Duisburg. Nach 18 Jahren und 300 Fällen gibt Hannelore Fehr das Ehrenamt der Schiedsfrau auf. Sie verhandelte über Hecken, Hühner – und einen Whirlpool.
300 Fälle und eine Einigungsquote von 70 Prozent: So liest sich die Bilanz von Hannelore Fehr als Schiedsfrau. Fälle, in denen es natürlich mal um die zu hohe Hecke des Nachbarn ging – aber auch um ganz anderes und weit mehr. Einmal musste Fehr sogar unter Polizeischutz gestellt werden.
Da ging es um eine strafrechtliche Angelegenheit, einer der Teilnehmer des Schlichtungsgesprächs hatte der Schiedsfrau Gewalt angedroht. Sie rief die Polizei, bat um Schutz und bekam ihn. Und doch sagt Hannelore Fehr: „Ich kann mir kein besseres Ehrenamt vorstellen.“
Duisburger Schiedsfrau: „Ich kann mir kein besseres Ehrenamt vorstellen“
Man glaubt es ihr aufs Wort. Die Schiedsfrau strahlt, wenn sie von ihrem Ehrenamt erzählt, die Sätze sprudeln nur so aus ihr heraus. Doch nun, nach 18 Jahren, soll Schluss sein. 75 Jahre ist sie heute, die Altersgrenze für Schiedsleute hat sie überschritten: Schiedsleute werden zwischen 30 und 70 Jahren jeweils für fünf Jahre gewählt; ihre letzte Wahl liegt ein bisschen länger zurück. Zwar hätten Rechtsamt und Amtsgericht ihr signalisiert, sie könne weitermachen, solange sie Spaß daran hat. Aber Hannelore Fehr sagt: „Irgendwann ist mal Schluss.“
Nachfolger gesucht
Schiedspersonen werden vom Amtsgericht berufen. Sie sind durch einen Eid zur Verschwiegenheit verpflichtet. Ihre Verhandlungsergebnisse sind rechtsverbindlich: Der erzielte Vergleich ist auf 30 Jahre vollstreckbar. Eine Verhandlung bei einer Schiedsperson kostet eine fixe Gebühr, in der Regel zwischen 25 und 50 Euro.
Bei bestimmten Privatklagedelikten ist vor dem Gang zu Gericht der Besuch bei Schiedsleuten vorgeschrieben, um die Gerichte zu entlasten. Das betrifft zum Beispiel Körperverletzung, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, Bedrohung, Verletzung des Briefgeheimnisses.
Wer sich für das Amt der Schiedsfrau oder des Schiedsmannes interessiert, kann bei Hannelore Fehr mehr erfahren: 0203/762 000. Bewerber müssen mindestens 30 und höchstens 70 Jahre alt sein sowie unbescholten. Sie sollten in Großenbaum oder Rahm wohnen. Besondere Fähigkeiten müssen zukünftige Schiedsleute nicht mitbringen. Nicht fehlen sollten allerdings die Fähigkeit zu Empathie und zum Zuhören.
Für diesen Schlusspunkt könnte wenig passender sein als ein Zeitungsartikel, denn in der Zeitung las Hannelore Fehr einst vom Schiedsamt und seinen Aufgaben. „Sowas hatte ich schon immer gesucht, da hat’s gleich geklickt“, erinnert sie sich. Und hofft, dass die nächste Schiedsperson für Großenbaum und Rahm diese Zeilen liest – und es ebenfalls Klick macht.
Die Schiedsfrau lernte Strafrecht, Zivilrecht, Mediation
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Heute sucht Hannelore Fehr einen Nachfolger; damals suchte sie „eine Herausforderung“, sie wollte „etwas Sinnvolles machen, wo das Gehirn gefordert ist.“ Das war es: Ein Jurastudium musste sie zwar nicht absolvieren, aber Fachlehrgänge in Strafrecht, Zivilrecht, Mediation. Derart gewappnet, ging sie in ihre erste Verhandlung. An diese Anfänge erinnert sie sich gut: „Ich war sehr aufgeregt.“ Besonders, wenn Antragsteller oder Gegner mit dem Anwalt kamen.
Doch Anwälte hin oder her: Das Zimmer einer Schiedsfrau ist kein Gerichtssaal im Kleinformat. „Es gibt keinen Gewinner und keinen Verlierer“, stellt sie klar. Der Schiedsspruch verurteilt nicht den einen und spricht den anderen frei, er ist ein Kompromiss. Fehr ist keine Richterin. Zu den Damen und Herren in Roben geht es nur, wenn mindestens eine der beiden Seiten nicht kompromissbereit ist.
Die Schlichtungsquote der Schiedsfrau ist deutlich besser als normal
Doch das waren sie bei Hannelore Fehr meistens. 70 Prozent Schlichtungsquote, darauf ist sie stolz: Der Durchschnitt liegt bei 50 Prozent, sagt sie. Ihr Geheimnis: Jeder bekommt so viel Zeit, wie er braucht – und jeder muss den anderen ausreden lassen. Fünf Stunden dauerte ihre längste Verhandlung. Am Ende stand, wie so oft: eine Einigung. Sie ist für die Schiedsfrau das Besondere, nicht einer ihrer vielen Fälle. Besonders, glücklich fühlte sie sich: „Wenn beide Parteien sich beim Abschied die Hand gegeben haben und zufrieden waren, dass das Problem gelöst war.“
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Hannelore Fehr löste. Sie hörte zu, wenn es um einen zu lauten Fahnenmast ging oder eine zu laute Whirlpoolpumpe. Sie schlichtete, als einem Nachbarn die fünf Hühner und zwei Enten auf der anderen Seite des Zauns morgens um acht zu früh los quakten und schnatterten. Die Tiere gelangten per Zeitschaltuhr nach draußen; ihr Vorschlag: Die Zeitschaltuhr auf eine Stunde später stellen. Es war die Lösung. Wie so oft war sie einfach.
Die Fälle: Es geht um Geld, Ehre, Sachbeschädigung, Körperverletzung
Einfach wäre es auch, wenn die Menschen miteinander sprechen würden, statt gleich den Anwalt einzuschalten. Doch viele tun das nicht, „oft seit Jahren nicht. Irgendwann kommt das i-Tüpfelchen.“ Dann sitzen Menschen vor der Schiedsfrau, die sich streiten, laut sind, sich beleidigen. „Ich krieg’ auch schon mal heiße Ohren.“ Es geht um Geld, Ehre, Sachbeschädigung, Körperverletzung. Und manchmal einfach nur um ein paar Worte nach langem Schweigen. Hannelore Fehr hört zu, schlichtet. Und findet oft die Kleinigkeit, die vor langer Zeit aus Freunden Menschen machte, die heute als Gegner vor ihr sitzen. So hat sie schon nach 20 Jahren Freundschaften gekittet.
Ihre Erfahrung möchte die Schiedsfrau gerne an ihren Nachfolger weitergeben. Sie selber legt das verantwortungsvolle Ehrenamt nach 18 Jahren nieder. Es warten jetzt andere Hobbys auf ihre Begeisterung.