Duisburg-Homberg. Rund 20 Prozent der Stellen fallen bei Venator in Homberg weg. Der Betriebsratsvorsitzende spricht von Fehlentscheidungen der Geschäftsführung.

Rudolf Sachtleben muss mit auf das Foto. Darauf legen Uwe Sova, Betriebsratsvorsitzender bei Venator, und sein Vize Jörg Nadler Wert: Die Büste des Unternehmensgründers ist ein Symbol in diesen schwierigen Zeiten. Als der US-Chemiekonzern Huntsman das Homberger Unternehmen übernahm, sollte die Bronze eigentlich entsorgt werden, berichtet Sova. Aber der Betriebsrat protestierte. Seither thront Dr. Sachtleben sicher verwahrt vor den Büros des Betriebsrats und wacht von dort aus über den Traditionsbetrieb. Aktuell keine leichte Aufgabe.

Denn Uwe Sova und der Betriebsrat stehen vor einer großen Herausforderung. Rund 20 Prozent der Belegschaft steht auf dem Spiel, 180 der knapp 1100 Stellen sollen 2019 bis 2022 wegfallen. Inzwischen wurde eine Kommission gegründet, in der neben fünf Betriebsratsmitgliedern die Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) und eine Kanzlei für Arbeitsrecht vertreten sind. In dieser Aufstellung soll es dann in die Verhandlungen gehen. „Aber wir brauchen erst Informationen, vor allem darüber, welche Arbeitsplätze betroffen sind“, so Jörg Nadler. Ein erster Fragenkatalog ist an die Unternehmensleitung gegangen, falls nötig, wird ein zweiter folgen.

Arbeitnehmerinteressen spielen in anderen Ländern keine große Rolle

Wobei die Antworten auf sich warten lassen, beklagt Sova. Der Hauptaktionär Huntsman sitzt in den USA, die europäische Venator-Leitung in Großbritannien. Entsprechend zäh fließen Informationen zur Homberger Geschäftsführung. Und das sei nicht nur der räumlichen Distanz geschuldet. Vielmehr lägen zwischen den Arbeitsmärkten Welten. Im Gegensatz zu Deutschland spielten Arbeitnehmerinteressen weder in Großbritannien noch in den Vereinigten Staaten eine große Rolle.

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Aber Sova ärgert noch mehr. So war er gelinde gesagt pikiert, als die Nachricht über den Jobabbau noch am selben Tag an die Öffentlichkeit gelangte. „Wir hatten keine Chance, zu reagieren.“ Aber vor allem liegen ihm Fehler im Magen, die er beim Management sieht. Die Pigment-Industrie unterliege einem ständigen Auf und Ab. Dies hänge von der wirtschaftlichen Lage der Endabnehmer, also etwa von Faser-, Automobilindustrie und Bauwirtschaft, ab, die Partikel in Spinnfasern, Farben und Lacken verwenden. „Früher hat man Durststrecken durch einen starken Konzern ausgeglichen.“

Homberger Standort hat bereits viele Krisen durchgemacht

Jetzt fürchten die Betriebsratsvorsitzenden, dass nach dem Abbau der Jobs nicht ausreichend qualifizierte Mitarbeiter zur Verfügung stehen, um die Nachfrage decken zu können, sobald sie wieder da ist. Sova: „Wenn die Konjunktur wieder anzieht, wenn sich das mit dem Brexit endlich geregelt hat und die Kunden wiederkommen, dann müssen wir doch Menge und Qualität produzieren können!“

Das Werk in Homberg.
Das Werk in Homberg. © FUNKE Foto Services | Ulla Michels

Sova ist seit 1989 bei ehedem Sachtleben. „Der Standort“, weiß er, „hat viele Krisen durchgemacht.“ Früher arbeiteten in Homberg über 2000 Menschen. Wird erneut gekürzt, wäre die Belegschaft 2022 nicht mal mehr halb so groß. Der erste Abbau kam 1994, nach der Pleite der Metallgesellschaft, erinnert Nadler. 2004 kaufte die Firmengruppe Rockwood Holdings Sachtleben auf, 2014 folgte Huntsman, wieder ein neuer Eigner. „Erst wurde betont, wir seien eine Familie, Huntsman stehe zu traditionellen Werten“, erinnert sich Sova. Das habe ihm damals gefallen. „Wenn die das leben, ist das gut“, dachte er.

Mangelndes Personal wurde schon einmal zum Problem

Als nächstes wurde angekündigt, dass man sich am Standort von bis zu 354 Mitarbeitern trennen wolle. Das war am 1. Dezember 2014. Im Endeffekt wurden 278 Jobs durch Abfindungen und Vorruhestandsregelungen abgebaut. Im Januar 2017 gliederte der neue Eigner die Pigmentsparte in eine Gesellschaft aus, brachte sie unter dem Namen Venator (lateinisch für Jäger, wie Huntsman) im August an die Börse. Ein, zwei Jahre später zog die Konjunktur dann wieder an. „2017/2018 hätten wir produzieren können ohne Ende. Aber wir konnte die Anlage nicht vollständig betreiben, da wir zu wenig Personal hatten.“ Inzwischen befinde sich die Aktie im Sinkflug.

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Und jetzt wieder eine Fehlentscheidung, kritisiert Sova. Absätze brachen ein, heißt es – der Weltmarkt strukturiere sich durch den Handelskrieg der USA mit China neu, das Reich der Mitte dränge auf den Europäischen Markt. Faktisch sei das Geschäft um circa 40 Prozent eingebrochen, weiß Sova. Da sei ein Abbau von Jobs die übliche Lösung: „Wenn Mitarbeiter wegfallen, sinken Fixkosten und Unternehmen bekommen günstigere Kredite.“

Betriebsrat macht Geschäftsführung schwere Vorwürfe

Sova macht der Geschäftsführung schwere Vorwürfe. Warnungen seien in den Wind geschlagen worden, seit 2014 habe es selbst in wirtschaftlich guten Zeiten nur Kleininvestitionen gegeben, „die reinste Flickschusterei.“ Dazu kämen Reparaturen im Werk, auf die man vergeblich warte. Es bestehe ein erheblicher Verschleiß, so Nadler. „Große Erneuerungen gab es zuletzt Anfang der 90er.“

Sova fordert von den Verantwortlichen Augenmaß und Weitblick. Und er fordert Zukunftskonzepte, ein Appell auch an die Politik. „Man muss sich doch überlegen: Wo sehe ich mein Unternehmen in zehn Jahren? Wie sieht der Industriestandort Europa in 20, 30 Jahren aus? Wir dürfen nicht nur in Jobs in Logistik und Dienstleistung investieren.“

Es geht bei Venator um mehr als die 180 Jobs

Nadler sagt es anders: „Mit Kartoffelanbau können Sie keinen Sozialstaat bezahlen.“ Er warnt vor einem „Ausverkauf der Großindustrie“. Der Billiglohnsektor bringe auf Dauer keine Erholung, man brauche gute Jobs mit guten Verdiensten, um die Kaufkraft zu erhalten. „Ich wünsche mir, dass die Azubis, die hier anfangen, in 50 Jahren hier in Rente gehen und eine gute Zukunft haben“, ergänzt Sova. „Wenn ich hier von Bord gehe, möchte ich rausgehen und sagen: super!“

Die beiden Betriebsräte erinnern daran, dass es bei Venator nicht nur um 180 Jobs geht, sondern um mindestens 250. Denn da sind nicht nur die Angestellten, sonder darüber hinaus auch Partnerfirmen und Fremdhandwerker. Ein Aus für den Standort wäre für den Duisburger Westen eine Katastrophe. „Es stehen Existenzen auf dem Spiel“, sagt Sova. „Wir sind in Homberg der größte Arbeitgeber.“