steven. Das liegt nicht an einem stärkeren Problembewusstsein der gegenwärtigen Hochschulabsolventen, sondern vielmehr am Markt. „Es sind viele Anbieter dazugekommen – leider auch unseriöse.“ Einige Firmen sitzen etwa im Ausland.
Kosten: Hausarbeit für rund 300 Euro, Masterthesis gibt es ab 2500 Euro
Der Preis einer Arbeit variiert. Zehn Seiten über ein einfaches Thema der Wirtschaftswissenschaften kosten rund 300 Euro. Das Honorar richtet sich aber nach Umfang, Schwierigkeitsgrad und dem für die Bearbeitung zur Verfügung stehenden Zeitrahmen.
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Eine Musterlösung für eine Masterthesis kostet zwischen 2500 und 3000 Euro. Oft werden thematische Vorgaben gemacht, manchmal hapert es bei Studierenden aber schon bei der Themensuche. Der Text entsteht Schritt für Schritt, erst Exposé und Gliederung. Die Musterlösung wird dann in Teillieferungen übermittelt. Die Kunden sollen beurteilen können, ob es in die richtige Richtung geht. In Korrekturschleifen können Änderungswünsche eingearbeitet werden.
Die entscheidende Frage: „Ist das legal?“
Stevens Arbeiten seien „fundierte Texte, die nicht zu schwierig sein dürfen, aber wissenschaftlich sind“. Studierenden brenne immer eine Frage auf den Lippen: „Ist das legal?“ Antworten müsste er wohl mit einem Jein.
Was für alle seine schriftlichen Arbeiten gilt: Sie stellen „Musterlösungen“ dar. „Es sind vorformulierte Arbeiten, die nur eine Hilfestellung sein dürfen.“ Der Ghostwriter gibt das Nutzungsrecht ab und der Auftraggeber darf die jeweilige Arbeit als Vorlage nutzen.
Gericht urteilt: Keine strafbare Handlung
Dieser Vorgang sei weder rechtswidrig noch strafbar. Das bestätigt die Duisburger Rechtsanwältin Claudia Rübener. So vertrat das Oberlandesgericht Düsseldorf in einem Urteil von 2011 (AZ: I 20 U 116/10) die Ansicht, „dass es sich um eine rechtlich missbilligte Tätigkeit handelt, welche aber als solche nicht strafbar sei“, erklärt Rübener.
Ein Ghostwriter könne strafrechtlich belangt werden, wenn eine Beihilfe zu einer Straftat vorliegt. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn ein Student eben eine solche Musterlösung samt Eidesstattlicher Erklärung als eigenständige Arbeit abgibt und auffliegt. Da aber im Rahmen der Vereinbarung explizit darauf hingewiesen wird, dass seine Arbeit nur als Hilfestellung dient, sei ein Vorsatz „kaum nachweisbar“, urteilt die Expertin.
Warum wählen Studenten diesen riskanten Weg?
Anders ist die Situation für Studenten: Wird die Vorlage unverändert eingereicht und eine falsche Versicherung an Eides statt abgegeben, könne dies „erhebliche Konsequenzen“ haben, weiß die Rechtsanwältin. Es drohen eine Geldstrafe oder eventuell auch eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahre.
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Warum wählen Studenten dennoch diesen riskanten Weg? „Viele durchleben persönliche Katastrophen“, sagt Steven. Versagensängste treiben sie um, einige haben Probleme, wissenschaftlich zu schreiben. Andere seien voll berufstätig, ihnen fehle schlicht die Zeit. „Es gibt auch Studenten, die von ihren Professoren nicht ausreichend unterstützt werden“, kritisiert Steven. Das Gefühl etwas Unmoralisches zu tun, hatte er deshalb nie – auch wenn er bei der Frage etwas ins Stottern gerät.
Anonymität im Hochschulbetrieb schützt
Für Universitäten sei es schwierig, Text von Ghostwritern und Hochschülern zu unterscheiden, glaubt Steven. In Schreibstil und Ausdruck passen sich die Autoren den Studenten an. Hinzu kommt die Anonymität im Hochschulbetrieb, in dem Studierende für ihre Professoren oft nur Matrikelnummern sind. Anders sei die Situation, wenn der Dozent „den individuellen Schreibstil“ kennt: Dann fliegt der Hochschüler schnell als Hochstapler auf.
>>> GHOSTWRITING: Wie gehen Universitäten vor? Welche Strafen drohen?
Lesen Sie hier, wie die Universität Duisburg-Essen das Problem „Ghostwriting“ einschätzt. Warum der riskante Weg für Studierende weitreichende Folgen haben kann.