Duisburg. Vier Jahre nach dem Tanzabend „Exile“, den Royston Maldoom mit 200 jungen Leuten in Duisburg entwickelt hat, sprechen drei Tänzer übers Ankommen.
2016, ein Jahr nach der großen Fluchtwelle von Menschen vor allem aus dem Krieg in Syrien, brachte der britische Choreograph Royston Maldoom mit „Exile“ ein viel beachtetes Community-Tanzprojekt auf die Bühne des Duisburger Theaters. Zugereiste und eingesessenen Duisburger brachten die Bühne zum Beben, das Publikum war hingerissen. Einige Mitwirkende sind beim Tanz geblieben.
2017 hat Mia Sophia Bilitza die „Missed in Action Dance Company“ gegründet, auch um weiter Kontakt zu den „Exile“-Mitwirkenden zu halten, die nach ihren großen Auftritt nicht nur den harten Boden der Integrationsarbeit in Deutschland unter den Füßen spüren sollten. Donnerstags und oft auch an Wochenenden trifft sich die Gruppe zum Training in der Tanzwerkstatt Ulla Weltike in Neudorf. Darunter Joseph Maher, Bishr Laham und Rachid Jabado. Wir haben sie gefragt, wie weit sie heute in Deutschland angekommen sind und was das Tanzen dazu beigetragen hat. Und ihre Antworten zusammengefasst.
„Ich hoffe, dass ich mein Studium abschließen kann“
Joseph Maher (29): Das Tanzen hat mit vor allem sehr geholfen, die deutsche Sprache zu lernen. Eigentlich braucht es zum Tanzen keine Sprache, aber um mit den Leuten in Kontakt zu kommen, mitzumachen – das hilft sehr. Seit 2016 wohne ich mit meinem Bruder in Moers. Ich habe Deutsch mit C1-Niveau abgeschlossen, im Oktober kann ich an der Uni Duisburg-Essen weitermachen mit meinem Maschinenbaustudium, das hatte ich in Syrien nicht abgeschlossen. Ich bin seit drei Jahren in der Gastronomie aktiv. Mein Vater ist vor sechs Monaten gestorben, meine Mutter habe ich zuletzt 2015 gesehen. Ich verdiene zur Zeit zu wenig Geld, um hier für sie bürgen zu können. Ich hoffe, dass ich mein Studium abschließen kann. Ich bin dankbar, dass ich hier bin und was Deutschland für mich getan hat. Aber ich kann meine Heimat nicht vergessen.
2016 nach Deutschland gekommen: „Jetzt weiß ich: Ich will hier leben“
Bishr Laham (23): Ich bin 2016 nach Deutschland gekommen mit einem Visum zum Studieren. Aber wir mussten zuerst die deutsche Sprache lernen. Ich habe mit Rachid an der Schule Communikation Akoun gelernt. Dort war eine Lehrerin, die gesagt hat, dass es hier ein Tanzprojekt gibt. Und die Leute, die Bock darauf haben, können eine Probe mitmachen. Wir haben nie vorher getanzt, aber gesagt: Warum nicht, mal probieren. Das hat richtig gut geklappt, das war eine der besten Sachen, die wir jemals gemacht haben. Mit 200 Leuten auf der Bühne – „Exile“ war fantastisch, hat mir viele Türen geöffnet. Da hat die Integration angefangen. Ich habe zwei Semester Informatik studiert, das war nicht so richtig für mich. Ich habe vor einem Jahr als Freelancer angefangen mit Videographie und Fotografie, versuche das aufzubauen. Ich würde gerne Filmwissenschaften in Bochum studieren. Ich arbeite zur Zeit mit einem Freund, der auch aus Duisburg kommt, wir haben eine kleine Filmproduktionsfirma, die „White Elephants“ heißt. Wir machen Projekte in Duisburg, haben auch bei „Friday for Future“ mitgemacht. Jetzt weiß ich: Ich will hier leben. Ich will in Zukunft eine Familie haben und das beste für meine Familie. Ich weiß, dass man in Deutschland das beste haben kann.
Royston Maldoom in Duisburg
Der britische Choreograph Royston Maldoom, der durch den preisgekrönten Film „Rhythm is it“ bekannt geworden ist, arbeitet seit vielen Jahren in Duisburg immer wieder mit Ulla Weltike und ihrer Tochter Mia Sophia Bilitza zusammen.
2018 hat er in Zusammenarbeit mit den Philharmonikern und jungen Tänzern die Choreographien „Begegnungen“ und „Crossing the Lines“ herausgebracht, 2019 wurde er mit dem Musikpreis der Stadt Duisburg ausgezeichnet.
„Deutschland ist ein sehr schwieriges Land“
Rachid Jabado (25): Als wir hier ankamen, waren wir erschöpft, es war alles ein bisschen zu viel. Ich habe die Gesellschaft nicht erkannt. Wir konnten hier im Tanzstudio wieder Energie aufladen. Ich habe in „Exile“ eine Solo-Rolle bekommen, ich war der Mann auf der Leiter. Nach dem Auftritt war ich ganz leer und konnte wieder ruhig schlafen. Ich kenne leider viele Leute, die keine Chance in Deutschland haben. Deutschland ist ein sehr schwieriges Land. Die Leute hier sind erschöpft. Deswegen ist Urlaub für sie ein Primärbedürfnis, weil sie sehr viel arbeiten. Ich habe eine Ausbildung bei Thyssenkrupp gemacht als Kaufmann für Büromanagement. Die Ergebnisse meiner Abschlussprüfung kommen am 30. Juli. Die Ausbildung hat mir viel gegeben. Meine Kollegen sind supernett, aber ich möchte nicht acht Stunden im Büro sitzen. Ich bin sehr, sehr zufrieden, aber ich denke nicht, dass ich bis zur Rente dort arbeiten werden. Ich habe nie erwartet, dass ich nach Deutschland komme, dass ich tanze, dass ich eine Ausbildung zum Kaufmann mache.
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Alle, lachend: Was wir hier in Deutschland machen würden, haben wir nicht geplant. Unsere Mütter möchten, dass wir alle Ärzte oder Ingenieure werden.