Duisburg. Hat Duisburg ein größeres Problem mit Jugendkriminalität als andere Städte?Polizeipräsidentin Bartels antwortet im Interview auf diese Frage.
Hat Duisburg ein größeres Problem mit Jugendkriminalität als andere Städte? Ende September lieferte sich eine Gruppe von fünf jungen Duisburgern im Alter von 12 bis 14 Jahren nach einem Einbruch in einem 3er-BMW eine Verfolgungsjagd über die Autobahn von Köln bis nach Essen-Kettwig. Sie machten als „Klau-Kids“ bundesweit Schlagzeilen. Im Januar gelang der Polizei ein Schlag gegen eine 40-köpfige Jugendbande, die im Duisburger Westen bei Kiosk-Überfällen teils brutal vorging. Im Interview haben wir mit Polizeipräsidentin Dr. Elke Bartels über diese Fälle gesprochen. Die Polizeipräsidentin äußert sich auch zum Kampf gegen Streetcorner-Gangs in Marxloh und der Herausforderung, kriminelle Karrieren zu stoppen.
Frau Dr. Bartels, im Herbst und Winter haben die Taten von Jugendlichen gefühlt zugenommen. Hat Duisburg ein besonderes Problem mit Jugendkriminalität?
Elke Bartels: Es ist eine gefühlte höhere Kriminalität von Jugendlichen, die natürlich durch spektakuläre Vorfälle in den Vordergrund gerückt ist. Die beiden großen Fälle sind in der Tat sehr ungewöhnlich gewesen, weil die Täter noch sehr jung waren. Wir haben die Tat in Köln und diese 40-köpfige Jugendbande – auch sehr jung – von 14 bis 17 Jahren, die arbeitsteilig sehr unterschiedlich tätig war. Sowohl im Handtaschenraub, bei Körperverletzung, aber auch eine Gruppierung von 15 Leuten, die sehr brutal vorgegangen sind – zum Beispiel bei Kiosk-Überfällen. Daher sind wir sehr froh, dass wir diese 15 Leute dingfest machen konnten, die Gruppierung zerschlagen haben. Zum anderen haben wir dadurch auch einen Präventionseffekt erzielt.
Seit der Raubserie im Westen diskutiert die Bevölkerung über das Thema Jugendkriminalität in Duisburg. Wie groß ist denn nun der Unterschied zwischen Wahrnehmung und Realität?
Wir sind, wie alle anderen Ruhrgebietsstädte auch, ähnlich belastet. Wir haben im Vergleich zu anderen Städten aber eine relativ geringe Zahl an Mehrfachtätern. Das sind diejenigen unter 21, denen fünf Taten und mehr in einem Jahr zugeschrieben werden. Daran misst man die Jugendkriminalität. Dort hatten wir 2018 174 Mehrfachtäter zu verzeichnen. In Dortmund waren es 347, in Bochum 237, in Essen 220. Man sieht, dass wir, obwohl wir in die Schlagzeilen geraten sind, nicht unbedingt die höhere Jugendkriminalität zu verzeichnen haben.
Wir sprechen also wirklich über einen gefühlten Anstieg?
Unser Problem ist teilweise nicht so groß, wie das der anderen Städte. Aber: Die Intensität ist manchmal erschreckend. Früher hat man mal etwas gestohlen, das hat sich aber verwachsen. Da war ein Drang, sich zu beweisen. Heutzutage ist das intensiver geworden. Man klaut nicht mal eben so eine Schnapsflasche, es zeigt sich eine kriminelle Energie, die sich im Erwachsenenalter fortsetzt.
So möchte die Duisburger Polizei kriminelle Karrieren stoppen
Wie stehen Sie zu der Studie, die besagt, dass die Intensivtäter irgendwann von selber aufhören?
Wir haben es jetzt mit Jugendlichen zu tun, denen man helfen muss, aus diesem Rad hinauszukommen. Wir haben ein spezielles Kriminalkommissariat, das sich um jugendliche Intensivtäter bis 21 Jahre kümmert. Wenn man in dieses Programm hineingekommen ist, wird man besonders betreut. Das ist für viele noch einmal entscheidend. Die Frage ist: Will ich mein Leben weiter so führen? Für die noch jüngeren bis 14 Jahre gibt es das Programm „Kurve kriegen“. Das ist allerdings ein freiwilliges Programm. Da müssen Eltern und Kinder mitmachen. Die Kinder werden dort pädagogisch und psychologisch betreut.
Ist die Freiwilligkeit dabei eine Hürde?
Das ist nicht immer einfach. Viele sind aus einem nicht deutschen Milieu. In den letzten fünf Jahren haben wir 134 Kinder begleiten dürfen. Dürfen ist da das richtige Wort, denn wir müssen erst einmal den Zugang finden.
Wo muss man sowohl bei Tätern unter 14 Jahren, als auch bei den Intensivtätern bis 21 Jahren ansetzen, um eine kriminelle Karriere zu stoppen?
Ich glaube, man muss versuchen, Werte zu vermitteln, die nicht vorhanden sind. Teilweise muss man das auch erstmal beim Elternhaus tun. Ein Vorbild ist das Wichtigste im Leben eines Kindes. Man muss das ganze Umfeld einbeziehen. Außerdem müssen wir schauen, dass die Kinder überhaupt zur Schule gehen. Das sind vielfach Schulverweigerer. Also arbeiten wir so, dass wir die Kinder zur Schule bringen und abholen, damit ein ordentlicher Tagesablauf vermittelt wird. Wir führen außerdem viele Gespräche, um zu zeigen, dass man mit einer kriminellen Karriere viel Geld verdienen kann, aber das auf Dauer in ein Gefängnis führen kann. Sie müssen sich dieser Kehrseite bewusst werden.
Den wichtigen pädagogischen Ansatz haben Sie geschildert. Heißt das auch: Jugendarrest ist erst das letzte Mittel?
Ja, wenn alle Stricke reißen, müssen wir das in Betracht ziehen.
Welche Familienstrukturen findet die Polizei dort vor?
Die meisten Kinder und Jugendlichen kommen nicht aus einem gutbürgerlichen Elternhaus. Bei einigen Eltern ist das Erstaunen über die Taten nicht so groß, wie man sich das vorstellt. Vielfach sind das Elternhäuser, in denen sehr viele Kinder leben.
„Klaukids“ kommen aus Roma-Familien
Gibt es Stadtteile, die besonders von Jugendkriminalität betroffen sind? Welchen Einfluss hat zum Beispiel die EU-Osterweiterung, die auf Hochfeld stark gewirkt hat?
Die Osterweiterung spielt eine große Rolle und hat zu einem stärkeren Kriminalitätsaufkommen beigetragen. Die Kinder, die die Tat in Köln begangen haben, waren Roma. Ich will natürlich nicht stigmatisieren. Es ist ein Konglomerat von Ethnien, es sind auch deutsche Kinder dabei. Die Gruppen setzen sich nicht homogen zusammen.
Welche Rolle spielt Bildung im Zusammenhang mit Straftaten von Jugendlichen?
Bildung ist der Schlüssel zu einem geordneten und erfüllten Leben. Wenn man eine gute Bildung genossen hat, kann man aus seinem Leben mehr machen. Deswegen müssen wir auch früh ansetzen und die Kinder der Schule zuführen. Eine berufliche Karriere ist das beste Mittel gegen Jugendkriminalität.
Inwieweit ist gerade bei diesem Punkt auch die Politik am Zug?
Es ist natürlich kein polizeiliches Problem, über das wir hier sprechen. Es ist ein gesellschaftliches Thema. Deshalb muss es auch von einer politischen Seite aus betrachtet werden. Man muss ganz früh die Kinder in die richtigen Bahnen lenken – in der Kita, im Kindergarten. In der weiterführenden Schule ist es schon zu spät. Wir sind die letzte Instanz, wenn alles versagt hat.
Ist es frustrierend, da nur die letzte Instanz zu sein, die nichts mehr umdrehen kann?
Wir versuchen wirklich viel. Aber natürlich entsteht da bei meinen Leuten Frust. Man investiert Zeit und Energie.
Zurück zur Intensität: Was hat dazu geführt, das aus dem Ladendiebstahl dann zum Beispiel ein Raubüberfall wird?
Gerade bei Jugendlichen ist die Peergroup ein wichtiger Aspekt. Die Jugendlichen wollen sich durch noch gewalttätigere Taten abheben, Ansehen gewinnen. Wenn man sie aus diesen Gruppen isoliert, kann man viel besser mit ihnen arbeiten. Das ist aber unglaublich schwierig.
Jugendliche Täter prahlen in sozialen Medien
Viele junge Täter prahlen mit ihren Taten in sozialen Medien, Videos landen im Netz. Spielt das auch eine Rolle?
Alles verteilt sich zum Beispiel auf Facebook sehr schnell. Der nächste will immer einen draufsetzen. Die sozialen Medien sind Segen und Fluch. Hier haben wir einen Bereich, bei dem ich mir wünschen würde, dass es nicht so animierend wirkt.
Da driftet die Gesellschaft anscheinend auseinander. Die eine Seite prahlt, die andere Seite ist schockiert. Können Sie die heftigen Reaktionen – zum Beispiel auf die brutalen Überfälle in Homberg – verstehen?
Das zeigt doch, dass es ein gesellschaftspolitisches Problem ist, dem man sich nicht stark genug annehmen kann. Man hat das Gefühl, das ist Alltag, das gehört dazu. Das darf aber nicht sein!
Wie sehen Sie die Entwicklung der Duisburger Polizeiarbeit im Bereich Jugendkriminalität in den vergangenen Jahren?
Wir haben seit 2013 dafür gesorgt, dass diese Streetcorner-Gangs, die sich in Marxloh breit gemacht hatten, durch ein Präsenzkonzept kleingemacht und verdrängt wurden. Das waren auch junge Leute, die die Weseler Straße für sich reklamierten. Da haben wir dagegengehalten. Dafür braucht man wirklich viel Personal. Jedes Verhalten, dass nicht ordnungsgemäß ist, muss man ahnden.
Das klingt nach einem mühsamen Unterfangen.
Das war gerade am Anfang nicht einfach. Es kam zu Tumultdelikten. Zwei Polizeibeamte wurden von einer Traube von 50 bis 100 Leuten umringt. Das haben wir durch konsequentes Vorgehen minimiert. Wir haben eine Befriedung erreicht. Das müsste im Prinzip überall erfolgen, wo sich solche Strukturen aufbauen. Aber: das bedeutet viel Personal und ständige Präsenz.
Ein Blick voraus: Was ist Ihrer Meinung nach das Mittel gegen Jugendkriminalität: Härtere Strafen oder noch mehr Prävention?
Was Kinder und Jugendliche anbelangt sehe ich härtere Strafen nicht als das richtige Ziel. Pädagogik und Aufklärung ist angesagt. Bei Erwachsenen sehr ich das anders: Da braucht es in konkreten Fällen härtere Strafen zur Abschreckung.