Duisburg. Bei einer Betriebsversammlung bewegen Thyssenkrupp-Mitarbeiter mit menschlichen Schicksalen. Der Vorstand schließt Anteilsverkauf nicht aus.

Nach einer monatelangen Hängepartie haben die rund 800 Mitarbeiter des Grobblechwerks in Hüttenheim in einem Punkt Gewissheit: Ihr Herz aus Stahl wird – höchstwahrscheinlich – nicht mehr im Verbund Thyssenkrupp Steel schlagen. Vielmehr möchte sich der kriselnde Konzern von dem Standort im Duisburger Süden trennen. In einer außerordentlichen Belegschaftsversammlung haben Betriebsrat und Vorstand am Dienstagmorgen über die aktuelle Entwicklung informiert. Die Stimmung unter den Mitarbeitern ist aufgeheizt, die Sorge um die berufliche Zukunft belastet.

Vor mehreren hundert Mitarbeitern in der Gaststätte Steinhof in Huckingen schwört Betriebsratsvorsitzender Mehmet Göktas seine Kollegen ein: „Wir geben unser Werk nicht kampflos auf.“ Seit Donnerstag sei die Bombe über den drohenden Verkauf geplatzt, Kunden und Mitarbeiter seien dadurch „maximal verunsichert“.

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Einst eine „Ikone der deutschen Industrie“, so der Arbeitnehmervertreter, sei die Geschichte der vergangenen zwei Jahrzehnte von „Nieten in Nadelstreifen“ geprägt. „Nach über 50 Jahren will der Vorstand als Bestatter von Grobblech in die Konzerngeschichte eingehen“, schimpft Göktas.

Thyssenkrupp in Duisburg: Menschliche Schicksale bewegen

Dass mit einer möglichen Schließung auch menschliche Schicksale verknüpft sind, verdeutlichen Beschäftigte auf der Bühne. Sie erzählen von ihren Vätern, die schon Teil der Stahlfamilie waren. Zum Teil blicken sie selbst auf eine jahrzehntelange Betriebszugehörigkeit zurück.

OB Sören Link spricht zu Mitarbeitern

Oberbürgermeister Sören Link sprach bei der Versammlung zur Belegschaft. Er fordert, dass es „keine betriebsbedingten Kündigungen“ geben darf. Ein Verkauf und keine Schließung des Werks in Hüttenheim dürfte die einzige Alternative sein. Es müsse ein Käufer gefunden werden, der an „die Zukunft der Sparte glaubt“.

Die Stadt Duisburg stehe weitestgehend geschlossen hinter den Mitarbeitern, so der OB. In einem „dringlichen Brief“ an Bundeskanzlerin Angela Merkel und NRW-Ministerpräsident Armin Lascht habe er einen „nationalen Stahlgipfel“ eingefordert, um etwa über die Zukunft der Stahlindustrie zu sprechen. „Wir wollen industrielle Arbeitsplätze in Duisburg erhalten“, dabei sei es egal, so Link, welcher Firmenname über dem Werk steht.

Sie sprechen auf der Bühne über den Teamgeist und den starken Zusammenhalt. So etwa ein gehörloser Kollege, der täglich 160 Kilometer Fahrtzeit zur Arbeit auf sich nimmt. „Jetzt wollen sie mir meine zweite Familie wegnehmen“, sagt er. Gemeinsam teilen sie ihre Sorge von einem „Landschaftspark Süd“ und appellieren eindringlich an den Vorstand: „Bitte lasst Hüttenheim nicht sterben.“

Thyssenkrupp: Vorstand gibt vor Belegschaft Managementfehler zu

Dass in der Vergangenheit Managementfehler zu der prekären Lage des Konzerns geführt haben, bestreitet vor der Belegschaft auch nicht der Vorstand. Das Scheitern des Stahl-Joint-Venture von Thyssenkrupp und Tata habe den Konzern „vor große Herausforderungen“ gestellt, sagt Bernhard Osburg, Mitglied des Vorstandes von Thyssenkrupp Steel. Seitdem standen die einzelnen Geschäftsfelder auf dem Prüfstand.

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Die Prüfung der Standorte und eine Marktanalyse durch die Unternehmensberatung Roland Berger hätten zu dem Ergebnis geführt, dass ein Verbleib für das Grobblechwerk im Konzernverbund „nicht wirtschaftlich sinnvoll erscheint“. Verkauf oder Schließung sind die zwei gebliebenen Optionen. Zunächst werde geprüft, ob es Wettbewerber gibt, die an einer Weiterführung des Grobblechwerks interessiert sind. Mitbewerber, die aufgrund ihrer Marktposition „andere Möglichkeiten haben, das Geschäft nach vorne zu führen“, sagt der designierte Stahlchef.

Grobblechwerk: Anteilsverkauf als weitere Alternative

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Dabei zeichnet Vorstand Arnd Köfler aber auch ein Szenario mit einem Anteilsverkauf, bei dem „mehr als 50 Prozent“ an einen strategischen Partner gehen würden. Das Grobblechwerk gehöre „in die Hände eines Spezialisten“, so Köfler. Der Verkaufsprozess müsse – „unabhängig von einem Datum“ – seriös und transparent erfolgen.

„Die Schließung ist die schlimmste und letzte Möglichkeit“, sagt Köfler. Er könne den Frust der Belegschaft verstehen. Seine Aussagen werden häufig lautstark mit Zwischen-, Buhrufen und Trillerpfeifen unterbrochen.

Grobblech-Betriebsrat: „Unterschätzt nicht unseren Zorn und die Kampfbereitschaft“

Für den Betriebsratsvorsitzenden Mehmet Göktas kommt die Entscheidung zur möglichen Schließung zur Unzeit. Eingeleitete Verbesserungsmaßnahmen im Produktionsprozess würden bereits Wirkung zeigen. Regelmäßig hätte der Betriebsrat auf die Missstände im Werk hingewiesen und Investitionen gefordert. „Wir brauchen nur zwei, drei Jahre Zeit“, sagt Göktas, der auf einen Verbleib im Konzernverbund hofft.„Unterschätzt nicht unseren Zorn und die Kampfbereitschaft. Unser Herz aus Stahl muss weiterschlagen.“