Duisburg. Missbrauch von Kindern in Pflegefamilien gibt es auch in Duisburg, manche landen vor Gericht. Wie schützt das Jugendamt Kinder? Ein Interview.
Nicht erst seit den zahlreichen Missbräuchen eines Pflegevaters in Lügde stehen Pflegefamilien immer wieder im öffentlichen Fokus. Dabei leisten viele von ihnen hervorragende Arbeit und bieten Kindern, die es nicht leicht haben, einen neuen Ankerpunkt. Jugendamtsleiter Hinrich Köpke erklärt, wie Familien ausgewählt und begleitet werden und wie Kinder geschützt werden:
Wie werden Pflegefamilien ausgesucht?
Hinrich Köpke: Pflegeeltern durchlaufen ein standardisiertes Prüfungsverfahren. Bestandteile dieses Verfahrens sind zunächst formale Kriterien wie die Vorlage eines polizeilichen Führungszeugnisses, ärztlicher Atteste und Schufa-Auskünfte. Darüber hinaus wird geprüft, wie geeignet die Familien sind, unter anderem anhand der Motivation und Belastbarkeit. Zur weiteren Vorbereitung gehören Informationsgespräche, Hausbesuche, gelenkte Interviews, Bewerberschulungen und Biografiearbeit.
Welche Kontrollmechanismen greifen und wie oft ist das Jugendamt in den Familien?
Neben der Durchführung regelmäßiger Hausbesuche wird den Pflegekindern eine Vertrauensperson außerhalb der Familie an die Seite gestellt. Das kann eine Fachkraft vom Pflegekinderdienst oder vom Allgemeinen Sozialen Dienst sein oder auch der Vormund. Darüber hinaus verfügt der Pflegekinderdienst über ein Beschwerdemanagement. Bei Verdachtsfällen auf Kindeswohlgefährdung werden häufig Hausbesuche durchgeführt, gegebenenfalls bis zu mehrmals wöchentlich.
Kinder können sich an unabhängige Berater wenden
Welche Möglichkeiten haben Pflegekinder, sich bemerkbar zu machen?
Die Kinder können sich an ihre Vertrauensperson wenden. Sollte das Pflegekind eine unabhängige Beratung bevorzugen, kann es auch die Ombudsstelle NRW anrufen. Neben dem Beratungs- und Betreuungsangebot für die Pflegeeltern erfolgt auch eine intensive Netzwerkarbeit bezüglich Kinderschutz, so dass z.B. auch Schulen, Kitas, Ärzte und Vormünder für dieses Thema sensibilisiert sind.
Gibt es Fälle, in denen Kinder aus Pflegefamilien abgezogen werden oder umgekehrt Pflegeeltern ihres Amtes enthoben werden?
Bei erhärteten Verdachtsfällen auf Kindeswohlgefährdung in der Pflegefamilie werden die Pflegekinder aus der Familie herausgenommen. Gleichzeitig wird die Pflegeerlaubnis entzogen. Durchschnittszahlen gibt es nicht. Sind es in einem Jahr fünf Fälle, ist es im nächsten womöglich gar kein Fall.
Wie viele Pflegefamilien gibt es aktuell?
2019 wurden 405 Kinder in Pflegefamilien betreut. Diese Kinder leben in 351 verschiedenen Pflegefamilien. Die Altersstruktur sah im letzten Jahr folgendermaßen aus: 37 % waren unter sechs Jahre alt, 35 % bis zwölf Jahre, bis 18 Jahre sind es 18 % und über 18 noch 10 %.
Oberste Priorität: Schutz des Kindeswohls
Was passiert nach Bekanntwerden von Fällen wie in Lügde in den Jugendämtern?
Angesichts solcher Fälle prüfen wir unsere Prozesse regelmäßig im Hinblick darauf, was wir aus den Fallverläufen lernen können und zukünftig zusätzlich beachten müssen. Der Schutz des Kindeswohls hat dabei stets oberste Priorität.
Die jetzt vor Gericht behandelten Vorfälle geschahen zwischen 1997 und 1998. Hat sich seither grundlegend etwas geändert bei der Auswahl, Kontrolle oder Kontaktpflege in Duisburg, um Gefahren für Pflegekinder zu reduzieren?
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Für das Jugendamt ist es von höchster Bedeutung, Kinder und Jugendliche vor Kindeswohlgefährdung und sexueller Gewalt zu schützen. Deshalb wurden im Laufe der Jahre hohe Qualitätsstandards entwickelt, damit zu einem möglichst frühen Zeitpunkt Kinder in Pflegefamilien vor Gewalt geschützt werden können. Hierzu gehört beispielsweise die Einbeziehung der Pflegekinder in Entscheidungen für ihre Unterbringung, die Bereitstellung einer Vertrauensperson für die Kinder und die Netzwerkarbeit zum Thema Kinderschutz (zum Beispiel mit Schulen, Kindergärten, Vormündern, Herkunftseltern und Kinderärzten).
Schulungen für Pflegeeltern
Auch werden regelmäßig die Fachkräfte der Netzwerke geschult und fortgebildet, um die Signale der Kinder, die in ihren Familien und Pflegefamilien in Not sind, rechtzeitig zu erkennen und im Sinne der Kinder handeln zu können. Die Bewerberschulung für Pflegeeltern hat sich ebenfalls im Laufe der Jahre qualitativ weiterentwickelt, insbesondere zum Thema Kinderschutz.
Auch in Zukunft werden die Qualitätsstandards, die Aufklärung der Kinder und die Netzwerke zur Prävention mit Fokus auf die Kinder und Jugendlichen stets weiterentwickelt, um Kindeswohlgefährdungen in Pflegefamilien (und natürlich auch in Herkunftsfamilien) so früh wie möglich zu erkennen und zu verhindern.