Duisburg. Kaum Fachkräfte, zu wenig Verdienst: Von 19 Tierarztpraxen in der Stadt bieten zu wenige den Notdienst an. Wartezeiten für Tierhalter steigen.

Die Notversorgung von Haustieren in Duisburg verschärft sich offenbar dramatisch und setzt Ärzte unter Druck, die noch Notdienste anbieten: Denn immer weniger Tierarztpraxen haben nachts und an Wochenenden geöffnet. Der Grund? Der Dienst in den Randzeiten lohne sich kaum, klagen Tierärzte. Die Personalkosten seien zu hoch, und die Behandlungspreise immer noch zu niedrig.


19 Tierarztpraxen einschließlich Klinik und Tiergesundheitspraxen gibt es zwar in der Stadt. „Die tierärztliche Versorgung wird in Duisburg also sehr gut abgedeckt, sowohl während der normalen Praxiszeiten als auch während der Notfallzeiten“, ist die Tierärztekammer Nordrhein überzeugt. Doch die Realität sieht für die Praxen etwas anders aus. Längst nicht alle bieten Notdienste an, die Lasten verteilen sich ungleich.

Duisburg: Tierklinik Kaiserberg ächt unter Last ihrer Kunden in Randzeiten

Die Duisburger Tierklinik Kaiserberg etwa – eine der wenigen verbleibenden Stellen, die (auch in der Corona-Krise) noch einen 24-Stunden-Dienst anbieten – ächzt unter der steigenden Last ihrer Kunden in den so genannten Randzeiten. „Leider entschließen sich die umliegenden Tierärzte immer häufiger nachts und an den Wochenenden keinen Notdienst mehr für Sie zu leisten. Aufgrund des dadurch in unserer Klinik sehr hohen Patientenaufkommens können umfangreichere Spezialuntersuchungen in der Ambulanz leider derzeit nur bei Patienten mit akuten Notfällen durchgeführt werden“, meldete die Tierklinik auf ihrer Internetseite.

Vor der Corona-Krise waren Wartezeiten von mehreren Stunden in mit Menschen, Katzen, Hunden und andere Kleintieren überfüllten Sälen die Regel. Ein Hundehalter etwa schildert, dass er zunächst drei Stunden auf die Behandlung seines Hundes warten musste, und danach fast noch einmal so lang, um mit dem Arzt sprechen zu können. Großes Verständnis für die angespannte Situation zeigten zwar viele Tierhalter, und doch war der Frust vorprogrammiert.

Halte bringen in Randzeiten Tiere vorbei, die keine Notfälle sind

Was die Lage für Tierärzte mit Notdienst weiter verschärft: Nicht selten bringen Halter auch Tiere an Wochenenden und abends vorbei, die keine Notfälle sind. Zecken im Fell, kleinere Verletzungen, schildert der Leiter der Klinik Kaiserberg, Jan-Gerd Kresken: „Ich kann dabei natürlich die Halter verstehen, die erst einmal besorgt sind.“

Doch solche Fälle rauben den Ärzten die Zeit für die echten Notleiden auch außerhalb der Kernarbeitszeiten.

Arztpraxen für Tiere sind in NRW nicht zum Notdienst verpflichtet

Der Auslöser der Krise: Anders als bei der Versorgung von Menschen sind Arztpraxen für Tiere nicht grundsätzlich zum Notdienst verpflichtet. So haben die verschiedenen Kammern in den Bundesländern unterschiedliche Regelungen geschaffen. Und immer weniger Praxen in NRW – wo der Notdienst noch freiwillig ist – bieten ihn daher an. Die ehemalige Klinik Asterlagen
stellte erst im Juli 2019 ihren Notdienst ein und hatte fortan nur noch bis 22 Uhr geöffnet – damit büßte sie ihren „Klinik“-Status ein. Homberg stieg schon vorher aus und trägt seitdem die Bezeichnung „Tiergesundheitszentrum“.

Wer sein erkranktes oder verletztes Haustier in den Randzeiten versorgt sehen will, muss daher schon bis nach Essen oder weiter fahren. Ein Grund für das Schwinden von Notdiensten: die Kosten. Für einen tierärztlichen Mitarbeiter muss eine Praxis etwa 60.000 Euro erwirtschaften, sagt Klinikleiter Kresken. Auch die Tierärztliche Kammer Nordrhein bestätigt dies.

Grund zwei nennt Kresken auch: Es fehlen die Fachkräfte, und der Beruf wird zu 90 Prozent von Frauen ausgeübt. So fiele etwa aufgrund von Schwangerschaft auch immer wieder Personal zeitweise aus. Hinzu kommt, dass es auch keine gewerkschaftlichen Tarifverträge gebe, wie der Klinikleiter bemängelt. So sei offiziell nicht geregelt, ob und wie in den Arbeitsrandzeiten zu vergüten sei. Der vermeintlich freie Markt werde so zum Nachteil für die Praxen, „weil ähnlich wie in der Gastronomie kaum jemand noch am Wochenende und abends arbeiten möchte. Ich wäre froh, wenn ich mich mit einer Gewerkschaft über die Vergütung streiten könnte“, sagt Kresken. Dann wären auch die Randzeiten geregelt.

Den Ball sieht Kresken aus vielen Gründen im Feld der Tierärztekammer. Er fordert: Sie müsste den Notdienst verpflichten und damit auch eine entsprechende Gebührenordnung durchsetzen.

Tierarztkammer Nordrhein: Gebührenordnung ist problematisch

Dass der ständige Notdienst „fast unbezahlbar“ für Praxen sei, bestätigt auch Dr. Viola Hebeler von der Tierarztkammer Nordrhein. Ein Urteil zum Arbeitszeitgesetz brachte zum Vorschein, dass angestellte Tierärzte, die Notdienste leisten, fast nie die vorgeschriebene Ruhezeit von elf Stunden einhalten. Die Folge: Mehr Tierärzte müssten eingestellt werden. Das rentiere sich aber nicht – oder sie seien aufgrund des Fachkräftemangels nicht verfügbar.

Nicht wenig Schuld daran trägt nach Ansicht der Kammer auch die gesetzlich festgelegte Gebührenordnung, die vom Landwirtschaftsministerium in Absprache mit den großen Tierhalterorganisationen festgelegt werde. Alle zehn Jahre gebe es eine Steigerung – zuletzt 2018 – die jedoch nicht einmal die Inflation abdecke. So bliebe von 100 Euro Vergütung nach Abzug aller Praxiskosten und Mehrwertsteuer ein Gewinn von etwa 16 Euro übrig. Und somit kaum Spielraum für mehr Personal.

„In Bezirken mit verpflichtendem Notdienst sieht es nicht zwingend besser aus“

Bliebe also als eine Lösung nur die Verteilung der Notdienste auf alle Schultern – also eine Verpflichtung der Tierpraxen?

„So einleuchtend die Forderung nach verpflichtendem Notdienst auf den ersten Blick auch sein mag, auf so viele Hindernisse trifft sie bei der Umsetzung“, wägt die Tierarztkammer Nordrhein auf Anfrage dieser Zeitung ab. Die Praxen haben sich mit der Haus- und Heimtierhaltung über die letzten 20 Jahre deutlich diversifiziert: Zu Hund, Meerschweinchen, Vögel gesellen sich auch Reptilien.

Es sei aus Sicht der Kammer daher „durchaus fraglich, wie sinnvoll es wäre, eine Erstversorgung eines Kleintieres in einer Verhaltenstherapiepraxis oder einer auf Rehabilitationsmedizin spezialisierten Praxis durchführen zu lassen“. Beschränke man als Kammer den Notdienst aber auf die Praxen, die auch allgemeine Sprechstunden anbieten, bekomme man Probleme mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz. „Dies sind auch Gründe, warum es in Kammerbezirken mit verpflichtendem Notdienst nicht zwingend besser aussieht als in Nordrhein.“

Höhe Gebühren geplant – Kammer für Flexibilisierung der Arbeitszeiten

Die zweite Lösung – höhere Gebühren – ist mit der neusten Novellierung im Dezember 2019 auf den Weg gebracht. So sollen als Notdienstzeiten alle Zeiträume täglich von 18 Uhr über Nacht bis 8 Uhr des Folgetages gelten, sowie auch freitags ab 18 Uhr über das Wochenende, bis Montag, 8 Uhr, und die 24 Stunden jedes Kalenderfeiertages im jeweiligen Bundesland.

Zu diesen Zeiten dürfen dann alle Leistungen mit einem zweifachen Mindestsatz bis zu dem vierfachen Satz einer einfachen Gebühr abgerechnet werden. Zusätzlich darf der Tierarzt eine Notdienstgebühr von 50 Euro pro Behandlungsfall erheben. Ausnahme: Die Praxis legt selbst ihre normalen Sprechstundenzeiten anders fest, etwa von 10 bis 19 Uhr.

Auch hier ist die Tierärztekammer Nordrhein erst einmal skeptisch: Die Novellierung werde einen positiven Impuls setzen. Ob er ausreicht, werde erst die Zeit zeigen. Eine wesentlicher Baustein zur Verbesserung wäre aus ihrer Sicht eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten. Da es jedoch keine Tarifparteien in der Tierärzteschaft gebe, bliebe es etwa bei der Ruhezeit von elf Stunden nach Notdiensteinsätzen. Der Weg bliebe aktuell verschlossen.


Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel beruht überwiegend auf Recherchen und Interviews im ersten Quartal 2020 vor der Corona-Krise. Eine Überprüfung des Verfassers im Juni hat bestätigt, dass die die beschriebenen und erläuterten grundsätzlichen Sachverhalte weiterhin aktuell sind.