Duisburg. Der Duisburger Kinderschutzbund geht in Corona-Zeiten neue Wege, um einige Projekte weiterführen zu können. Kleiderkammern haben viel Zulauf.

Damit hatte der Kinderschutzbund nicht gerechnet: Die Kleiderläden in Hochfeld und Marxloh, die nach dem Corona-Lockdown jetzt wieder geöffnet haben, verzeichnen einen großen Zulauf. Gerhild Tobergte spricht von einem „sprunghaften Anstieg“. Die Leiterin des Duisburger Kinderschutzbundes kann nur vermuten warum. In vielen Familien sei die finanzielle Not durch die Corona-Krise (Kurzarbeit, wegfallende Nebenjobs und die Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes) noch größer geworden, als sie schon vor der Krise war. Dass die Menschen in diesen Tagen sorgenvoller nach vorne blicken mache sich auch bei den Spenden bemerkbar. „Wir haben in den letzten Monaten nicht eine bekommen“, sagt Gerhild Tobergte. Nur die alljährliche Radfahrbenefiz-Aktion „Jeder Kilometer zählt“ brachte im Mai rund 2300 in die Kasse des Kinderschutzbundes.

Sprachpaten und Wunschomas noch nicht wieder im Einsatz

Wie lange die hohe Nachfrage in den Kleiderläden anhält, „muss man natürlich sehen“, sagt Gerhild Tobergte, die mit ihrem Team und dem Gesundheitsamt in den vergangenen Wochen viel darüber diskutiert hat, wie die Fachberatungsstelle für von sexuellem Missbrauch betroffenen Mädchen und Jungen unter Berücksichtigung der Abstands- und Hygieneregeln wieder anlaufen kann. Die telefonische und die Email-Beratung sind die ganze Zeit durchgelaufen, die persönlichen Gespräche wieder seit wenigen Wochen möglich. Noch nicht wieder aktiv sind die Sprachpaten und die Wunschomas, auch die Kochkurse können noch nicht stattfinden. Das sei bitter für die Kinder, „die uns doch mehr denn je brauchen“, ist Gerhild Tobergte überzeugt.

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Dies zeige sich bei den Flüchtlingskindern, die in dem Projekt „Zu uns – mit uns“ Deutsch lernen. Damit sie nicht den Anschluss verlieren, bietet der Kinderschutzbund für die Gruppen-Kinder bis zum Ende der Sommerferien die „Schule im Biegerpark“ an, in der sie Nachhilfe bekommen können.

Dreimal die Woche Nachhilfe unter Bäumen

Media und Nesrin sind beste Freundinnen. Seit fast vier Jahren. Dabei konnten sie sich erst gar nicht leiden. Aber in der Projektgruppe des Kinderschutzbundes „Zu uns – mit uns“, in der Flüchtlingskinder im Grundschulalter spielerisch den Alltag in Deutschland kennenlernen, freundeten sich die beiden Mädchen an. Als sie mit ihren Familien aus Syrien nach Deutschland geflüchtet sind, konnten sie kein Wort Deutsch. „Das Alphabet hat mir mein Vater beigebracht“, erzählt Media. Richtig sprechen hat sie aber in der Gruppe des Kinderschutzbundes gelernt. Die Elfjährige ist ehrgeizig, „ich habe eine zwei in Mathe geschrieben, das ärgert mich.“ Mittlerweile besucht sie die Gesamtschule Mitte. In die Gruppe des Kinderschutzbundes kommt sie aber noch immer regelmäßig. Und so ist sie auch eine der ersten, die sofort begeistert die „Schule im Biegerpark“ besucht. Bis zu dreimal die Woche, je nach Wetterlage, trifft sie sich mit Nesrin zum Nachhilfe-Unterricht.

Kontakt während des Lockdown über Whats App gehalten

„Eigentlich geben wir keine Nachhilfe. In dem Projekt sollen die Kinder die Alltagssituation hier kennenlernen. Aber durch die Corona-Pandemie und den fehlenden Schulunterricht verlernen die Kinder wieder vieles. Da haben wir überlegt, wie wir das auffangen können“, erklärt Gerhild Tobergte, Leiterin des Duisburger Kinderschutzbundes. Während des Lockdown hatte die Projektleiterin Esra Akgün mit den Kindern über Whats App Kontakt gehalten und ihnen kleine Bastelaufgaben gegeben. Einige Kinder haben auch kleine Geschichten geschrieben. Aber das ersetze natürlich nicht die persönliche Gruppenarbeit und schon gar keinen Schulunterricht.

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Media ist froh, dass sie nun in der Schule im Park Esra Akgün bei den Hausaufgaben um Hilfe bitten kann. Es sei schwierig gewesen in den vergangenen Wochen. Zwar bekamen auch Media und Nesrin ihre Aufgaben übers Smartphone digital übermittelt. „Aber wenn ich was fragen wollte, dann musste ich auf die Antwort der Lehrerin manchmal warten. Das ärgert mich“, erzählt Media. „Na ja, die hat ja auch viele Mails zu beantworten“, beschwichtigt Esra Akgün und fragt, was Media denn diesmal für Schulaufgaben erledigen muss. „Mathe!“

Media (11): Geschenke sind gar nicht wichtig

Doch bevor es an die Aufgaben geht, plaudern Media und Nesrin noch munter drauf los. In der Familie steht ein Geburtstag an. Die kleine Schwester wird 5. „Vielleicht schenke ich ihr ein Puzzle“ überlegt Media. Doch eigentlich wirft sie dann ein, seien Geburtstagsgeschenke gar nicht so wichtig. „Ich finde wichtig, dass man glücklich ist mit der Familie und wir friedlich leben“, sagt die Elfjährige, geprägt von den Erlebnissen der Flucht. Ärztin will sie einmal werden, erzählt sie. Keine Lehrerin. Da fehle ihr die Geduld.

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Gerhild Tobergte freut sich über die Entwicklung der Mädchen, „wenn man bedenkt, was die in der kurzen Zeit hier gelernt haben.“ Mit Sorge sieht sie aber den wochenlangen Unterrichtsausfall in den Schulen. Der werfe ganz viele Kinder aus bildungsfernen Familien zurück. Nicht jedes Kind habe zu Hause die Voraussetzungen für einen digitalen Unterricht.

Viele Familien fanden mehr Zeit füreinander

Allerdings könne man die Folgen des Lockdown auch nicht verallgemeinern. „Man kann es nicht generalisieren“, sagt Gerhild Tobergte. Neben all der Herausforderung, die viele Eltern und Kinder durch Homeoffice und Homeschooling zu bewältigen haben, hätten einige Familien auch wieder mehr Zeit füreinander gefunden.

„Viele Familien waren in der Zeit auf sich gestellt. Aber viele haben auch zu mir gesagt, dass sie lange nicht mehr soviel Zeit als Familie miteinander gehabt hätten“, erzählt Gerhild Tobgerte. Zeit, die im Alltag der Ganztagsbetreuung und im Arbeitsstress verloren gegangen sei. Tobergte berichtet von Vätern, die sie im Wald mit ihren Kindern über Baumstämme hat klettern sehen.

Gespräche mit kleinen Kindern sind auf Abstand nicht möglich

„Das sind aber meistens Familien, wo vorher auch schon Gemeinsamkeiten waren“, gibt Birgit Felithan, die neue Leiterin der Fachberatungsstelle des Kinderschutzbundes für von sexuellem Missbrauch betroffene Mädchen und Jungen, zu Bedenken. Wie sehr Corona die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen verändern wird, sei noch nicht absehbar. Erschwerend komme hinzu, dass viele Beratungsstellen noch immer nicht wieder ihre Arbeit richtig aufnehmen könnten. „Viele Gespräche, vor allem mit kleinen Kindern, sind noch nicht möglich“, sagt Birgit Felithan.

Auf Abstand könne man gerade mit Kleinkindern keine Diagnostik machen, für die spielerische Elemente genutzt werden. „Wir müssen dafür Vertrauen schaffen können, das geht nicht auf Distanz“, erklärt die Sozialpädagogin. Sie findet es problematisch, dass der soziale Bereich im Lockdown nicht systemrelevant war. Eine telefonische Beratung könne das persönliche Gespräch nicht ersetzen. Und der digitale Unterricht nicht den Präsenzunterricht in der Schule.

Nesrin und Media wollen deshalb auch in den Sommerferien weiter lernen. Sie tauschen gerne das Klassenzimmer gegen die Picknickdecke im Park, auf der sie ihre Bücher aufschlagen. Apropos Bücher: „Ich habe keine mehr zum lesen. Alleine darf ich nicht in die Bücherei“, beklagt sich Media. „Na, dann gucke ich mal, was wir im Kinderschutzbund haben“, verspricht Esra Akgün. Media lächelt: „Aber nichts mit Fußball.“