Duisburg. Jeanette S. hat sieben Mal ihr Kind verloren. Ihre tote Tochter landete im „Klinikmüll“. Mit 33 Jahren trifft sie eine schwere Entscheidung.

Mit 23 Jahren erwartet Jeanette S. aus Duisburg ihr erstes Kind. Schon mit dem positiven Schwangerschaftstest wird ihr Leben auf den Kopf gestellt. Sie steht noch ganz am Anfang des Abenteuers „Mama werden“, da nimmt das Schicksal ihr das ungeborene Kind. Was wie der Albtraum einer werdenden Mutter klingt, wird für die Duisburgerin im Laufe ihres Lebens mehrmals schmerzliche Realität: Sieben Mal soll Jeanette S. nach eigenen Angaben ihr Baby verloren haben.

„Ich habe ziemlich gelitten“, sagt die 39-Jährige über die Verluste. Rückblickend weiß sie, dass sie an einer Gebärmutterhalsschwäche leidet. Fehl- und Frühgeburten sind eine der Folgen. Mit einem Band verschließen die Ärzte den Gebärmutterhals, ähnlich wie beim Zuziehen eines Turnbeutels. So wird versucht, einen Abgang zu verhindern. Bei drei Schwangerschaften glückt es – auch wenn ihre Jungs viel zu früh auf die Welt kommen. „Meine Kinder geben mir Halt.“ Und trotzdem schmerzt der Verlust. „Wieso immer wieder ich?“, fragt sich die Mutter.

Schicksal Sternenkind: Jede Schwangerschaft ist mit Angst verbunden

So wie bei ihrem ersten Kind, das sie schon nach den ersten Wochen verliert. „Das war damals ein kleiner Weltuntergang.“ Schnell wird sie wieder schwanger. „Die Verlustängste waren groß“ – aber unbegründet. Ihr Sohn, der heute 15 Jahre alt ist, kommt gesund zur Welt. Da ist Jeanette S. 24 Jahre alt.

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Der große Bruder sollte noch ein Geschwisterkind bekommen. „Ich wollte immer ein Mädchen.“ Doch eine erneute Fehlgeburt lässt den Traum zerplatzen. Bei der nächsten Schwangerschaft soll es endlich soweit sein. Und tatsächlich: Ein Ultraschall-Termin verrät, es wird ein Mädchen. „Während der Schwangerschaft hatte ich immer wieder Panik, das Kind zu verlieren.“

Der Verlust des Mädchens

In der 17. Woche ist ihr Mädchen im Bauch etwa 13 Zentimeter groß. Die winzigen Arme und Beine sollen in diesem Stadium bereits komplett ausgebildet sein. „Mein Frauenarzt sagte mir, dass alles in Ordnung ist.“ Doch in der folgenden Nacht bekommt Jeanette S. starke Unterleibsschmerzen. Sie muss nachts auf die Toilette. „Plötzlich hatte ich das Kind in den Händen. Es hat gelebt.“

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Völlig überfordert von der Situation soll sie zunächst versucht haben, die Nabelschnur zu durchtrennen. „Dann hab ich das Kind in ein Handtuch gewickelt.“ Doch das Herz hört auf zu schlagen. Wie in Schockstarre bleibt sie mit ihrem Mädchen im Arm zurück.

Tote Baby wird im „Klinikmüll“ entsorgt

Erst nach Stunden bringt ein Rettungswagen Jeanette S. ins Krankenhaus. Dort soll das Neugeborene obduziert werden. „Es war vollkommen gesund.“ Was die Mutter noch heute schmerzt: Ihr Kind wird personenrechtlich nicht erfasst. Dieses Schicksal erwartete bis 2013 jedes totgeborene Kind, das mit unter 500 Gramm Gewicht auf die Welt kam.

Stattdessen wird ihr Mädchen entsorgt – „auf dem Klinikmüll“, ärgert sie sich. „Für eine Mutter ist das schlimm.“ Freunde können jedes Mal ihren Schmerz über die Verluste nicht nachempfinden. „Du bist ja noch jung“, hört sie immer wieder.

Jede fröhliche Mutter ist ein Stich ins Herz

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Sie meidet es in der Zeit, das Haus zu verlassen. Jede fröhliche Mutter mit ihrem Kind ist ein Stich ins Herz. „Ich hatte Depressionen.“ Auch ihr Lebenspartner konnte mit der Situation nur schwer umgehen. „Wir haben nie über den Verlust gesprochen.“ Stattdessen redet Jeanette S. mit einem Therapeuten. Gemeinsam suchen sie für die Duisburgerin einen Ort der Erinnerung. Für die 39-Jährige ist es der Innenhafen. „An jedem Todestag gehe ich dort hin und lasse einen Luftballon steigen.“

Sterilisation mit 33 Jahren

„Ein Kind ist ein Geschenk des Himmels“, weiß sie heute. Zwei gesunde Jungs hat sie noch zur Welt gebracht. Den Traum vom Mädchen musste sie aufgeben. Denn nachdem ihr jüngster Sohn, der heute sechs Jahre alt ist, zur Welt kommt, trifft Jeanette S. eine folgenschwere Entscheidung. „Ich habe mich sterilisieren lassen, aber so eine Entscheidung muss gut überlegt sein.“ Für sie war es die richtige, so sagt sie: „Ich wollte so einen Verlust nicht nochmal ertragen.“