Duisburg/Mülheim/Oberhausen. Trotz guter Vorsätze der Familie eskaliert an Weihnachten oft ein Streit unterm Tannenbaum. Was ein Psychologe der Telefonseelsorge Duisburg rät.
Weihnachten ist das Fest der Liebe – doch vielerorts hängt an Heiligabend der Haussegen auch mal schief. Alte, tief in der Schublade vergrabene Streitereien werden vor dem Gabentisch ausgebreitet oder das falsche Geschenk sorgt für Krach unterm Tannenbaum. „Weihnachten wird mit hohen Erwartungen aufgeladen“, sagt Olaf Meier, Leiter der Telefonseelsorge in Duisburg. Durch Anrufe kennt der Psychologe und Theologe die Konflikte in der Heiligen Nacht – und hat Tipps zur Deeskalation.
„An Weihnachten verbringen Menschen viel Zeit zusammen, die sonst nicht so eng sind“, sagt Meier. Aus Berichten seiner Anrufer weiß er: Trotz des allgegenwärtigen Vorsatzes des friedlichen Beisammenseins, birgt diese Konstellation Konflikte. In vielen Fällen sind es vermeidbare Kleinigkeiten, die zum Eklat bei Kerzenschein führen.
Krach unterm Tannenbaum: Verschiedene Szenarien
Da wäre etwa die Schwiegermutter. Gerade im Haus, versucht sie das Feld in der Küche zu übernehmen. Mit ungebetenen Ratschlägen bringt sie die Gastgeberin und Köchin durcheinander. Was tun? „Durchatmen und Grenzen setzen“, rät der Psychologe. Im Idealfall weist man ihr eine Rolle zu: „Sie kann etwa den Nachtisch vorbereiten und mitbringen.“
Apropos Arbeitsteilung: Nicht selten berichten Anrufer, dass sie in all der Weihnachtshektik und dem Stress ein Weihnachtsmenü zu zaubern, von allen Seiten alleine gelassen wurden. „Ein Gastgeber muss nicht alles alleine machen. Verantwortung gehört auf mehrere Schultern.“ Dazu gilt die Regel: Weihnachten muss nicht perfekt sein.
Unpassende Geschenke und Vorwürfe im Gepäck
Die Oma hat neben Geschenken für die Enkel auch Vorwürfe im Gepäck: „Du kommst mich ja gar nicht mehr besuchen“, könnte es dann am Tisch heißen. Jeder kennt sie, diese Du-Botschaften. Der Psychologe rät, die eigenen Gefühle direkt zum Ausdruck zu bringen. So lässt sich vermeiden, dass die angesprochene Person nur die Kritik wahrnimmt. Meiers Vorschlag: „Ich würde mich freuen, wenn wir uns häufiger sehen“ – selbe Botschaft, weniger Konfliktpotenzial.
Mit großer Vorfreude wird das Geschenk geöffnet – doch der Inhalt lässt das Lächeln nur noch künstlich gefrieren. Doch wie reagiere ich richtig? „Wenn man mit einem Geschenk daneben liegt, kann das verletzen“, weiß Meier. Doch der Psychologe rät: „Das falsche Geschenk in Ruhe ansprechen und die Enttäuschung unterm Tannenbaum nicht zeigen.“ Mit dem Wissen, was einem nicht gefällt, kann das nächste Weihnachtsgeschenk nur besser werden.
Kommt es zum Streit empfiehlt der Psychologe eine Auszeit: Ein Spaziergang mobilisiert den Geist. Ebenso wichtig sind Rückzugsmöglichkeiten. Das Weihnachtsfest, so Meier, ist aber kein geeigneter Ort für Generalabrechnungen. Vielmehr sollte zu einem späteren Zeitpunkt alles Unausgesprochene besprochen werden, um konstruktive Lösungen für Probleme zu finden.
Hochzeit der Trennungen – erhöhter Beratungsbedarf
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Nach dem Weihnachtsfest lassen einige Ratsuchende bei der Telefonseelsorge „ihren Dampf ab“. Es ist die Zeit der fundamentalen Entscheidungen, denn wenn die „Schicksalstage Weihnachten“ nicht funktionieren, geben einige ihre kriselnde Beziehung auf, sagt Meier, der auf 23 Jahre Erfahrung bei der Telefonseelsorge zurückblickt. Es ist die Hochzeit der Trennungen und der Scheidungsgesuche: „Ein Notar hat mir mal gesagt, er lässt immer zwischen Weihnachten und Neujahr auf, denn in dieser Zeit werden die meisten Testamente geändert“, sagt Meier.
So erreichen Sie die Telefonseelsorge
125 ehrenamtlichen Mitarbeiter sorgen dafür, dass ein Telefon tagein tagaus rund um die Uhr sowie ein zweites Telefon zwölf Stunden am Tag besetzt sind. Die Anrufe unter den Rufnummern 0800 1110111 und 0800 1110222 sind anonym, vertraulich und kostenfrei.
Die Mitarbeiter führten mit Menschen aus Duisburg, Mülheim und Oberhausen im vergangenen Jahr insgesamt 13.642 Seelsorgegespräche. Durchschnittlich dauer ein Seelsorgegespräch 25 Minuten, bei täglich zirka 37 Gesprächen.
Die ersten „Präventionsanrufe“ erreichen die Telefonseelsorge aber schon vor dem Weihnachtsfest. Dabei geht es oft um das Thema Einsamkeit. Es ist ein leises, unspektakuläres und leicht zu überhörendes Anliegen vieler Ratsuchender, das für Betroffene gerade an den Feiertagen sichtbar wird und wie ein Schatten die Sorgen bestimmt. 63 Prozent der Gespräche der Seelsorge werden mit alleinlebenden Menschen geführt, sagt Meier. Manche von ihnen rufen täglich an, oft um erstmals am Tag eine menschliche Stimme zu hören.
Zuhören und Mitgefühl zeigen
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Während Heiligabend „sozial abgefedert“ wird und einsame Menschen oft bei Nachbarn, in der Kirche oder bei öffentlichen Weihnachtsfesten Geselligkeit finden, sind gerade die Tage nach Weihnachten und der Jahreswechsel eine Herausforderung. In dieser Zeit steige der Beratungsbedarf deutlich an. „Wer an Silvester alleine ist, ist mutterseelenallein.“
Dabei versuchen die geschulten Mitarbeiter vor allem eines: zuhören. Mit viel Mitgefühl wird „Raum zum Klagen“ gewährt. „Dabei werden uns auch immer wieder die Grenzen der eigenen Möglichkeiten aufgezeigt“, so der Psychologe. Denn was mit den anonymen Anrufern in der Zukunft passiert, wissen die Mitarbeiter der Telefonseelsorge nicht. Sie sind aber ein wichtiger Baustein der Hilfe.