Duisburg. Unser Autor hat in Duisburg studiert und lebt selbst seit fünf Jahren hier. Warum er kritisch auf die Stadt blickt und sich trotzdem wohl fühlt.

Manchmal denke ich an Janina. Mit ihren feuerroten Haaren, stechend grünen Augen, dem Piercing im schelmisch lächelnden Mundwinkel und der schlabbrigen Hose, die sie häufig trug, besaß sie in der angepassten Masse aufgeregter Erstis etwas Ausgeflipptes. Deshalb mochte ich sie. Wir verstanden uns gleich an unserem ersten Tag hervorragend, ich wollte mich mit ihr anfreunden. Doch Janina wollte das nicht, nicht ehrlich – und das lag auch an Duisburg.

Wir lebten im selben Studierendenheim an der Kammerstraße, im fünften Stock. Von meinem Fenster aus konnte ich den Balkon vor ihrer Eingangstür sehen. Ich erinnere mich an eine Party in ihrer WG, bei der auch ihre alten Schulfreunde zugegen waren. Sie fuhren später nach Hause, nach Neuss. Doch Janina befürchtete ob der neuen Lebensphase, dass der Kontakt zu ihnen abbrechen würde. Sie war getrieben von der Angst zu vereinsamen und schien nicht verstehen zu wollen, dass ich jetzt, im Studium, eine ebenso bedeutende Person für sie hätte werden können.

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Mit greifbarer Verzweiflung warf sie sich ihren Freunden um den Hals und flehte sie an, sie nicht zu vergessen. Nehmt mich mit, rief sie mit weinerlicher Stimme. Ich beobachtete diese unwürdige Szene mit steigender Resignation, wäre unsere zart aufkeimende Freundschaft in tausend anderen Leben doch in einer innigen Symbiose aufgegangen. In irgendeiner anderen Uni-Stadt, nur nicht in Duisburg.

Hervorragende Anbindung ist der Fluch der Stadt

Ich selbst war von meinem Kaff zwischen Köln und Bonn ins Ruhrgebiet gezogen und träumte von unvergesslichen WG-Partys in Altbauwohnungen, bei denen man zur blauen Stunde besoffen vor Bier oder vor Glück aufeinander lag. Stattdessen musste ich feststellen, dass mit „Pendler-Uni“ nicht der Umstand des Shuttlebusses zwischen dem Neudorfer und Essener Campus gemeint war. Die gute Anbindung Duisburgs an den Nahverkehr ist zugleich sein Fluch. In einer Dreiviertelstunde ist man in Köln oder in Dortmund und einem Dutzend anderer Großstädte. Für Janina gab es also gar keinen Grund, umzuziehen – das Pendelpensum ist erträglich.

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Sie war nicht gezwungen, ihr altes Umfeld zurückzulassen. Sie konnte jederzeit nach Neuss zurückfahren und dort in ihr bisheriges Leben eintauchen. Darin unterscheidet sich Duisburg von Universitätsstädten wie Münster, Trier oder Aachen: Die nächstgrößere Stadt, in der am Wochenende etwas los ist, liegt dort hundert Kilometer weit weg. Die Städte sind ihr eigener urbaner Mittelpunkt.

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Was Duisburg von Münster und Aachen unterscheidet

In Münster, Trier oder Aachen gibt es zudem, anders als in Duisburg, eine attraktive studentische Kultur. Hochschulgruppen, die unbekannte Sportarten wie Jugger oder Quidditch auf der Uni-Wiese spielen. Überhaupt eine Uni-Wiese. Eine linke Szene, die über die Schwellen des AStA-Kellers hinaus geht. Ein klassisches Ausgehviertel mit einem schwarzen Loch an Kneipen, Bars und Clubs, die einen Streetlife-Charakter verkörpern und nicht versprengt in der Stadt verteilt liegen.

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Der Campus in Duisburg: Für viele Studenten geht es nach den Vorlesungen zurück in die Heimat.
Der Campus in Duisburg: Für viele Studenten geht es nach den Vorlesungen zurück in die Heimat. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz


Es ist schlichtweg nicht nötig, woanders hinzufahren, geschweige denn in die Heimat. In solche Studentenstädten muss man ziehen, will man dort nicht den Anschluss verlieren. Janina wäre drauf angewiesen gewesen, sich auf ihre neue Heimat und die Menschen dort einzulassen. Freunde zu finden.

Warum ich mich in Duisburg wohl fühle

Ich dagegen fühle mich mittlerweile ganz wohl Duisburg.

Wenn ich an der Zeit im beengten, sterilen Wohnheim eines vermisse, dann den Blick nach Süden, wo der Abstich der Hüttenwerke den Himmel in ein leuchtendes Orange tauchte. Und es gibt sie ja, die urigen Kneipen, die Lebensfrohen, die Engagierten, die ihre Stadt lebenswerter machen, die Deutungshoheit über den Ruf ihrer Stadt zurückerobern wollen. Denn wer Duisburg hört, denkt an den bundesweit bekannten Brennpunkt im Norden der Stadt und den Tunnel unter dem ehemaligen Güterbahnhof.

Janina hat all das nicht zu schätzen lernen können, wie so viele, die ich in meinen fünf Jahren hier kennengelernt habe. Sie brach das Studium nach einem Semester ab und zog bald danach weg.

Unser Autor

Unser Autor Marius Fuhrmann ist 26 Jahre alt und lebt seit fünf Jahren in Duisburg-Neudorf.

Von 2014 bis 2018 hat er an der Uni Duisburg-Essen Politikwissenschaft studiert, nun schreibt er als freier Mitarbeiter für die Lokalredaktion Duisburg und einige andere Medien.

Sein Herz schlägt noch immer fürs Rheinland und den Karneval: In Troisdorf (bei Köln) geboren, in der Nachbarstadt Lohmar zur Schule gegangen, ist die fünfte Jahreszeit für ihn die Schönste des Jahres. Karneval hat er in Duisburg aber noch nie gefeiert.