Duisburg. Auf jedem Friedhof gibt es ungepflegte Gräber. Die Stadt veröffentlicht Namen verantwortlicher Angehöriger im Amtsblatt. Was dahinter steckt.
372 Namen listet das Amtsblatt der Stadt Duisburg auf, weil mit ihnen ungepflegte Grabstätten verbunden sind. Eine Liste, die sich wie ein mittelalterlicher Pranger liest. Warum das rechtlich trotzdem korrekt ist:
Der Ahorn ist schon fast mannshoch, dazwischen Brennnesseln, Herbstlaub, vertrocknete Sträucher. Bei diesem Grab sieht auch der gärtnerische Laie, dass Handlungsbedarf besteht. Selbst das grüne, in die Erde gespießte Schild mit der Aufschrift „Bitte mit der Friedhofsverwaltung Kontakt aufnehmen“ muss sich auf seinem Platz behaupten. Nebenan hat sich Efeu wie eine Bettdecke über ein Familiengrab geworfen. Was auf den ersten Blick zumindest ordentlich aussieht, ist ebenso ein Problemgrab. Denn darunter hat sich die Erde gesetzt, gefährliche Löcher sind entstanden. Und dazwischen bahnen sich Baumtriebe ihren Weg nach oben.
Duisburger Friedhofsverwaltung sucht Anverwandte wie die Detektive
Claudia Jost, Friedhofsleiterin im Duisburger Westen, dokumentiert den Grad der Verwahrlosung mit Fotos und schreibt die Angehörigen an mit der Bitte, tätig zu werden. Im Verwaltungsdeutsch heißen die Verantwortlichen für ein Grab Nutzungsberechtigte, und in 20 Prozent der Fälle sind eben diese bereits beerdigt, weshalb die Gräber aussehen wie sie aussehen und eine Zustellung der Post zwar möglich, aber sinnlos wäre. Dann geht die Suche nach weiteren Anverwandten erst richtig los.
„Wir sind keine Detektei“, schränkt Willi Witzel vom Kundenservice Friedhöfe der Wirtschaftsbetriebe ein. Ein Einwohnermeldeabgleich werde gemacht, innerhalb von NRW in anderen Kommunen gesucht, aber „nach dem sechsten Umzug verlieren sich Spuren irgendwann“.
Die Friedhofssatzung gibt das Prozedere vor, regelt Abläufe, Fristen. Im Schnitt werden 1000 Grabstätten wegen ihres Zustandes eingezogen. „Aber wenn jemand an Allerheiligen eine Kerze auf dem Grab entzündet, geht alles von vorne los“, sagt Jost, denn dann gibt es ja offenbar jemanden, der diesem Verstorbenen verbunden ist. Man muss ihn nur noch finden.
Zahl der verwahrlosten Grabstätten nimmt zu
Der Friedhof Mühlenberg in Rheinhausen ist mit 20 Hektar einer der größten in Duisburg, laut Amtsblatt-Liste hat er aktuell die meisten Problem-Gräber: 73 Namen sind aufgelistet. „In 54 Fällen sind die Nutzungsberechtigten verstorben“, sagt Witzel. Ein Angehöriger müsste aktiv deren Nutzungsberechtigung übernehmen, was viele nicht wissen, aber tun, wenn sie aufgespürt wurden.
Zum Wandel der Friedhofs- und Trauerkultur zählt leider auch, dass die Grabpflege im traditionellen Sinne immer mehr an Bedeutung verliert, sagt Volker Lange von den Wirtschaftsbetrieben. Ein Grund: Berufstätigkeit erfordert heute ein erhöhtes Maß an Mobilität. Insgesamt habe die Zahl der verwahrlosten Grabstätten erheblich zugenommen.
Die Veröffentlichung im Amtsblatt sei rechtlich vorgeschrieben, es melde sich dadurch aber kaum jemand, bekennt Witzel. Mehr Reaktionen würden die gesteckten Schilder hervorrufen. Und wenn es ein irritiert fragender Anrufer ist, dessen Grab picobello ist, dem aber ein Scherzkeks das Schild vermacht hat.
Gestaltung der Grabstellen liberal
So viele ungepflegte Gräber gibt es in Duisburg
In Duisburg gibt es 17 kommunale Friedhöfe. Für 60.000 Grabstätten gibt es ein Nutzungsrecht, rund 28.000 Grabstätten werden zurzeit nicht genutzt.
Der Flächenverbrauch wird seit Jahren geringer, weil inzwischen zwei Drittel der Verstorbenen in einer Urne bestattet werden und nur ein Drittel im Sarg.
Eine Grabstelle in einem Wahlgrab kostet laut Friedhofsgebührensatzung 1385 Euro für 20 Jahre.
Im Amtsblatt sind insgesamt 372 Namen aufgelistet, deren Gräber verwahrlost sind: Auf dem Friedhof am Sternbuschweg sind es vier Familiennamen, auf dem Waldfriedhof einer, Buchholz fällt mit 33 Namen auf, Trompet meldet 10, Rumeln 22, der Parkfriedhof 29, der Friedhof Mühlenberg 73, in Friemersheim sind es 24, in Alt-Walsum 8, in Aldenrade 43, auf der Fiskusstraße 6, am Nordfriedhof 14, am Ostacker 11 und auf der Bügelstraße 26.
Zum Recht, die Grabstelle zu nutzen, gehört die Pflicht, das Grab der Würde des Ortes entsprechend zu pflegen. „Da sind wir viel liberaler geworden“, betonen Jost und Witzel. Plastikblumen etwa, früher verboten, sind inzwischen willkommen. Kieseinlagen werden hingenommen, auch wenn sie beim Rasen mähen wie Geschosse durch die Gegend fliegen. Plastikengel und anderer „Trauerkitsch“ wird gelassen ertragen. Nur ein monumentaler Gartenzwerg musste weichen – er hatte ein Messer in den Plastikhänden, berichtet Jost kopfschüttelnd.
In der Regel werden die Gräber, zu denen sich kein Verantwortlicher finden ließ, abgeräumt und mit Gras bedeckt. Der Verstorbene bleibt unberührt in seinem Grab, bis die gesetzliche Ruhefrist verstrichen ist. Mancher Familienangehörige sei darüber sogar froh, erzählt Claudia Jost, er erkundige sich getarnt als alter Freund nach der Lage des Grabes und lege dann dort beim Besuch Blumen nieder.