Duisburg. Zehn Jahre nach der Loveparade-Katastrophe plant die Stiftung Duisburg 24.7.2010, das Gedenken umzugestalten – auf Wunsch der Betroffenen.
Die Loveparade-Katastrophe jährt sich 2020 zum zehnten Mal. Für die Stiftung Duisburg 24.7.2010, die den Jahrestag seit fünf Jahren organisiert, wird es ein klares Festhalten an Traditionen sein. Aber auch eine Zäsur, um zu planen, wie das Gedenken künftig gestaltet werden soll.
So wird es auch in diesem Jahr die 21 Glockenschläge geben zum Gedenken an die Verstorbenen, außerdem wird eine Andacht in der Salvatorkirche zelebriert. Und am Vorabend wird es wie in den letzten Jahren die „Nacht der tausend Lichter“ geben, organisiert vom Verein Bürger für Bürger. Nach dem Tod des Vorsitzenden Ralf Karling habe sich der Verein entschieden, an dieser Tradition festzuhalten, berichten Jürgen Widera und Ulrike Stender als ehrenamtlicher Vorstand der Stiftung Duisburg 24.7.2010.
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Nach dem Jahrestag wollen sie konkret abfragen, welche Bedürfnisse die Hinterbliebenen und die Verletzten der Loveparade haben. Sie hätten entsprechende Signale bekommen, dass es für manche nicht mehr stimmig sei, ein jährliches Gedenken fortzuführen. Widera, pensionierter Pfarrer, und Stender, pensionierte Psychologin, sind seit der Gründung in der Stiftung aktiv. Widera pflegte auch zuvor schon als Ombudsmann der Stadt ein enges Verhältnis zu vielen der Betroffenen.
Der Kreis der Hinterbliebenen sei eine Schicksalsgemeinschaft. „Trotz aller Trauer rücken inzwischen aber andere Themen in den Vordergrund“, berichtet Ulrike Stender. Manche kämen schon seit Jahren nicht mehr, würden lieber an besonderen Orten, die mit dem Kind positiv verknüpft sind, ins Zwiegespräch kommen. Für andere habe die Gedenkfeier einen hohen Stellenwert, weil sie verdeutliche, dass man nicht allein ist mit dem Verlust. Durch das gemeinsame Schicksal gebe es ein gegenseitiges Verständnis und das sei für viele wohltuend, erklärt Stender.
Prozess wird Aufklärung leisten, nicht bestrafen
Der laufende Prozess sei noch eine offene Wunde, aber auch dessen Ende absehbar.
Stender, die den Prozess privat begleitet, ist zuversichtlich, dass der Richter sein vor knapp drei Jahren zu Beginn gegebenes Versprechen, Aufklärung zu leisten, erfüllen werde. „Wer auf Bestrafung gehofft hat, wird frustriert sein“, glaubt sie. Ohnehin sei es ein Trugschluss, weil eine Strafe nie hoch genug sei, Geldbeträge nie ausreichen würden, um einen Ausgleich zu verschaffen. „Aber am Ende des Prozesses wird klar benannt werden, was alles zur Katastrophe geführt hat.“
Spagat der Stiftung, allen gerecht zu werden
Die Aufgabe der Stiftung sieht Widera darin, „mit den unterschiedlichen Befindlichkeiten umzugehen, möglichst vielen gerecht zu werden und konstruktive Wege zu finden“. Allein die Gestaltung der Gedenkstätte habe für viel Kritik gesorgt, aber man könne eben nicht alle Wünsche erfüllen. Auch die in den vergangenen Jahren geführte Diskussion, ob Hinterbliebene schlimmer dran seien als Verletzte, ob den Eltern ein Moment des exklusiven Trauerns zustehe - „das fanden wir schwierig, es sind doch alle Opfer“, betont Stender.
Sie habe aber Verständnis, dass manche Eltern auf Distanz etwa zum Verein Lopa 2010 e.V. und zu anderen Betroffenen gegangen seien. So habe es Menschen gegeben, die sich jahrelang als Opfer ausgaben, den Eltern erzählten, dass sie in den letzten Lebensmomenten ihres Kindes dabei gewesen seien - „und dann stimmt das gar nicht“, erzählt Stender entrüstet. Viele Lügengeschichten habe der Prozess aufgedeckt, weil die vielen Kameras das Geschehen minutiös aufgezeichnet hatten. Seither sei das Vertrauen erschüttert und die Arbeit der Stiftung gleicht einem Spagat.
Sensibler Auftrag: Pflege der Gedenkstätte
Den Bedarf für ihre Arbeit sehen Widera und Stender weiterhin. Ohnehin wegen der Pflege der Gedenkstätte, die sie über die GfB und die Wirtschaftsbetriebe organisieren. Seither gebe es nur noch wenig Ärger wegen Dreck oder Zerstörungen. Auch die Mitarbeiter hätten eine Sensibilität entwickelt für das, was entsorgt werden kann und für das, was bedeutungsschwer abgelegt wurde. „Im Zweifel fragen sie nach“, berichtet Widera.
Die Stiftung organisiert auch die Notfallseelsorge während des Prozesses. Da habe sich der Bedarf deutlich verändert. Ursprünglich sollte das von der Staatskanzlei finanzierte Angebot vor allem Betroffenen helfen. Im Laufe der Zeit habe sich aber gezeigt, dass auch das Justizpersonal dankbar sei, reden zu können. Vier Seelsorger und zwei Psychologen teilen sich das Amt seit Prozessbeginn im Dezember 2017.
Beratung hilft Betroffenen, geeignete Therapie zu finden
Bedarf gebe es auch für das Beratungsangebot, über das sich weiterhin Menschen melden, etwa um Rentenansprüche durchzusetzen. Vier bis fünf im Jahr würden in eine Therapie vermittelt, zum Teil organisiert die Stiftung auch eine Finanzierung. Warum sich manche erst jetzt melden, ist für Ulrike Stender klar: „Sie haben lange vor sich hin gelitten und merken erst jetzt, dass es alleine nicht geht.“ Auch durch den Prozess werde mancher noch mal aufgewühlt und spüre deutlicher das Bedürfnis, sich professionell helfen zu lassen. Regelmäßig würden sie Dankesbriefe erhalten, „da merken wir dann, dass es sinnvoll investiertes Geld war“.
Während vereinzelt Therapie-Angebote durch Spenden finanziert werden, bekommt die Stiftung für die Beratung, die Pflege der Gedenkstätte und den Jahrestag Geld aus einem Topf der Stadt, die jährlich bis zu 50.000 Euro zur Verfügung stellt. Die Stiftung, die im Prinzip städtische Aufgaben wahrnimmt, kann mit entsprechenden Belegen die Mittel abrufen. Laut Satzung arbeitet sie bis 2025.