Duisburg-Homberg. Erst kommt Heiligabend, dann der große Geburtstag. Am 25. Dezember wird Hiltraud Zelmer 100 Jahre alt und geplant hat sie etwas ganz Besonderes.
Die selbstgebastelten Papiersterne im Fenster verbreiten Besinnlichkeit, doch von Geburtstagsgirlanden ist in Hiltraud Zelmers Zimmer im Seniorenzentrum „Haus am Sandberg“ noch nichts zu sehen. Dabei folgt auf den Heiligabend direkt ihr großer Tag: Sie feiert am 25. Dezember ihren 100. Geburtstag.
Aufgeregt scheint Hiltraud Zelmer darüber nicht gerade zu sein, immerhin hat sie das Ganze ja schon 99 Mal mitgemacht. Doch wenn sie sich so zurückerinnert an ihre allerersten Weihnachts- und Geburtstagsfeste in ihrer Heimatstadt Dinslaken, dann strahlen ihre blauen Augen. „Der Heiligabend war der Tag von meiner Schwester und mir“, erzählt sie. „Wir mussten nachmittags hoch in unsere vom Kohleofen geheizten Zimmer, um dort zu spielen. In der Zeit haben unsere Eltern dann den Weihnachtsbaum hereingeholt und geschmückt.“
Große Freude über Apfelsinen
Ganz ungeduldig waren die Schwestern, konnten das Klingeln des Glöckchens gar nicht abwarten. Das war schließlich das Zeichen, dass das Christkind endlich seine Arbeit verrichtet hatte. „Wir sind dann die Treppe herunter gestürmt, um die Geschenke auszupacken“, sagt Hiltraud Zelmer. Meist bekamen die beiden Anziehsachen für sich und ihre Puppen. Dazu zählten Hemdhosen, Unterröcke oder Kleider, denn: „Hosen ziemten sich nicht für Mädchen.“ Selbst wenn sie Sport machen wollten, mussten sie zu Hause ihre Trainingshosen mit langen Mänteln darüber anziehen – damit auch ja niemand sah, dass sie Hosen trugen.
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Es waren andere Zeiten, von denen Hiltraud Zelmer erzählt. Zeiten, in denen sich die Kinder statt über Unmengen an Schokolade über einen Teller mit Apfelsinen freuten. „Die gab es sonst ja nicht“, erklärt sie. Und vielleicht ist das auch der Grund, weshalb sie noch heute gut auf Schokolade verzichten kann und stattdessen lieber Obst isst. Nur beim Bingo-Spielen immer donnerstagnachmittags, da gewinnt sie schon mal einen Schokoriegel. „Den esse ich dann auch“, gibt sie zu und lacht.
Poesiealbum als Geburtstagsgeschenk
Doch wie ist es so, einen Tag nach Heiligabend Geburtstag zu haben? „Ich habe immer einen richtigen Geburtstagstisch bekommen“, sagt Hiltraud Zelmer. „Und am ersten Weihnachtstag war ich dann die Hauptperson.“ Die ganze Familie und viele Freunde kamen zu Besuch, um gemeinsam zu feiern. Nur eines störte sie dann doch: „In der Schule mussten die Geburtstagskinder nie Hausaufgaben machen. Aber weil ich ja immer in den Ferien Geburtstag hatte, musste ich auch immer die Hausaufgaben machen.“
Ein besonders schönes Geburtstagsgeschenk hält Hiltraud Zelmer heute noch gerne in ihren Händen, um darin zu blättern und sich die liebevollen Sprüche ihrer Verwandten oder Freunde durchzulesen. „Zum 9. Geburtstag“ steht auf der ersten Seite des Poesiealbums, das für sie ein „ewiges Andenken“ darstellt. Eine andere, jedoch eher abschreckende Erinnerung hat sie ebenfalls fest in sich verankert. „An Silvester haben wir immer die Wachskerzen am Tannenbaum abbrennen lassen, aber in einem Jahr roch es auf einmal komisch“, erzählt sie. Ihre Schwester hatte Feuer gefangen, doch glücklicherweise konnte ihre Mutter es schnell genug löschen.
Schwestern im Alter wieder vereint
Heute können die Schwestern gemeinsam darüber lachen, denn Hiltraud Zelmer lebt seit fünf Jahren im selben Seniorenzentrum wie ihre zwei Jahre jüngere Schwester Wernhild Komp. „Das ist mittlerweile mein Zuhause geworden“, sagt sie selbst. Dass sie wieder so nah bei ihrer Schwester ist, freut sie. Denn immerhin haben die beiden schon viel gemeinsam durchgemacht. Hiltraud Zelmer war gerade einmal 16 Jahre alt, da starben ihre Eltern im Abstand von neun Monaten. Sie selbst begann eine Lehre zur Verkäuferin, zog in ein „Mädels-Haus“ mit ihrer Chefin und einer Kollegin, wurde später Filialleiterin.
Dann kam der Zweite Weltkrieg und Hiltraud Zelmer traf eine Entscheidung: „Ich heirate nicht im Krieg.“ Zu abschreckend waren die Beispiele aus ihrem Bekanntenkreis. „Damit die Frauen ihre Kinder satt bekommen konnten, haben sie mit gekochtem Kaffee Bratkartoffeln gemacht“, sagt sie. „Fett gab es damals ja kaum.“ Als der Krieg endlich vorbei war, heiratete sie schließlich ihre große Liebe. Fast 25 Jahre dauerte die Ehe, sie bekamen einen Sohn und führten gemeinsam ein Lebensmittelgeschäft in Dinslaken.
Roboter-Essen zum 100. Geburtstag
Nach dem Tod ihres Mannes lebte Hiltraud Zelmer auch weiterhin in Dinslaken, meldete sich aber rechtzeitig für dasselbe Seniorenzentrum in Homberg wie ihre Schwester an. Und hier lebt sie nun, ist schwer beschäftigt mit Kreativnachmittagen, Spieleabenden oder Yoga-Stunden. „Langweilig wird es mir nie“, betont sie und zeigt auf die Papiersterne in ihrem Zimmer. „Die habe ich alle selbst gebastelt.“
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Wie feiert eine Hundertjährige denn nun ihren Geburtstag? „Mit Roboter-Essen“, sagt Hiltraud Zelmer und kann sich ein Lachen nicht verkneifen. „Beim Chinesen in Moers bringen Roboter das Essen zum Tisch.“ Das hat sie beim vergangenen Geburtstagsessen ihrer 98-jährigen Schwester so fasziniert, dass sie sich dort auch an ihrem großen Tag mit ihrem Sohn, der Familie ihrer Schwester und ehemaligen Nachbarn treffen möchte. Und mit einer solchen Aussicht auf ihren 100. Geburtstag verspürt selbst ein so erfahrenes Geburtstagskind wie Hiltraud Zelmer doch noch ein klitzekleines bisschen Aufregung.