Duisburg. Der Vorstand der Gesteinsindustrie hat Stellung zum Kiesabbau in Mündelheim bezogen. Im Interview spricht er über Lkw-Verkehr und Artenschutz.

92 Hektar Kiesabbaugebiet am Mündelheimer Rheinbogen: Diese Pläne der Kiesindustrie haben in Duisburg für Diskussionen gesorgt. Politik und Bürgerverein protestieren, Oberbürgermeister Sören Link kündigte rechtliche Schritte an. Doch was bedeutet Kiesabbau konkret: für die Menschen, für die Natur, für die Industrie? Über Lkw-Verkehr, Artenvielfalt und Rohstoffengpässe haben wir gesprochen mit Dr. Gerd Hagenguth. Er spricht aus doppelter Sicht für die Kiesindustrie: Hagenguth ist Präsident des Bundesverbands Mineralische Rohstoffe und selber Geschäftsführer einer Kiesfirma.

Im Mündelheimer Rheinbogen soll viel Kies in guter Qualität liegen. Woher weiß man das?

Dr. Gerd Hagenguth ist selber Geschäftsführer eines Kiesunternehmens. Außerdem ist er Präsident des Bundesverbands Mineralische Rohstoffe (Miro).
Dr. Gerd Hagenguth ist selber Geschäftsführer eines Kiesunternehmens. Außerdem ist er Präsident des Bundesverbands Mineralische Rohstoffe (Miro). © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Dr. Gerd Hagenguth: Der Rhein transportiert als einer der großen Flüsse von den Alpen an das Material, das aus den Gebirgen abgetragen wird. Das wird durch den Transport gerundet. Wenn Sie sich bei Hochwasser – also starker Strömung - an den Rhein stellen und es ist leise, können Sie hören, wie die großen Kiesel rollen. Die Körnung wird von Süd nach Nord immer kleiner. Hier sind wir nur noch bei drei, vier Prozent kindskopfgroßer Steine. Der Geologische Dienst weiß in NRW über Jahrzehnte aus Bohrungen, Schürfungen, Baumaßnahmen, wie an der konkreten Lokation der Boden aufgebaut und welcher Kies- und Sandanteil dort ist.

Das Duisburger Kiesgebiet könnte NRW zwei Jahre lang versorgen

Wie viel ist viel: Wie lange würde sich der Kiesabbau dort lohnen?

So ein Werk hat eine Laufzeit von 25 bis 30 Jahren. Die Kiesschicht wird dort 20, 25 Meter mächtig sein – mindestens. Dort dürften etwa 35 Millionen Tonnen Kies liegen. Das würde rechnerisch den Zwei-Jahres-Bedarf von NRW decken.

Der Bundesverband Miro

Dr. Gerd Hagenguth ist Präsident des Bundesverbands Mineralische Rohstoffe, kurz Miro. Er vertritt die Interessen der deutschen Gesteinsindustrie: von Naturstein- über Kies- und Sand- bis hin zu Quarzsandindustrie.

Eine zentrale Aussage der Kiesindustrie lautet: Ohne Sand und Kies könnten Häuser, Straßen und Brücken nicht gebaut werden. Dazu führt Miro folgende Zahlen auf: In einem Einfamilienhaus mit Keller stecken mehr als 200 Tonnen Gesteinsrohstoffe; in einer Brücke 21.000 Tonnen; in einem Kilometer Autobahn 216.000 Tonnen.

Hagenguth ist außerdem Geschäftsführer der Firma RMKS Rhein Main Kies und Splitt, die in Duisburg-Ruhrort ihren Verwaltungssitz hat.

Was macht Kies gut oder schlecht?

Die Zusammensetzung. Möglichst viel Quarzanteil, feste Körner, möglichst wenig Holz im Gemisch. Der Holzanteil ist hier relativ gering. Das ist gut, denn wir machen nichts anderes als das, was wir alle als Kinder gemacht haben: Wir nehmen das Kies-Sand-Gemisch, waschen, sieben und sortieren es. Reiner Sand hat bis zu 2 Millimetern Durchmesser, Kieskörner von 2 bis 8, 8 bis 16, 16 bis 32 mm. Größere Steine werden als Dach- oder Drainagekies verwendet oder gebrochen.

Wie sähe der Kiesabbau vor Ort aus?

Ich muss Böschungen anlegen, dazwischen hole ich den Rohstoff raus. Kies ist wasserdurchlässig, der Rhein drückt das Wasser direkt in den Boden. In einer Tiefe von einem halben bis einen Meter bin ich schon im Wasser. Das bedeutet Nassabbau: mit Greifer, Saugbagger oder Eimerkettenbagger. Damit es nicht zu laut ist, werden die Siebmaschinen auf Schwingbolzen gelagert und bei Bedarf eingehaust. Und zwischen 22 und 6 Uhr wird in der Regel nicht gearbeitet.

Miro-Vorstand: Zusätzliche Lkw auf der B 288 fallen nicht ins Gewicht

Rot eingekreist ist die Fläche von 92 Hektar, die die Kiesindustrie als zukünftiges Abbaugebiet in Duisburg vorschlägt.
Rot eingekreist ist die Fläche von 92 Hektar, die die Kiesindustrie als zukünftiges Abbaugebiet in Duisburg vorschlägt. © Funkegrafik NRW | Marc Büttner

Ein Argument für das Duisburger Gebiet lautet, die Infrastruktur mit der B 288 sei günstig. Ist der Rhein dafür nicht viel wichtiger?

Das kommt aufs Absatzgebiet an. Im Ruhrgebiet liegen fast alle Betonwerke in Industriegebieten, die nur über den Straßenverkehr erschlossen sind, in den Niederlanden am Wasser. Unter der CO2-Diskussion ist es wichtig, so nah wie möglich an die Verbraucher zu gehen. Das würden wir hier tun: Der Kies ist am Rhein, das Ruhrgebiet ist ein großer Verbraucher. Wenn ich meinen heimischen Rohstoff im heimischen Gebiet absetzen will, dann geht das derzeit fast nur über die Straße.

Auf der B 288 ist jetzt schon oft Stau.

Im Vorfeld wird die zusätzliche Verkehrsbelastung geprüft. Fachleute entscheiden, ob das zumutbar ist. Wir sprechen hier vermutlich von etwa 300 Lkw pro Tag bei einer dann vierspurigen B 288, das entspricht rund 45 Lkw pro Stunde bei Hin- und Rückverkehr. Die fallen nicht ins Gewicht.

Das Konfliktpotenzial in Duisburg soll vergleichsweise gering sein. Unterschätzen Sie da nicht die Duisburger? Im Umweltausschuss hat ein Bürgerverein mobil gemacht; der Ausschuss hat einstimmig gegen das Abbaugebiet gestimmt.

Ich kann verstehen, dass jemand, der da wohnt, sagt, ich möchte keinen Kiesabbau. Aber wir brauchen den Baustoff für den Wohnungs- und Straßenbau. Wir haben einen Engpass: Wir können Baustellen nicht bedienen, weil NRW seit Jahren kein neues Kieswerk mehr genehmigt hat. Alle, die dort wohnen, haben Sand und Kies für ihre Häuser gebraucht, für die Straßen. Untersuchungen zum Beispiel für Lärm, Staub, Verkehr fließen ins Genehmigungsverfahren ein. Letztlich muss die Behörde abwägen, was schwerer wiegt: das Schutzbedürfnis des Einzelnen oder die Versorgungssicherheit der Öffentlichkeit.

In fast jedem Kieswerk lebt die bedrohte Gelbbauchunke

Teile des Abbaugebiets sind bislang Landschaftsschutzgebiet. Wie verträgt sich das mit Kiesabbau?

Die gesamte Fläche in Deutschland ist mit irgendetwas belegt: Wir haben Wohnflächen, Gewerbeflächen, Waldflächen, Grundwasserschutzgebiete, Naturschutzgebiete, Landschaftsschutzgebiete. Im Landschaftsschutzgebiet ist eine Möglichkeit für Rohstoffabbau gegeben. Es werden ja keine Hochhäuser gebaut; es wird später rekultiviert und geht wieder ins Landschaftsbild über. Jedes Kieswerk ist am Anfang ein Eingriff in die Natur. Aber es wird ein Areal eingezäunt, damit hat die Natur drum herum die Möglichkeit, sich zu entfalten. In unseren Kieswerken haben wir eine hohe Artenvielfalt: Sehr viele Amphibien leben dort, Eidechsen haben ein ungestörtes Leben, Libellen schwirren in den Uferböschungen. Die Gelbbauchunke ist eine bedrohte Tierart – aber Sie finden sie in fast jedem Kieswerk.

Die Gelbbauchunke zählt zu den bedrohten Tierarten. In Kieswerken fühlt sie sich wohl.
Die Gelbbauchunke zählt zu den bedrohten Tierarten. In Kieswerken fühlt sie sich wohl. © picture alliance / dpa | Jochen Lübke

Die Kiesindustrie setzt immer mehr auf Recycling

Das Aktionsbündnis Niederrhein fordert einen nachhaltigen Kiesabbau. Wie könnte der aussehen?

Wenn ich eine Fläche verritze, dann arbeite ich nachhaltig, wenn ich alles herausnehme, was verwertbar ist. Das tun wir, niemand lässt dort freiwillig etwas zurück. Die Lagerstätte wird optimal abgebaut, man hat keinen Verlust. Bevor der Abbau beginnt, werden schutzwürdige Biotope umgesiedelt oder im Nahbereich neu erstellt. Kies wächst zwar nicht nach, er wird verbraucht. Aber auch unsere Industrie geht immer mehr dazu über, Rohstoffe wieder zu verwenden. Mein Unternehmen hat sich gerade an einem Recyclingunternehmen beteiligt. Recyceltes Material muss aber die Qualitätsnormen erfüllen. Den derzeitigen Bedarf an Baustoffen kann ich nicht über Recyclingmaterial decken. Abgerissen werden alte Gebäude – aber wenn die asbestbelastet sind, kann ich das nicht recyceln. Immer mehr Betreiber errichten auf den Wasserflächen Photovoltaikanlagen, um zumindest teilweise den Strom selber zu produzieren.

16.000 Arbeitsplätze in der Region sollen von der Kiesindustrie abhängen. Wie viele sind es in Duisburg?

So ein Werk wie das, was am Rheinbogen entstünde, beschäftigt zehn bis 15 Mitarbeiter und versorgt damit 100 Lkw-Fahrer, zwei dutzend Betonwerke und die nachfolgende Bauindustrie. Da kommt ein enormer Impuls in die Region.

Nach dem Abbau: Aus nicht verwertbarem Sand einen Strand bauen

Was würde nach dem Kiesabbau aus dem Gebiet werden?

In Wesel haben Kiesunternehmer Biber angesiedelt (hier ein Symbolbild).
In Wesel haben Kiesunternehmer Biber angesiedelt (hier ein Symbolbild). © dpa | Felix Heyder

Jede Abbaugenehmigung ist verbunden mit einem landschaftspflegerischen Begleitplan. Darin wird festgelegt, was und wie später rekultiviert werden soll. In Wesel haben Unternehmer Biber angesiedelt, unser Kieswerk im Kreis Wesel ist jetzt schon ausgewiesen als späteres Naturschutzgebiet. Ganz feinen Sand können Sie nicht verwerten, aber Sie können je nach Wunsch der Beteiligten eine Insel oder einen Badestrand daraus machen. Wenn in 20 Jahren alles vorbei ist, das Wasser plätschert und die Schwäne kommen, dann sagen alle: Das ist ja schöner hier als vorher.

Es gibt Aussagen, dass es in Duisburg noch weitere mögliche Standorte zum Kiesabbau gibt. Wo?

Sie können entlang der gesamten Rheinschiene Kies gewinnen, aber nur wenige Gebiete werden vermutlich so konfliktarm sein wie der Mündelheimer Rheinbogen.

Durch Duisburg fließen 37 Kilometer Rhein.

Die Mächtigkeit und Qualität ist überall gleich. Aber woanders haben Sie Wohngebiete, Industrie oder andere Einschränkungen. In Mündelheim ist es ideal. Diese Fläche hat eine Bedeutung für die regionale Versorgung. Leider entstehen unsere Abgrabungen oft auf landwirtschaftlich genutzten Flächen, aber wir brauchen alles: Baustoffe und Lebensmittel. Sobald Sie vom Rhein weggehen, sind die Konflikte oft nicht mehr lösbar.

Oberbürgermeister Sören Link hat bereits rechtliche Schritte für den Fall einer Ausweisung als Abbaugebiet angekündigt.

Bevor es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung kommt, versucht unsere Industrie im Dialog mit Politik und Bürgern solch ein Projekt darzustellen und zu erklären. Wir leben in einer Gesellschaft, die rechtliche Möglichkeiten bietet. Wenn der Bürger das ausnutzen will, dann soll er das machen. Das verzögert das Projekt – ob es das verhindert, entscheidet das Gericht. Ein Kiesprojekt nimmt immer einen langen Weg bis zu einer Realisierung oder Ablehnung.