Duisburg. Drei Viertel der Senioren sind vom Krieg traumatisiert. Wie man mit Spätfolgen bei Sterbenden umgeht, das ergründet ein Projekt in Duisburg.
Die Grausamkeiten des Zweiten Weltkriegs haben bei vielen Menschen bis heute ihre Spuren hinterlassen. Kriegstraumata wirken noch in der Enkelgeneration nach. Das Projekt „Trauma & Hospiz“ in Duisburg will Sterbenden und deren Angehörigen, aber auch ehrenamtlich Engagierten helfen, mit derart lange verborgenen Erinnerungen und ihren Auswirkungen umzugehen.
Wer als Wiederaufbauer, als Macher durchs Leben ging, der wird mitunter erst in der letzten Phase des Lebens von alten Erinnerungen durchgerüttelt, dann wenn im Sterbeprozess die Kontrolle nachlässt. Mancher schreit stundenlang, mancher verstummt völlig, möglich sind auch Essensverweigerung, Schlaflosigkeit und Aggressivität - Verhaltensweisen betagter Menschen, bei denen man als Angehöriger hilflos daneben steht oder das Verhalten fälschlicherweise als Ausdruck einer Demenz oder sonstiger altersbedingter Erkrankungen interpretiert. Dr. Gabriele Frick-Baer und Petra Prell wollen in diesen Situationen als erfahrene Trauma-Therapeutinnen helfen.
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Drei Viertel der betagten Menschen sind traumatisiert
„Drei Viertel der Menschen in hohem Alter sind traumatisiert, manche sogar mehrfach“, sagt Frick-Baer, im Sterbeprozess breche das bei manchen auf. Was als Angst vor dem Sterben gedeutet werde, sei tatsächlich oft das Durchleben alter Ängste, etwa weil man im Krieg vergewaltigt wurde, oder weil man als Kind nächtelang voller Panik im Bunker saß. Die Menschen würden von den Erinnerungen regelrecht eingeholt.
Ziel ihrer Begleitung sei nicht, Erlebtes aufzuarbeiten oder überhaupt aufzudecken. Vielmehr gehe es darum, Frieden zu schließen mit dem Erlebten sowie die Not der Angehörigen in dieser Extremsituation ernst zu nehmen. Frick-Baer und Prell sehen sich sowohl als Begleiter wie auch als Mediatoren. Was sie dafür neben ihrer beruflichen Expertise vor allem mitbringen: Zeit.
Menschen mit ihren Ängsten nicht alleine lassen
„Wir können die Trauma nicht ungeschehen machen, aber dafür sorgen, dass die Menschen damit nicht alleine sind“, betont Frick-Baer, die zu diesem Lebensthema schon promovierte und mehrere Bücher veröffentlicht hat. Sie spüre zudem eine „riesige Verantwortung, dass die Weitergabe von Traumata, die noch in der Enkelgeneration nachweisbar sind, unterbunden wird. Das sind wir den Jüngeren schuldig“, betont die 67-Jährige kämpferisch.
Beiden ist wichtig, das Thema stärker in die Öffentlichkeit zu tragen: „Je mehr davon gehört haben, desto mehr wird es in der Gesellschaft möglich sein, darüber zu sprechen.“ Das führe langfristig dazu, dass sich Menschen vielleicht nicht erst in höchster Not an sie wenden würden.
Förderung des Projektes für zwei Jahre
Das Projekt „Trauma und Hospiz“ wird von der Deutschen Fernsehlotterie über zwei Jahre gefördert und sei in dieser Form „schon sehr einmalig“, glaubt Frick-Baer. Sie will mit Prell zusammen viel anbieten, viel ausprobieren. Geplant sind neben individuellen Besuchen bei Sterbenden oder deren Angehörigen Infoveranstaltungen in Hospizen und Altenheimen, auch über Duisburg hinaus - für Laien wie für Ehrenamtler.
Unter dem Dach von Semnos (übersetzt: Würde) gibt es einen Fachverlag und eine Zukunftswerkstatt, die Fortbildungen anbietet. Daran angedockt ist auch der Verein Institut für soziale Innovationen, der am Standort Neudorf Stärkungsgruppen für Traumatisierte anbietet, Kreativgruppen für Geflüchtete und das neue Projekt „Trauma und Hospiz“.
Kontakt: Tel. 0203/36352684, 0178/3319013, die Beratungsstelle ist mittwochs von 15 bis 18 Uhr besetzt. Um vorherige Anmeldung wird gebeten. Weitere Infos: www.soziale-innovationen.de