Duisburg. Die verstorbene Mutter eines Duisburgers wurde von einem Bestatter im Kühlhaus vertauscht und eingeäschert. Sohn wird letzter Abschied genommen.

Noch ein allerletzter Blick in den geöffneten Sarg: Das war der Wunsch von Dennis Sidonov aus Duisburg, als seine Mutter Margarete Simon im vergangenen Jahr verstarb. Doch dieser Abschied wurde ihm und seiner Familie genommen. Ein Bestatter hatte im Kühlhaus zwei Leichen verwechselt und die falsche Tote eingeäschert. Es war Margarete Simon.

Der Tod lässt am 16. Mai 2019 nur noch Erinnerungen zurück. 49 Jahre ist Margarete Simon alt, fünf Wochen fehlen für das halbe Jahrhundert. „Sie ist damals aber nur noch wenig rausgegangen“, sagt Dennis Sidonov. Depressionen hatten sie im Leben begleitet, sagt der 27-Jährige.

Falsche Tote in Duisburg ohne Abschied eingeäschert: „Alle haben geweint“

An jenem Maitag wird die Duisburgerin von einem Rettungswagen abgeholt. Es gehe ihr nicht gut. Plötzlich bleibt ihr Herz stehen. Hinter verschlossenen Türen beginnt ein Kampf um ihr Leben, den Sanitäter letztlich verlieren. Aufgrund der ungeklärten Todesursache wird die Leiche zunächst von der Polizei beschlagnahmt und kommt in ein Kühlhaus am Waldfriedhof.

Zurück bleiben sieben Kinder und ihr Ehemann. „Alle haben geweint“, erinnert sich Sidonov. Dass sie „Mama“ nach dem Tod noch ein zweites Mal ohne Abschied verlieren werden, ahnt die Familie zu diesem Zeitpunkt nicht.

Ein letzter Abschied – Bestatter findet Leiche im Kühlhaus nicht

Sidonov kümmert sich um die Beerdigung. Sein Vater hatte für die bürokratischen Erledigungen keinen Kopf und den Tod seiner Jugendliebe bis heute nur schwer verarbeitet. „Er war noch immer nicht am Grab.“ Der 27-Jährige entscheidet sich für Sarg und Urne, dazu sucht er Kleidung für die Aufbahrung aus. Es ist sein großer Wunsch, sie noch einmal zu sehen. Dabei möchte er seine zweimonatige Tochter auf dem Arm halten, die Oma nur aus Erzählungen kennen wird.

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Als der beauftragte Bestatter den Leichnam von Margarete Simon nach der Freigabe durch die Staatsanwaltschaft aus dem Kühlhaus holen möchte, fehlt von der Toten jede Spur. Statt der letzten Ruhe folgt Chaos. „Sie ist nicht da“, soll der Bestatter am Telefon gesagt haben. „Er war geschockt und hatte keine Antworten für mich. Niemand wusste, wo sie ist.“

Eine verhängnisvolle Verwechslung – Bestatter handelt fahrlässig

Stirbt ein geliebter Mensch, ist es für Angehörige sehr belastend. Nach dem Tod aber nicht zu wissen, wo die Leiche ist – für Trauernde ein grauenvoller Gedanke. Erst Stunden später kommt für Dennis Sidonov der erlösende Anruf des beauftragten Bestatters. „Wir haben die Urne gefunden.“

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Margarete Simon war zu diesem Zeitpunkt bereits eingeäschert. Eine verhängnisvolle Verwechslung hat der Familie den Abschied genommen. Ein Bestatter hatte im Kühlhaus des Krematoriums am Waldfriedhof zwei Leichen vertauscht, so geht es aus einem Schreiben der Staatsanwaltschaft Duisburg hervor, das dieser Redaktion vorliegt. So heißt es wörtlich: „Der Beschuldigte vertauschte versehentlich die Verstorbenen und handelte damit fahrlässig.“

Dennis Sidonov erstattet Anzeige – Verfahren wird eingestellt

Nach der Beerdigung und in seiner Hilflosigkeit hatte Dennis Sidonov Anzeige erstattet. Polizei und Ordnungsamt hatten unabhängig voneinander den Fall überprüft, laut dem Bundesverband Deuscher Bestatter, der über den Vorfall informiert ist, hätten beide Stellen aufgrund geringen Verschuldens der Beteiligten die Ermittlungen eingestellt.

Dennis Sidonov am Grab seiner Mutter. Am 24. Juni wäre sie 51 Jahre alt geworden.
Dennis Sidonov am Grab seiner Mutter. Am 24. Juni wäre sie 51 Jahre alt geworden. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Der „einzig in Betracht kommende Tatbestand“ der Störung der Totenruhe sei durch die achtlose Handlung des Bestatters „mangels ersichtlicher unbefugter Wegnahme nicht erfüllt“, heißt es auch in dem Schreiben der Staatsanwaltschaft zur Begründung der Einstellung. Für den Duisburger ein Schlag ins Gesicht. „Was ist ein Mensch wert?“, fragt der 27-Jährige hinsichtlich der rechtlichen Verantwortung.

Kostenerstattung für Grabstelle und Einäscherung

„Es handelt sich um einen bedauernswerten Vorgang“, teilen die Wirtschaftsbetriebe Duisburg auf Nachfrage mit. Sie sind im städtischen Auftrag für Krematorium und Waldfriedhof zuständig. Da den Wirtschaftsbetrieben der Stand der Ermittlungen auch ein Jahr nach Einstellung des Verfahrens nicht bekannt sein soll, wolle die Pressestelle den Vorfall nicht weiter kommentieren. Offen bleiben etwa die Frage der Redaktion, wie es zu der Verwechslung kommen konnte und welche Kontrollinstanzen – gerade im Hinblick auf die spezielle Fürsorgepflicht – es bei der Leichenentnahme gibt.

Konkreter wird auf Anfrage der Bundesverband Deutscher Bestatter. Bei der Abholung habe ein Friedhofsmitarbeiter aufgrund einer Namenverwechslung die falsche Verstorbene aus der Kühlzelle herausgegeben. „Dem Bestatter ist zum Vorwurf zu machen, dass er das Namensschild an der Verstorbenen nicht genug kontrolliert hatte“, teilt der Verband mit.

Das Bestattungsunternehmen bedauere diesen Vorgang außerordentlich, heißt es weiter. Für die Kosten der Grabstelle auf dem Waldfriedhof und die Einäscherung musste die Familie nicht aufkommen. Den Moment der Verabschiedung bringt dieses Entgegenkommen aber nicht zurück.

>>> Dennis Sidonov verarbeitet den Verlust in der Musik

• Der 27-Jährige Duisburger ist Rapper und hat über die Musik versucht, den Verlust zu verarbeiten. So heißt es in dem Lied „Mama“ etwa: „Doch die Erinnerung an dich, sie wird nie vergehen. Du sollst wissen, dass wir dich für immer lieben.“

• Das Datum für die Veröffentlichung seines Liedes hat er bewusst gewählt: Der heutige Mittwoch ist der Geburtstag seiner verstorbenen Mutter. Über die Musik versucht er Abschied zu nehmen. Seine Werke sind auf dem Instagram-Account „dekay.offiziell“ und auf dem Youtube-Kanal „Dekay Offiziell“ zu hören.